Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.Das öffentliche Sachenrecht. mächtigung die Enteignung durchgeführt wird, hat als hervor-stechendstes Merkmal eine eigentümliche Verteilung der dafür zu entwickelnden Thätigkeiten. Es ist eine bekannte Forde- rung des Rechtsstaates, daß die Beziehungen zwischen der öffent- lichen Verwaltung und dem Unterthanen statt durch einfaches that- sächliches Vorgehen, jeweils auch im Einzelfall bestimmt werden durch bindende obrigkeitliche Aussprüche über das, was Rechtens sein soll. Der Verwaltungsakt dient dazu (Bd. I S. 66, 95). Das erscheint nun hier in der verschärften Gestalt, daß der Verwaltungs- akt losgelöst wird von der sonstigen Führung des öffentlichen Unter- nehmens, für das er ergeht, und besonderen Enteignungs- behörden vorbehalten7. Die Verteilung der Rollen ist die, daß der ganze Entschluß zu enteignen und die Wahl der zu ergreifenden Gegenstände nach wie vor aus dem Verwaltungszweige hervorgeht, dem das Unternehmen angehört, die Enteignungsbehörde daran nur eine beschränkte Nachprüfung vornimmt. Diese Prüfung erstreckt sich nicht bloß auf die Rechtsfrage der gesetzlichen Zulässigkeit, sondern enthält zugleich ein Abwägen des öffentlichen Interesses nach der Richtung hin, ob es stark genug ist, dem Unterthanen gegenüber den Eingriff zu rechtfertigen (unten II n. 1 und III S. 27). Alles was sonst noch auf den Entschluß des Unternehmers von Einfluß sein kann, die Rücksicht auf erforderlichen Aufwand und vorhandene Mittel oder erwartete Nebenvorteile, bleibt außer Ansatz. Die Ent- eignungsbehörde tritt also in dieser Beziehung nicht schlechthin an die Stelle des Unternehmers. Wohl aber thut sie das ganz im Ver- hältnis nach außen; hier wirkt nur ihr Akt, nur durch ihn kann sich die Enteignung vollziehen. Der Wille des Unternehmers hat hier- für keine eigene Kraft; er erscheint dabei als bloßer Antragsteller, als betreibender Teil. Das Gesamtbild bekommt große Ähnlichkeit mit einem gerichtlichen 7 Die französische Gesetzgebung, welche anerkanntermaßen unserem ganzen
deutschen Enteignungsrecht als Vorlage gedient hat (Grünhut, Ent.R. S. 46; Seydel, Bayr. St.R. III S. 624), verschärft diesen Gedanken noch durch eine ganz seltsame Hereinziehung des Civilgerichts; Theorie d. Franz. V.R. S. 236 ff. Das öffentliche Sachenrecht. mächtigung die Enteignung durchgeführt wird, hat als hervor-stechendstes Merkmal eine eigentümliche Verteilung der dafür zu entwickelnden Thätigkeiten. Es ist eine bekannte Forde- rung des Rechtsstaates, daß die Beziehungen zwischen der öffent- lichen Verwaltung und dem Unterthanen statt durch einfaches that- sächliches Vorgehen, jeweils auch im Einzelfall bestimmt werden durch bindende obrigkeitliche Aussprüche über das, was Rechtens sein soll. Der Verwaltungsakt dient dazu (Bd. I S. 66, 95). Das erscheint nun hier in der verschärften Gestalt, daß der Verwaltungs- akt losgelöst wird von der sonstigen Führung des öffentlichen Unter- nehmens, für das er ergeht, und besonderen Enteignungs- behörden vorbehalten7. Die Verteilung der Rollen ist die, daß der ganze Entschluß zu enteignen und die Wahl der zu ergreifenden Gegenstände nach wie vor aus dem Verwaltungszweige hervorgeht, dem das Unternehmen angehört, die Enteignungsbehörde daran nur eine beschränkte Nachprüfung vornimmt. Diese Prüfung erstreckt sich nicht bloß auf die Rechtsfrage der gesetzlichen Zulässigkeit, sondern enthält zugleich ein Abwägen des öffentlichen Interesses nach der Richtung hin, ob es stark genug ist, dem Unterthanen gegenüber den Eingriff zu rechtfertigen (unten II n. 1 und III S. 27). Alles was sonst noch auf den Entschluß des Unternehmers von Einfluß sein kann, die Rücksicht auf erforderlichen Aufwand und vorhandene Mittel oder erwartete Nebenvorteile, bleibt außer Ansatz. Die Ent- eignungsbehörde tritt also in dieser Beziehung nicht schlechthin an die Stelle des Unternehmers. Wohl aber thut sie das ganz im Ver- hältnis nach außen; hier wirkt nur ihr Akt, nur durch ihn kann sich die Enteignung vollziehen. Der Wille des Unternehmers hat hier- für keine eigene Kraft; er erscheint dabei als bloßer Antragsteller, als betreibender Teil. Das Gesamtbild bekommt große Ähnlichkeit mit einem gerichtlichen 7 Die französische Gesetzgebung, welche anerkanntermaßen unserem ganzen
deutschen Enteignungsrecht als Vorlage gedient hat (Grünhut, Ent.R. S. 46; Seydel, Bayr. St.R. III S. 624), verschärft diesen Gedanken noch durch eine ganz seltsame Hereinziehung des Civilgerichts; Theorie d. Franz. V.R. S. 236 ff. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0020" n="8"/><fw place="top" type="header">Das öffentliche Sachenrecht.</fw><lb/> mächtigung die Enteignung durchgeführt wird, hat als hervor-<lb/> stechendstes Merkmal eine eigentümliche <hi rendition="#g">Verteilung der dafür<lb/> zu entwickelnden Thätigkeiten</hi>. Es ist eine bekannte Forde-<lb/> rung des Rechtsstaates, daß die Beziehungen zwischen der öffent-<lb/> lichen Verwaltung und dem Unterthanen statt durch einfaches that-<lb/> sächliches Vorgehen, jeweils auch im Einzelfall bestimmt werden<lb/> durch bindende obrigkeitliche Aussprüche über das, was Rechtens<lb/> sein soll. Der Verwaltungsakt dient dazu (Bd. I S. 66, 95). Das<lb/> erscheint nun hier in der verschärften Gestalt, daß der Verwaltungs-<lb/> akt losgelöst wird von der sonstigen Führung des öffentlichen Unter-<lb/> nehmens, für das er ergeht, und besonderen <hi rendition="#g">Enteignungs-<lb/> behörden</hi> vorbehalten<note place="foot" n="7">Die französische Gesetzgebung, welche anerkanntermaßen unserem ganzen<lb/> deutschen Enteignungsrecht als Vorlage gedient hat (<hi rendition="#g">Grünhut,</hi> Ent.R. S. 46;<lb/><hi rendition="#g">Seydel,</hi> Bayr. St.R. III S. 624), verschärft diesen Gedanken noch durch eine<lb/> ganz seltsame Hereinziehung des Civilgerichts; Theorie d. Franz. V.R. S. 236 ff.</note>. Die Verteilung der Rollen ist die, daß<lb/> der ganze Entschluß zu enteignen und die Wahl der zu ergreifenden<lb/> Gegenstände nach wie vor aus dem Verwaltungszweige hervorgeht,<lb/> dem das Unternehmen angehört, die Enteignungsbehörde daran nur<lb/> eine beschränkte Nachprüfung vornimmt. Diese Prüfung erstreckt<lb/> sich nicht bloß auf die Rechtsfrage der gesetzlichen Zulässigkeit,<lb/> sondern enthält zugleich ein Abwägen des öffentlichen Interesses nach<lb/> der Richtung hin, ob es stark genug ist, dem Unterthanen gegenüber<lb/> den Eingriff zu rechtfertigen (unten II n. 1 und III S. 27). Alles<lb/> was sonst noch auf den Entschluß des Unternehmers von Einfluß<lb/> sein kann, die Rücksicht auf erforderlichen Aufwand und vorhandene<lb/> Mittel oder erwartete Nebenvorteile, bleibt außer Ansatz. Die Ent-<lb/> eignungsbehörde tritt also in dieser Beziehung nicht schlechthin an<lb/> die Stelle des Unternehmers. Wohl aber thut sie das ganz im Ver-<lb/> hältnis <hi rendition="#g">nach außen;</hi> hier wirkt nur ihr Akt, nur durch ihn kann<lb/> sich die Enteignung vollziehen. Der Wille des Unternehmers hat hier-<lb/> für keine eigene Kraft; er erscheint dabei als bloßer Antragsteller,<lb/> als betreibender Teil.</p><lb/> <p>Das Gesamtbild bekommt große Ähnlichkeit mit einem gerichtlichen<lb/> Prozeßverfahren. Der Eindruck wird noch gesteigert dadurch, daß<lb/> der Unternehmer auch ein anderes Rechtssubjekt sein kann als der<lb/> Staat, der Enteignungsausspruch dagegen stets von der staatlichen<lb/> Behörde erfolgt und im Namen des Staates, wie der Spruch des Ge-<lb/> richtes. Aber der ganze innere Zusammenhang ist ein anderer. Das<lb/> Gericht ist dazu da, dem Kläger den obrigkeitlichen Schutz zu ge-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [8/0020]
Das öffentliche Sachenrecht.
mächtigung die Enteignung durchgeführt wird, hat als hervor-
stechendstes Merkmal eine eigentümliche Verteilung der dafür
zu entwickelnden Thätigkeiten. Es ist eine bekannte Forde-
rung des Rechtsstaates, daß die Beziehungen zwischen der öffent-
lichen Verwaltung und dem Unterthanen statt durch einfaches that-
sächliches Vorgehen, jeweils auch im Einzelfall bestimmt werden
durch bindende obrigkeitliche Aussprüche über das, was Rechtens
sein soll. Der Verwaltungsakt dient dazu (Bd. I S. 66, 95). Das
erscheint nun hier in der verschärften Gestalt, daß der Verwaltungs-
akt losgelöst wird von der sonstigen Führung des öffentlichen Unter-
nehmens, für das er ergeht, und besonderen Enteignungs-
behörden vorbehalten 7. Die Verteilung der Rollen ist die, daß
der ganze Entschluß zu enteignen und die Wahl der zu ergreifenden
Gegenstände nach wie vor aus dem Verwaltungszweige hervorgeht,
dem das Unternehmen angehört, die Enteignungsbehörde daran nur
eine beschränkte Nachprüfung vornimmt. Diese Prüfung erstreckt
sich nicht bloß auf die Rechtsfrage der gesetzlichen Zulässigkeit,
sondern enthält zugleich ein Abwägen des öffentlichen Interesses nach
der Richtung hin, ob es stark genug ist, dem Unterthanen gegenüber
den Eingriff zu rechtfertigen (unten II n. 1 und III S. 27). Alles
was sonst noch auf den Entschluß des Unternehmers von Einfluß
sein kann, die Rücksicht auf erforderlichen Aufwand und vorhandene
Mittel oder erwartete Nebenvorteile, bleibt außer Ansatz. Die Ent-
eignungsbehörde tritt also in dieser Beziehung nicht schlechthin an
die Stelle des Unternehmers. Wohl aber thut sie das ganz im Ver-
hältnis nach außen; hier wirkt nur ihr Akt, nur durch ihn kann
sich die Enteignung vollziehen. Der Wille des Unternehmers hat hier-
für keine eigene Kraft; er erscheint dabei als bloßer Antragsteller,
als betreibender Teil.
Das Gesamtbild bekommt große Ähnlichkeit mit einem gerichtlichen
Prozeßverfahren. Der Eindruck wird noch gesteigert dadurch, daß
der Unternehmer auch ein anderes Rechtssubjekt sein kann als der
Staat, der Enteignungsausspruch dagegen stets von der staatlichen
Behörde erfolgt und im Namen des Staates, wie der Spruch des Ge-
richtes. Aber der ganze innere Zusammenhang ist ein anderer. Das
Gericht ist dazu da, dem Kläger den obrigkeitlichen Schutz zu ge-
7 Die französische Gesetzgebung, welche anerkanntermaßen unserem ganzen
deutschen Enteignungsrecht als Vorlage gedient hat (Grünhut, Ent.R. S. 46;
Seydel, Bayr. St.R. III S. 624), verschärft diesen Gedanken noch durch eine
ganz seltsame Hereinziehung des Civilgerichts; Theorie d. Franz. V.R. S. 236 ff.
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