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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 47. Gemeine öffentliche Lasten.
Rechtssatz. Nur sagt der Rechtssatz nicht: du sollst dies und jenes
leisten; sondern er sagt: du sollst leisten, was man in gehöriger
Weise von dir fordert. Deshalb ist die Anforderung notwendig, um
die gesetzliche Pflicht zur Vollendung zu bringen. Das schließt nicht
aus, daß die Anforderung gleichwohl in Form eines obrigkeitlichen
Aktes geschehe, durch einen Verwaltungsakt, der die Leistung auf-
erlegt, oder durch einen richterlichen Befehl; das Mehr an Form und
Rechtsbedeutung kann ihrer Wirksamkeit nicht schaden9. Aber es
ist nicht notwendig dafür. Die Anforderung kann wirksam geschehen
von Beamten, welche behördliche Eigenschaft überhaupt nicht haben,
wie von untergeordneten Polizeibediensteten oder Forstbeamten10,
oder welchen wenigstens dem Angeforderten gegenüber eine Befehls-
gewalt nicht zusteht, z. B. von requirierenden Militärbehörden11. Unter
Umständen genügt sogar die Anforderung eines Privaten, der mit der
Wahrnehmung des eigenen Interesses auch das öffentliche Interesse
dadurch geltend zu machen berufen ist12.

9 Bei geordneten Lasten, die ja überhaupt die Stelle der Steuern vertreten,
kann nach deren Vorbild ein Verfahren der Anforderung beobachtet werden, in
welchem die Pflicht der Einzelnen im voraus obrigkeitlich festgesetzt wird durch
einen bindenden Akt, jede für sich oder nach einem Gesamtwerk, einem Kataster.
So namentlich bei Hand- und Spanndiensten für Gemeindewege; das Gleiche mag
aber auch bei Quartierleistungen beobachtet werden. Wenn die Anforderung von
einer Behörde ausgeht, wird sie überhaupt leicht die Gestalt eines Befehles an-
nehmen. Nur muß man noch unterscheiden: wenn z. B. ein gerichtlicher Befehl
vorliegt, jemanden zu laden als Zeugen oder Sachverständigen, so ist das ein Be-
fehl und zwar ein Dienstbefehl an den Zustellungsbeamten, nicht an den Zeugen
oder Sachverständigen; die vollzogene Ladung selbst ist nur eine Anforderung an
diesen.
10 So bei öffentlicher Not oder bei Unglücksfällen nach Stf.G.B. § 360
Ziff. 10. Rüdorff (Stenglein), Kom. zu Stf.G.B 6. Aufl. S. 762: "auch jeder
andere Polizeibeamte, wie Schutzleute, wenn sie an der Stelle des Unglücks allein
die öffentliche Autorität vertreten und Nothülfe leisten". -- Preuß. Feld- u. Forst-
Pol.-Ges. § 44 n. 4 verpflichtet zur Hülfeleistung bei Waldbränden auf Aufforde-
rung eines Forstbeamten.
11 Reichsges. über Kriegsleistungen v. 13. Juni 1873 § 4 Abs. 3.
12 So nach dem oben angeführten § 44 n. 4 des Preuß. Feld- und Forst-
Pol.Ges., wonach auch der Forstbesitzer die öffentliche Hülfeleistungspflicht durch
seine Anforderung wirksam macht. Ein Seitenstück bietet die Ladung des Zeugen,
welche die Partei selbst vornehmen läßt, gemäß Stf.Pr.O. § 219. Die Wirkung
ist, was die Pflicht des Geladenen anlangt, ganz die nämliche, wie wenn das Ge-
richt die Ladung verfügt hätte. Daran zeigt es sich, wie unrichtig es ist, die
Zeugenpflicht auf eine "Gehorsamspflicht gegen die Gerichtsgewalt" zurückzu-
führen. Das Gericht hat sich ja hier geradezu geweigert, einen "Befehl" zu er-
lassen, und ihm zum Trotz wird wirksam geladen.

§ 47. Gemeine öffentliche Lasten.
Rechtssatz. Nur sagt der Rechtssatz nicht: du sollst dies und jenes
leisten; sondern er sagt: du sollst leisten, was man in gehöriger
Weise von dir fordert. Deshalb ist die Anforderung notwendig, um
die gesetzliche Pflicht zur Vollendung zu bringen. Das schließt nicht
aus, daß die Anforderung gleichwohl in Form eines obrigkeitlichen
Aktes geschehe, durch einen Verwaltungsakt, der die Leistung auf-
erlegt, oder durch einen richterlichen Befehl; das Mehr an Form und
Rechtsbedeutung kann ihrer Wirksamkeit nicht schaden9. Aber es
ist nicht notwendig dafür. Die Anforderung kann wirksam geschehen
von Beamten, welche behördliche Eigenschaft überhaupt nicht haben,
wie von untergeordneten Polizeibediensteten oder Forstbeamten10,
oder welchen wenigstens dem Angeforderten gegenüber eine Befehls-
gewalt nicht zusteht, z. B. von requirierenden Militärbehörden11. Unter
Umständen genügt sogar die Anforderung eines Privaten, der mit der
Wahrnehmung des eigenen Interesses auch das öffentliche Interesse
dadurch geltend zu machen berufen ist12.

9 Bei geordneten Lasten, die ja überhaupt die Stelle der Steuern vertreten,
kann nach deren Vorbild ein Verfahren der Anforderung beobachtet werden, in
welchem die Pflicht der Einzelnen im voraus obrigkeitlich festgesetzt wird durch
einen bindenden Akt, jede für sich oder nach einem Gesamtwerk, einem Kataster.
So namentlich bei Hand- und Spanndiensten für Gemeindewege; das Gleiche mag
aber auch bei Quartierleistungen beobachtet werden. Wenn die Anforderung von
einer Behörde ausgeht, wird sie überhaupt leicht die Gestalt eines Befehles an-
nehmen. Nur muß man noch unterscheiden: wenn z. B. ein gerichtlicher Befehl
vorliegt, jemanden zu laden als Zeugen oder Sachverständigen, so ist das ein Be-
fehl und zwar ein Dienstbefehl an den Zustellungsbeamten, nicht an den Zeugen
oder Sachverständigen; die vollzogene Ladung selbst ist nur eine Anforderung an
diesen.
10 So bei öffentlicher Not oder bei Unglücksfällen nach Stf.G.B. § 360
Ziff. 10. Rüdorff (Stenglein), Kom. zu Stf.G.B 6. Aufl. S. 762: „auch jeder
andere Polizeibeamte, wie Schutzleute, wenn sie an der Stelle des Unglücks allein
die öffentliche Autorität vertreten und Nothülfe leisten“. — Preuß. Feld- u. Forst-
Pol.-Ges. § 44 n. 4 verpflichtet zur Hülfeleistung bei Waldbränden auf Aufforde-
rung eines Forstbeamten.
11 Reichsges. über Kriegsleistungen v. 13. Juni 1873 § 4 Abs. 3.
12 So nach dem oben angeführten § 44 n. 4 des Preuß. Feld- und Forst-
Pol.Ges., wonach auch der Forstbesitzer die öffentliche Hülfeleistungspflicht durch
seine Anforderung wirksam macht. Ein Seitenstück bietet die Ladung des Zeugen,
welche die Partei selbst vornehmen läßt, gemäß Stf.Pr.O. § 219. Die Wirkung
ist, was die Pflicht des Geladenen anlangt, ganz die nämliche, wie wenn das Ge-
richt die Ladung verfügt hätte. Daran zeigt es sich, wie unrichtig es ist, die
Zeugenpflicht auf eine „Gehorsamspflicht gegen die Gerichtsgewalt“ zurückzu-
führen. Das Gericht hat sich ja hier geradezu geweigert, einen „Befehl“ zu er-
lassen, und ihm zum Trotz wird wirksam geladen.
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[271/0283] § 47. Gemeine öffentliche Lasten. Rechtssatz. Nur sagt der Rechtssatz nicht: du sollst dies und jenes leisten; sondern er sagt: du sollst leisten, was man in gehöriger Weise von dir fordert. Deshalb ist die Anforderung notwendig, um die gesetzliche Pflicht zur Vollendung zu bringen. Das schließt nicht aus, daß die Anforderung gleichwohl in Form eines obrigkeitlichen Aktes geschehe, durch einen Verwaltungsakt, der die Leistung auf- erlegt, oder durch einen richterlichen Befehl; das Mehr an Form und Rechtsbedeutung kann ihrer Wirksamkeit nicht schaden 9. Aber es ist nicht notwendig dafür. Die Anforderung kann wirksam geschehen von Beamten, welche behördliche Eigenschaft überhaupt nicht haben, wie von untergeordneten Polizeibediensteten oder Forstbeamten 10, oder welchen wenigstens dem Angeforderten gegenüber eine Befehls- gewalt nicht zusteht, z. B. von requirierenden Militärbehörden 11. Unter Umständen genügt sogar die Anforderung eines Privaten, der mit der Wahrnehmung des eigenen Interesses auch das öffentliche Interesse dadurch geltend zu machen berufen ist 12. 9 Bei geordneten Lasten, die ja überhaupt die Stelle der Steuern vertreten, kann nach deren Vorbild ein Verfahren der Anforderung beobachtet werden, in welchem die Pflicht der Einzelnen im voraus obrigkeitlich festgesetzt wird durch einen bindenden Akt, jede für sich oder nach einem Gesamtwerk, einem Kataster. So namentlich bei Hand- und Spanndiensten für Gemeindewege; das Gleiche mag aber auch bei Quartierleistungen beobachtet werden. Wenn die Anforderung von einer Behörde ausgeht, wird sie überhaupt leicht die Gestalt eines Befehles an- nehmen. Nur muß man noch unterscheiden: wenn z. B. ein gerichtlicher Befehl vorliegt, jemanden zu laden als Zeugen oder Sachverständigen, so ist das ein Be- fehl und zwar ein Dienstbefehl an den Zustellungsbeamten, nicht an den Zeugen oder Sachverständigen; die vollzogene Ladung selbst ist nur eine Anforderung an diesen. 10 So bei öffentlicher Not oder bei Unglücksfällen nach Stf.G.B. § 360 Ziff. 10. Rüdorff (Stenglein), Kom. zu Stf.G.B 6. Aufl. S. 762: „auch jeder andere Polizeibeamte, wie Schutzleute, wenn sie an der Stelle des Unglücks allein die öffentliche Autorität vertreten und Nothülfe leisten“. — Preuß. Feld- u. Forst- Pol.-Ges. § 44 n. 4 verpflichtet zur Hülfeleistung bei Waldbränden auf Aufforde- rung eines Forstbeamten. 11 Reichsges. über Kriegsleistungen v. 13. Juni 1873 § 4 Abs. 3. 12 So nach dem oben angeführten § 44 n. 4 des Preuß. Feld- und Forst- Pol.Ges., wonach auch der Forstbesitzer die öffentliche Hülfeleistungspflicht durch seine Anforderung wirksam macht. Ein Seitenstück bietet die Ladung des Zeugen, welche die Partei selbst vornehmen läßt, gemäß Stf.Pr.O. § 219. Die Wirkung ist, was die Pflicht des Geladenen anlangt, ganz die nämliche, wie wenn das Ge- richt die Ladung verfügt hätte. Daran zeigt es sich, wie unrichtig es ist, die Zeugenpflicht auf eine „Gehorsamspflicht gegen die Gerichtsgewalt“ zurückzu- führen. Das Gericht hat sich ja hier geradezu geweigert, einen „Befehl“ zu er- lassen, und ihm zum Trotz wird wirksam geladen.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/283>, abgerufen am 24.11.2024.