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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 54. Grenzgebiete der staatlichen Entschädigungspflicht.
welchen der Staat von vornherein nicht auf dem Boden des Civilrechts
sich bewegte4.

Von jeher sind die Versuche sehr zahlreich gewesen, auch hierfür
eine Haftung des Staates zu finden, die auf die Rechtswidrigkeit einer
Amtshandlung zu gründen wäre.

Die ältere Theorie glaubte aus dem Subjektionsverhältnis ein
"staatsrechtliches Princip" für eine solche Haftung gewinnen zu
können; eine staatsrechtliche Haftung wollte sie der civil-
rechtlichen an die Seite stellen. Man quälte sich mit den wunder-
lichsten Konstruktionen, um dieser Forderung ein juristisches Gewand
zu geben und die Kluft zwischen den Begriffen Staat und Rechts-
widrigkeit zu überbrücken5. Die neuere Wissenschaft hat sich zuletzt
in erklärlicher Unbefriedigtheit von der ganzen Idee der staatsrecht-
lichen Haftung abgewendet, und die Gerichte sind ihr gefolgt6.

Die Gerichte haben aber andererseits nicht aufgehört, den Staat
für die Delikte seiner Diener allgemein verantwortlich zu machen.
Sie thun das unter Anrufung der civilrechtlichen Grundsätze
über Haftung des Auftraggebers, auch in Fällen, wo es ganz außer
Zweifel steht, daß öffentliche Verwaltung, Ausübung von "Hoheits-
rechten", Thätigkeit des "eigentlichen Staates" vorliegt. Das achtet
man entweder gar nicht als ein Hindernis oder kommt darüber hin-
weg mit Konstruktionen, die an Kühnheit denen der staatsrechtlichen
Haftung nicht nachstehen7.

4 Das wird nicht immer ordentlich geschieden. Richtig Loening, Die Haf-
tung des Staates aus rechtswidrigen Handlungen seiner Beamten S. 53 ff. und
S. 93 ff.
5 Pfeiffer, Prakt. Ausf. II S. 361 ff., III S. 371 ff.; Zachariae in Ztschft.
f. Stsw. XIX S. 582 ff.; Heffter in Arch. d. Crim.R. 1851 S. 458; Simon,
Preuß. St.R. I S. 320. Die Civilisten glauben vielfach dadurch helfen zu können,
daß sie den Beamten für ein "Organ" des Staates erklären, in welchem der Staat
unmittelbar seibst delinquiert; vgl. Loening a. a. O. S. 105.
6 Loening a. a. O. S. 109; Krais in Bl. f. adm. Pr. 33 S. 172; v. Sar-
wey,
Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 309 Note 3. G. Meyer, St.R. § 149, scheint aller-
dings die ältere Lehre noch vertreten zu wollen. -- Sehr entschieden ablehnend:
R.G. 8. April 1884 (Samml. XI S. 206).
7 Diese Rechtsprechung setzt allerdings voraus, daß das anzuwendende Civil-
recht den Auftraggeber in umfassender Weise haftbar macht. Das Gebiet des
franz. Rechts und des art. 1384 c. c. weist deshalb die Hauptbeispiele auf. Ein kais.
Förster hat im Elsaß in Ausübung des Waldschutzes den fliehenden Holzfrevler
durch einen Schuß, der ein Schreckschuß sein sollte, getötet. Die Schadens-
ersatzklage der Witwe gegen den Staat wurde vom O.L.G. Colmar (Jurist. Ztschft. f.
Els.Lothr. XII S. 79 ff.) abgewiesen; R.G. 8. Dez. 1882 erkennt dagegen: "die Frage,
ob eine dritte Person für die Verbindlichkeiten einer anderen aus Delikten einzu-

§ 54. Grenzgebiete der staatlichen Entschädigungspflicht.
welchen der Staat von vornherein nicht auf dem Boden des Civilrechts
sich bewegte4.

Von jeher sind die Versuche sehr zahlreich gewesen, auch hierfür
eine Haftung des Staates zu finden, die auf die Rechtswidrigkeit einer
Amtshandlung zu gründen wäre.

Die ältere Theorie glaubte aus dem Subjektionsverhältnis ein
„staatsrechtliches Princip“ für eine solche Haftung gewinnen zu
können; eine staatsrechtliche Haftung wollte sie der civil-
rechtlichen an die Seite stellen. Man quälte sich mit den wunder-
lichsten Konstruktionen, um dieser Forderung ein juristisches Gewand
zu geben und die Kluft zwischen den Begriffen Staat und Rechts-
widrigkeit zu überbrücken5. Die neuere Wissenschaft hat sich zuletzt
in erklärlicher Unbefriedigtheit von der ganzen Idee der staatsrecht-
lichen Haftung abgewendet, und die Gerichte sind ihr gefolgt6.

Die Gerichte haben aber andererseits nicht aufgehört, den Staat
für die Delikte seiner Diener allgemein verantwortlich zu machen.
Sie thun das unter Anrufung der civilrechtlichen Grundsätze
über Haftung des Auftraggebers, auch in Fällen, wo es ganz außer
Zweifel steht, daß öffentliche Verwaltung, Ausübung von „Hoheits-
rechten“, Thätigkeit des „eigentlichen Staates“ vorliegt. Das achtet
man entweder gar nicht als ein Hindernis oder kommt darüber hin-
weg mit Konstruktionen, die an Kühnheit denen der staatsrechtlichen
Haftung nicht nachstehen7.

4 Das wird nicht immer ordentlich geschieden. Richtig Loening, Die Haf-
tung des Staates aus rechtswidrigen Handlungen seiner Beamten S. 53 ff. und
S. 93 ff.
5 Pfeiffer, Prakt. Ausf. II S. 361 ff., III S. 371 ff.; Zachariae in Ztschft.
f. Stsw. XIX S. 582 ff.; Heffter in Arch. d. Crim.R. 1851 S. 458; Simon,
Preuß. St.R. I S. 320. Die Civilisten glauben vielfach dadurch helfen zu können,
daß sie den Beamten für ein „Organ“ des Staates erklären, in welchem der Staat
unmittelbar seibst delinquiert; vgl. Loening a. a. O. S. 105.
6 Loening a. a. O. S. 109; Krais in Bl. f. adm. Pr. 33 S. 172; v. Sar-
wey,
Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 309 Note 3. G. Meyer, St.R. § 149, scheint aller-
dings die ältere Lehre noch vertreten zu wollen. — Sehr entschieden ablehnend:
R.G. 8. April 1884 (Samml. XI S. 206).
7 Diese Rechtsprechung setzt allerdings voraus, daß das anzuwendende Civil-
recht den Auftraggeber in umfassender Weise haftbar macht. Das Gebiet des
franz. Rechts und des art. 1384 c. c. weist deshalb die Hauptbeispiele auf. Ein kais.
Förster hat im Elsaß in Ausübung des Waldschutzes den fliehenden Holzfrevler
durch einen Schuß, der ein Schreckschuß sein sollte, getötet. Die Schadens-
ersatzklage der Witwe gegen den Staat wurde vom O.L.G. Colmar (Jurist. Ztschft. f.
Els.Lothr. XII S. 79 ff.) abgewiesen; R.G. 8. Dez. 1882 erkennt dagegen: „die Frage,
ob eine dritte Person für die Verbindlichkeiten einer anderen aus Delikten einzu-
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[359/0371] § 54. Grenzgebiete der staatlichen Entschädigungspflicht. welchen der Staat von vornherein nicht auf dem Boden des Civilrechts sich bewegte 4. Von jeher sind die Versuche sehr zahlreich gewesen, auch hierfür eine Haftung des Staates zu finden, die auf die Rechtswidrigkeit einer Amtshandlung zu gründen wäre. Die ältere Theorie glaubte aus dem Subjektionsverhältnis ein „staatsrechtliches Princip“ für eine solche Haftung gewinnen zu können; eine staatsrechtliche Haftung wollte sie der civil- rechtlichen an die Seite stellen. Man quälte sich mit den wunder- lichsten Konstruktionen, um dieser Forderung ein juristisches Gewand zu geben und die Kluft zwischen den Begriffen Staat und Rechts- widrigkeit zu überbrücken 5. Die neuere Wissenschaft hat sich zuletzt in erklärlicher Unbefriedigtheit von der ganzen Idee der staatsrecht- lichen Haftung abgewendet, und die Gerichte sind ihr gefolgt 6. Die Gerichte haben aber andererseits nicht aufgehört, den Staat für die Delikte seiner Diener allgemein verantwortlich zu machen. Sie thun das unter Anrufung der civilrechtlichen Grundsätze über Haftung des Auftraggebers, auch in Fällen, wo es ganz außer Zweifel steht, daß öffentliche Verwaltung, Ausübung von „Hoheits- rechten“, Thätigkeit des „eigentlichen Staates“ vorliegt. Das achtet man entweder gar nicht als ein Hindernis oder kommt darüber hin- weg mit Konstruktionen, die an Kühnheit denen der staatsrechtlichen Haftung nicht nachstehen 7. 4 Das wird nicht immer ordentlich geschieden. Richtig Loening, Die Haf- tung des Staates aus rechtswidrigen Handlungen seiner Beamten S. 53 ff. und S. 93 ff. 5 Pfeiffer, Prakt. Ausf. II S. 361 ff., III S. 371 ff.; Zachariae in Ztschft. f. Stsw. XIX S. 582 ff.; Heffter in Arch. d. Crim.R. 1851 S. 458; Simon, Preuß. St.R. I S. 320. Die Civilisten glauben vielfach dadurch helfen zu können, daß sie den Beamten für ein „Organ“ des Staates erklären, in welchem der Staat unmittelbar seibst delinquiert; vgl. Loening a. a. O. S. 105. 6 Loening a. a. O. S. 109; Krais in Bl. f. adm. Pr. 33 S. 172; v. Sar- wey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 309 Note 3. G. Meyer, St.R. § 149, scheint aller- dings die ältere Lehre noch vertreten zu wollen. — Sehr entschieden ablehnend: R.G. 8. April 1884 (Samml. XI S. 206). 7 Diese Rechtsprechung setzt allerdings voraus, daß das anzuwendende Civil- recht den Auftraggeber in umfassender Weise haftbar macht. Das Gebiet des franz. Rechts und des art. 1384 c. c. weist deshalb die Hauptbeispiele auf. Ein kais. Förster hat im Elsaß in Ausübung des Waldschutzes den fliehenden Holzfrevler durch einen Schuß, der ein Schreckschuß sein sollte, getötet. Die Schadens- ersatzklage der Witwe gegen den Staat wurde vom O.L.G. Colmar (Jurist. Ztschft. f. Els.Lothr. XII S. 79 ff.) abgewiesen; R.G. 8. Dez. 1882 erkennt dagegen: „die Frage, ob eine dritte Person für die Verbindlichkeiten einer anderen aus Delikten einzu-

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/371>, abgerufen am 22.11.2024.