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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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Das öffentliche Sachenrecht.
dahin geht, das Maß der öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkungen
mehr und mehr auszudehnen16.

3. Die Art, wie die öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung im
Einzelfalle zur Wirksamkeit gelangt, hat keine eigne juristische
Form
. Insbesondere erhält sie nicht, wie die auferlegte öffentlich-
rechtliche Grunddienstbarkeit (oben § 32, II), jedesmal erst ihre
rechtliche Bestimmtheit durch einen Verwaltungsakt, der das weitere
Vorgehen einzuleiten hätte. Die Verwirklichung des Rechtsinstituts
vollzieht sich schlechthin durch die unmittelbare That, oder besser
gesagt, da eine Willensthätigkeit nicht notwendig dazu gehört, durch
die einfache äußerliche Thatsache, daß aus dem Getriebe
der öffentlichen Verwaltung heraus eine Einwirkung auf das Grund-
stück im Rahmen der Eigentumsbeschränkung vor sich geht. Das
kann ein absichtliches Handeln sein; möglicherweise geschieht der
Eingriff planmäßig: die Plätze für die Straßenlaternen, für die
Straßenschilder, für die Postbriefkasten werden sorgfältig ausgesucht.
Er kann auch blindlings treffen wollen, was er gerade trifft: die
attackierende Schwadron im Manöver rast ohne Wahl über die Äcker
hinweg. Die Einwirkung kann geradezu gegen die Absicht der für
den Staat handelnden Personen vor sich gehen: die verirrten Kugeln

16 Meili, Die Telegraphie und Telephonie in ihrer rechtlichen Bedeutung
für die kaufmännische Welt S. 32 ff., hat sehr gut darauf hingewiesen, wie gerade
diese von ihm besprochenen Einrichtungen dahin führten, gewisse Grenzen des
Eigentums hervortreten zu lassen. Von dem "Recht der Luftschiffahrt" erwartet
er demnächst eine weitere Entfaltung dieses Gedankens. Wenn er meint, es werde
damit "die sociale Bedeutung des Eigentums" betont, so glauben wir die leitende
Rechtsidee bestimmter zum Ausdruck gebracht zu haben, indem wir sie gründen
auf das Verhältnis des Einzelnen zur öffentlichen Verwaltung. Meili legt auch
den Hauptwert auf eine räumliche Begrenzung der Kraft des Eigentums, vermöge
deren es der im Luftraum darüber gespannten Telephondrahtnetze und der in den
Untergrund gelegten Kabel sich nicht erwehren kann. Uns handelt es sich um
eine allgemeine Widerstandsunfähigkeit gegen äußerliche Beeinträchtigungen durch
die öffentliche Verwaltung; jenes Darüber und Darunter giebt bloß Beispiele von
solchen.
Die Entwicklung vollzieht sich natürlich immer am leichtesten, wenn die neu
auftauchende Inanspruchnahme anknüpfen kann an eine verwandte, die schon
vorausging. So haben die alten Kästen zum Herabdrehen der Öllampen, die an
den Häusermauern angebracht waren, den Gaslaternenarmen den Weg bereitet;
der spärliche Telegraphendraht hat das Grundeigentum darauf vorbereitet, duldsam
zu werden für die Netze des Telephons. Die bescheidene Porzellanscheibe für den
ersteren fand leicht ihren unbestrittenen Platz an den Häuserecken und Vor-
sprüngen; das schwere Telephonkreuz, das die Verwaltung auf die Dächer setzen
läßt, ist seiner Berechtigung nach nicht sicher; es wird aber zweifellos folgen,
auch ohne Gesetz.

Das öffentliche Sachenrecht.
dahin geht, das Maß der öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkungen
mehr und mehr auszudehnen16.

3. Die Art, wie die öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung im
Einzelfalle zur Wirksamkeit gelangt, hat keine eigne juristische
Form
. Insbesondere erhält sie nicht, wie die auferlegte öffentlich-
rechtliche Grunddienstbarkeit (oben § 32, II), jedesmal erst ihre
rechtliche Bestimmtheit durch einen Verwaltungsakt, der das weitere
Vorgehen einzuleiten hätte. Die Verwirklichung des Rechtsinstituts
vollzieht sich schlechthin durch die unmittelbare That, oder besser
gesagt, da eine Willensthätigkeit nicht notwendig dazu gehört, durch
die einfache äußerliche Thatsache, daß aus dem Getriebe
der öffentlichen Verwaltung heraus eine Einwirkung auf das Grund-
stück im Rahmen der Eigentumsbeschränkung vor sich geht. Das
kann ein absichtliches Handeln sein; möglicherweise geschieht der
Eingriff planmäßig: die Plätze für die Straßenlaternen, für die
Straßenschilder, für die Postbriefkasten werden sorgfältig ausgesucht.
Er kann auch blindlings treffen wollen, was er gerade trifft: die
attackierende Schwadron im Manöver rast ohne Wahl über die Äcker
hinweg. Die Einwirkung kann geradezu gegen die Absicht der für
den Staat handelnden Personen vor sich gehen: die verirrten Kugeln

16 Meili, Die Telegraphie und Telephonie in ihrer rechtlichen Bedeutung
für die kaufmännische Welt S. 32 ff., hat sehr gut darauf hingewiesen, wie gerade
diese von ihm besprochenen Einrichtungen dahin führten, gewisse Grenzen des
Eigentums hervortreten zu lassen. Von dem „Recht der Luftschiffahrt“ erwartet
er demnächst eine weitere Entfaltung dieses Gedankens. Wenn er meint, es werde
damit „die sociale Bedeutung des Eigentums“ betont, so glauben wir die leitende
Rechtsidee bestimmter zum Ausdruck gebracht zu haben, indem wir sie gründen
auf das Verhältnis des Einzelnen zur öffentlichen Verwaltung. Meili legt auch
den Hauptwert auf eine räumliche Begrenzung der Kraft des Eigentums, vermöge
deren es der im Luftraum darüber gespannten Telephondrahtnetze und der in den
Untergrund gelegten Kabel sich nicht erwehren kann. Uns handelt es sich um
eine allgemeine Widerstandsunfähigkeit gegen äußerliche Beeinträchtigungen durch
die öffentliche Verwaltung; jenes Darüber und Darunter giebt bloß Beispiele von
solchen.
Die Entwicklung vollzieht sich natürlich immer am leichtesten, wenn die neu
auftauchende Inanspruchnahme anknüpfen kann an eine verwandte, die schon
vorausging. So haben die alten Kästen zum Herabdrehen der Öllampen, die an
den Häusermauern angebracht waren, den Gaslaternenarmen den Weg bereitet;
der spärliche Telegraphendraht hat das Grundeigentum darauf vorbereitet, duldsam
zu werden für die Netze des Telephons. Die bescheidene Porzellanscheibe für den
ersteren fand leicht ihren unbestrittenen Platz an den Häuserecken und Vor-
sprüngen; das schwere Telephonkreuz, das die Verwaltung auf die Dächer setzen
läßt, ist seiner Berechtigung nach nicht sicher; es wird aber zweifellos folgen,
auch ohne Gesetz.
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[190/0202] Das öffentliche Sachenrecht. dahin geht, das Maß der öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkungen mehr und mehr auszudehnen 16. 3. Die Art, wie die öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung im Einzelfalle zur Wirksamkeit gelangt, hat keine eigne juristische Form. Insbesondere erhält sie nicht, wie die auferlegte öffentlich- rechtliche Grunddienstbarkeit (oben § 32, II), jedesmal erst ihre rechtliche Bestimmtheit durch einen Verwaltungsakt, der das weitere Vorgehen einzuleiten hätte. Die Verwirklichung des Rechtsinstituts vollzieht sich schlechthin durch die unmittelbare That, oder besser gesagt, da eine Willensthätigkeit nicht notwendig dazu gehört, durch die einfache äußerliche Thatsache, daß aus dem Getriebe der öffentlichen Verwaltung heraus eine Einwirkung auf das Grund- stück im Rahmen der Eigentumsbeschränkung vor sich geht. Das kann ein absichtliches Handeln sein; möglicherweise geschieht der Eingriff planmäßig: die Plätze für die Straßenlaternen, für die Straßenschilder, für die Postbriefkasten werden sorgfältig ausgesucht. Er kann auch blindlings treffen wollen, was er gerade trifft: die attackierende Schwadron im Manöver rast ohne Wahl über die Äcker hinweg. Die Einwirkung kann geradezu gegen die Absicht der für den Staat handelnden Personen vor sich gehen: die verirrten Kugeln 16 Meili, Die Telegraphie und Telephonie in ihrer rechtlichen Bedeutung für die kaufmännische Welt S. 32 ff., hat sehr gut darauf hingewiesen, wie gerade diese von ihm besprochenen Einrichtungen dahin führten, gewisse Grenzen des Eigentums hervortreten zu lassen. Von dem „Recht der Luftschiffahrt“ erwartet er demnächst eine weitere Entfaltung dieses Gedankens. Wenn er meint, es werde damit „die sociale Bedeutung des Eigentums“ betont, so glauben wir die leitende Rechtsidee bestimmter zum Ausdruck gebracht zu haben, indem wir sie gründen auf das Verhältnis des Einzelnen zur öffentlichen Verwaltung. Meili legt auch den Hauptwert auf eine räumliche Begrenzung der Kraft des Eigentums, vermöge deren es der im Luftraum darüber gespannten Telephondrahtnetze und der in den Untergrund gelegten Kabel sich nicht erwehren kann. Uns handelt es sich um eine allgemeine Widerstandsunfähigkeit gegen äußerliche Beeinträchtigungen durch die öffentliche Verwaltung; jenes Darüber und Darunter giebt bloß Beispiele von solchen. Die Entwicklung vollzieht sich natürlich immer am leichtesten, wenn die neu auftauchende Inanspruchnahme anknüpfen kann an eine verwandte, die schon vorausging. So haben die alten Kästen zum Herabdrehen der Öllampen, die an den Häusermauern angebracht waren, den Gaslaternenarmen den Weg bereitet; der spärliche Telegraphendraht hat das Grundeigentum darauf vorbereitet, duldsam zu werden für die Netze des Telephons. Die bescheidene Porzellanscheibe für den ersteren fand leicht ihren unbestrittenen Platz an den Häuserecken und Vor- sprüngen; das schwere Telephonkreuz, das die Verwaltung auf die Dächer setzen läßt, ist seiner Berechtigung nach nicht sicher; es wird aber zweifellos folgen, auch ohne Gesetz.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/202>, abgerufen am 22.11.2024.