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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 33. Enteignungsverfahren.
lichen Ordnung kann dadurch genügt werden, daß das Gesetz die
Enteignung unmittelbar selbst ausspricht, wie dadurch, daß es die
Regierung oder ein Glied der Behördenordnung dazu ermächtigt.
Im Sinne des Rechtsstaats aber ist es, wenn es seine Gewalt mög-
lichst nur so verwendet, daß es in allgemeinen Regeln ordnet, was
im Einzelfalle geschehen soll. Die Behörden handeln dann in Ge-
bundenheit an diese Rechtssätze und das Vorbild der Civilrechtspflege
ist wieder befolgt5.

Die rechtssatzmäßige Regelung kann freilich hier nicht so weit
gehen, daß im Einzelfalle schlechthin nur das Gesetz anzuwenden
wäre, wie das z. B. bei der Steuererhebung, bei der strafrechtlichen
Einziehung, der Fall ist. Es gehört zum Wesen der Enteignung,
daß sie in gewissem Maße frei und beweglich bleibe, um im Einzel-
fall zu bestimmen, was der Lebendigkeit des öffentlichen Unter-
nehmens entspricht. Das Gesetz wird also den Spielraum, welchen
es der Verwaltung lassen muß, nur nach Thunlichkeit rechtlich um-
grenzen, indem es Voraussetzungen und Schranken dafür aufstellt und
Formen des Verfahrens zu beobachten giebt6.

Zunächst, wenn nichts weiter dazwischen käme, würden diese ge-
setzlichen Ermächtigungen, fremdes Eigentum zu nehmen, einfach zu
denken sein als für das öffentliche Unternehmen, d. h. für den Unter-
nehmer gegeben, also je nachdem für den Staat oder für den, der
sonst als Herr dieses Stückes öffentlicher Verwaltung an seiner Stelle
steht. Wo die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind und sonach
die Möglichkeit für ihn besteht, zuzugreifen, wäre für diesen das
Enteignungsrecht begründet, ein subjektives öffentliches Recht
in dem Bd. I S. 106 bestimmten Sinn, ein Recht von derselben Natur
wie das, Friedensleistungen für militärische Zwecke in Anspruch zu
nehmen oder einen Polizeibefehl zu erlassen. So bleibt es aber nicht.

2. Das Verfahren, in welchem auf Grund der gesetzlichen Er-

5 Dem wird es gleichstehen, wenn das allgemeine Enteignungsgesetz den
Vollzug der Enteignung im Einzelfall einem Akte des Gesetzes selbst vorbehält:
Franz. Ges. v. 3. Mai 1841 art. 3; Hamb. Ges. v. 14. Juli 1879; Brem. Verord.
v. 14. Juni 1843. Das ist dann ein Verwaltungsakt in Gesetzesform (Bd. I S. 12).
Allerdings kann dieses Gesetz jederzeit aus der Rolle fallen und sich auf seine
Allmacht besinnen. Insofern ist hier, wie v. Rohland, Ent.R. S. 26 bemerkt,
"der Schutz gegen einen Mißbrauch des Enteignungsrechtes problematisch", oder,
wie wir es ausdrücken würden: die Formen des Rechtsstaates sind nicht gesichert.
6 Die Enteignung bleibt dabei immer, wie Prazak, R. d. Ent. es ausdrückt,
"jene Funktion der Verwaltung, kraft welcher dieselbe im Grunde freien Ent-
schlusses ein Recht aufhebt oder beschränkt".

§ 33. Enteignungsverfahren.
lichen Ordnung kann dadurch genügt werden, daß das Gesetz die
Enteignung unmittelbar selbst ausspricht, wie dadurch, daß es die
Regierung oder ein Glied der Behördenordnung dazu ermächtigt.
Im Sinne des Rechtsstaats aber ist es, wenn es seine Gewalt mög-
lichst nur so verwendet, daß es in allgemeinen Regeln ordnet, was
im Einzelfalle geschehen soll. Die Behörden handeln dann in Ge-
bundenheit an diese Rechtssätze und das Vorbild der Civilrechtspflege
ist wieder befolgt5.

Die rechtssatzmäßige Regelung kann freilich hier nicht so weit
gehen, daß im Einzelfalle schlechthin nur das Gesetz anzuwenden
wäre, wie das z. B. bei der Steuererhebung, bei der strafrechtlichen
Einziehung, der Fall ist. Es gehört zum Wesen der Enteignung,
daß sie in gewissem Maße frei und beweglich bleibe, um im Einzel-
fall zu bestimmen, was der Lebendigkeit des öffentlichen Unter-
nehmens entspricht. Das Gesetz wird also den Spielraum, welchen
es der Verwaltung lassen muß, nur nach Thunlichkeit rechtlich um-
grenzen, indem es Voraussetzungen und Schranken dafür aufstellt und
Formen des Verfahrens zu beobachten giebt6.

Zunächst, wenn nichts weiter dazwischen käme, würden diese ge-
setzlichen Ermächtigungen, fremdes Eigentum zu nehmen, einfach zu
denken sein als für das öffentliche Unternehmen, d. h. für den Unter-
nehmer gegeben, also je nachdem für den Staat oder für den, der
sonst als Herr dieses Stückes öffentlicher Verwaltung an seiner Stelle
steht. Wo die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind und sonach
die Möglichkeit für ihn besteht, zuzugreifen, wäre für diesen das
Enteignungsrecht begründet, ein subjektives öffentliches Recht
in dem Bd. I S. 106 bestimmten Sinn, ein Recht von derselben Natur
wie das, Friedensleistungen für militärische Zwecke in Anspruch zu
nehmen oder einen Polizeibefehl zu erlassen. So bleibt es aber nicht.

2. Das Verfahren, in welchem auf Grund der gesetzlichen Er-

5 Dem wird es gleichstehen, wenn das allgemeine Enteignungsgesetz den
Vollzug der Enteignung im Einzelfall einem Akte des Gesetzes selbst vorbehält:
Franz. Ges. v. 3. Mai 1841 art. 3; Hamb. Ges. v. 14. Juli 1879; Brem. Verord.
v. 14. Juni 1843. Das ist dann ein Verwaltungsakt in Gesetzesform (Bd. I S. 12).
Allerdings kann dieses Gesetz jederzeit aus der Rolle fallen und sich auf seine
Allmacht besinnen. Insofern ist hier, wie v. Rohland, Ent.R. S. 26 bemerkt,
„der Schutz gegen einen Mißbrauch des Enteignungsrechtes problematisch“, oder,
wie wir es ausdrücken würden: die Formen des Rechtsstaates sind nicht gesichert.
6 Die Enteignung bleibt dabei immer, wie Prazak, R. d. Ent. es ausdrückt,
„jene Funktion der Verwaltung, kraft welcher dieselbe im Grunde freien Ent-
schlusses ein Recht aufhebt oder beschränkt“.
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[7/0019] § 33. Enteignungsverfahren. lichen Ordnung kann dadurch genügt werden, daß das Gesetz die Enteignung unmittelbar selbst ausspricht, wie dadurch, daß es die Regierung oder ein Glied der Behördenordnung dazu ermächtigt. Im Sinne des Rechtsstaats aber ist es, wenn es seine Gewalt mög- lichst nur so verwendet, daß es in allgemeinen Regeln ordnet, was im Einzelfalle geschehen soll. Die Behörden handeln dann in Ge- bundenheit an diese Rechtssätze und das Vorbild der Civilrechtspflege ist wieder befolgt 5. Die rechtssatzmäßige Regelung kann freilich hier nicht so weit gehen, daß im Einzelfalle schlechthin nur das Gesetz anzuwenden wäre, wie das z. B. bei der Steuererhebung, bei der strafrechtlichen Einziehung, der Fall ist. Es gehört zum Wesen der Enteignung, daß sie in gewissem Maße frei und beweglich bleibe, um im Einzel- fall zu bestimmen, was der Lebendigkeit des öffentlichen Unter- nehmens entspricht. Das Gesetz wird also den Spielraum, welchen es der Verwaltung lassen muß, nur nach Thunlichkeit rechtlich um- grenzen, indem es Voraussetzungen und Schranken dafür aufstellt und Formen des Verfahrens zu beobachten giebt 6. Zunächst, wenn nichts weiter dazwischen käme, würden diese ge- setzlichen Ermächtigungen, fremdes Eigentum zu nehmen, einfach zu denken sein als für das öffentliche Unternehmen, d. h. für den Unter- nehmer gegeben, also je nachdem für den Staat oder für den, der sonst als Herr dieses Stückes öffentlicher Verwaltung an seiner Stelle steht. Wo die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind und sonach die Möglichkeit für ihn besteht, zuzugreifen, wäre für diesen das Enteignungsrecht begründet, ein subjektives öffentliches Recht in dem Bd. I S. 106 bestimmten Sinn, ein Recht von derselben Natur wie das, Friedensleistungen für militärische Zwecke in Anspruch zu nehmen oder einen Polizeibefehl zu erlassen. So bleibt es aber nicht. 2. Das Verfahren, in welchem auf Grund der gesetzlichen Er- 5 Dem wird es gleichstehen, wenn das allgemeine Enteignungsgesetz den Vollzug der Enteignung im Einzelfall einem Akte des Gesetzes selbst vorbehält: Franz. Ges. v. 3. Mai 1841 art. 3; Hamb. Ges. v. 14. Juli 1879; Brem. Verord. v. 14. Juni 1843. Das ist dann ein Verwaltungsakt in Gesetzesform (Bd. I S. 12). Allerdings kann dieses Gesetz jederzeit aus der Rolle fallen und sich auf seine Allmacht besinnen. Insofern ist hier, wie v. Rohland, Ent.R. S. 26 bemerkt, „der Schutz gegen einen Mißbrauch des Enteignungsrechtes problematisch“, oder, wie wir es ausdrücken würden: die Formen des Rechtsstaates sind nicht gesichert. 6 Die Enteignung bleibt dabei immer, wie Prazak, R. d. Ent. es ausdrückt, „jene Funktion der Verwaltung, kraft welcher dieselbe im Grunde freien Ent- schlusses ein Recht aufhebt oder beschränkt“.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/19>, abgerufen am 21.11.2024.