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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 37. Der Gemeingebrauch.

Der Straßenboden selbst vor dem Hause wird in einer Weise in
Anspruch genommen, die über den Verkehr hinaus geht. Wagen
halten daselbst und werden abgeladen, Brennholz wird niedergelegt,
vielleicht auch klein gemacht. Das kann geradezu verkehrsstörend
werden, geschieht aber ohne Erlaubnis kraft selbstverständlichen Rechtes
des Gemeingebrauchs14.

Gerade für diese Benutzungen des Raumes auf der Straße vor
den Häusern läßt sich gar keine allgemeine Regel aufstellen. Hier
ist alles örtlich-sittlich und so weit Recht. Je kleiner, je altmodischer
die Ortschaft ist, desto stärker wirkt die ursprüngliche Allmendnatur
noch nach; ein großer Teil des Lebens der Bewohnerschaft spielt sich
auf der Straße ab: man läßt Waren und Fuhrwerke da stehen,
stellt sich des Abends Bänke vors Haus, der Handwerksbetrieb findet
teilweise auf der Straße statt. Die neu angelegten Straßen sind weit
strenger abgeschlossen gegenüber der Freiheit des Privatlebens, sie
dienen immer ausschließlicher nur dem wirklichen Verkehr. Innerhalb
derselben Stadt zeigt der Gemeingebrauch Verschiedenheiten in der
Altstadt und in der Neustadt. Das Übliche, Herkömmliche, Gewohnte,
die gemeine Anschauung über die Grenzen der Freiheit ist alles; mit
Gewohnheitsrecht, Ersitzung u. s. w. kann man diesen Mannigfaltig-
keiten überhaupt nicht nachkommen15.

14 St.G.B. § 366 Ziff. 9 bedroht seinem Wortlaut nach ganz unbedingt mit
Strafe: "wer auf öffentlichen Wegen .. Gegenstände, durch welche der freie Ver-
kehr gehindert wird, aufstellt, hinlegt oder liegen läßt". Man streitet darüber, ob
hier nicht das Wort "unbefugt" doch zu ergänzen sei. Sicher ist, daß die Be-
rufung auf eine privatrechtliche Befugnis nichts hilft; die giebt's gegenüber der
Thatsache der öffentlichen Straße nicht. Aber Konzession, Gebrauchserlaubnis
und Gemeingebrauch geben allerdings Befugnisse, die hier in Betracht kommen.
Olshausen, Stf.G.B., zu § 366 Ziff. 9 b, führt ein Erkenntnis des O.L.G. Darm-
stadt 28. Nov. 1889 an, wo "Freisprechung wesentlich deshalb erfolgte, weil die
durch das Haltenlassen eines Fuhrwerks in einer engen Sackgasse bedingte Ver-
kehrsstörung nicht länger dauerte, als zur Abladung des Heues nötig war". Der
Thäter war so weit befugt durch das Recht des Gemeingebrauchs.
15 Bl. f. adm. Pr. 1886 S. 129 ff.: Ein Schmied hat vor seinem Hause eine
Hufbeschlagbrücke. Das O.L.G. sagt: "nach alter deutscher Rechtsanschauung
wird der längs der Häuser hinziehende Fuß- oder Bürgersteig als Teil der Straße
behandelt"; aber vielfach ist den Handwerkern gestattet, darauf zu arbeiten, freilich
nur "begünstigungsweise". Das O.L.G. meint, es sei ein precarium, das, wie jeder
Vertrag auch stillschweigend möglich sei. Der Rechtsbeistand des Schmiedes be-
hauptete ein Servitut. Der Schmied selbst hat offenbar keines von all diesen
Rechtsinstituten im Sinne gehabt; er glaubte befugt zu sein, vor seinem Haus zu
arbeiten, ebenfalls "nach alter deutscher Rechtsanschauung", kraft des Rechts des
Gemeingebrauchs. Ob dieses Recht hier nicht der Polizei zu weichen hat, ist eine
§ 37. Der Gemeingebrauch.

Der Straßenboden selbst vor dem Hause wird in einer Weise in
Anspruch genommen, die über den Verkehr hinaus geht. Wagen
halten daselbst und werden abgeladen, Brennholz wird niedergelegt,
vielleicht auch klein gemacht. Das kann geradezu verkehrsstörend
werden, geschieht aber ohne Erlaubnis kraft selbstverständlichen Rechtes
des Gemeingebrauchs14.

Gerade für diese Benutzungen des Raumes auf der Straße vor
den Häusern läßt sich gar keine allgemeine Regel aufstellen. Hier
ist alles örtlich-sittlich und so weit Recht. Je kleiner, je altmodischer
die Ortschaft ist, desto stärker wirkt die ursprüngliche Allmendnatur
noch nach; ein großer Teil des Lebens der Bewohnerschaft spielt sich
auf der Straße ab: man läßt Waren und Fuhrwerke da stehen,
stellt sich des Abends Bänke vors Haus, der Handwerksbetrieb findet
teilweise auf der Straße statt. Die neu angelegten Straßen sind weit
strenger abgeschlossen gegenüber der Freiheit des Privatlebens, sie
dienen immer ausschließlicher nur dem wirklichen Verkehr. Innerhalb
derselben Stadt zeigt der Gemeingebrauch Verschiedenheiten in der
Altstadt und in der Neustadt. Das Übliche, Herkömmliche, Gewohnte,
die gemeine Anschauung über die Grenzen der Freiheit ist alles; mit
Gewohnheitsrecht, Ersitzung u. s. w. kann man diesen Mannigfaltig-
keiten überhaupt nicht nachkommen15.

14 St.G.B. § 366 Ziff. 9 bedroht seinem Wortlaut nach ganz unbedingt mit
Strafe: „wer auf öffentlichen Wegen .. Gegenstände, durch welche der freie Ver-
kehr gehindert wird, aufstellt, hinlegt oder liegen läßt“. Man streitet darüber, ob
hier nicht das Wort „unbefugt“ doch zu ergänzen sei. Sicher ist, daß die Be-
rufung auf eine privatrechtliche Befugnis nichts hilft; die giebt’s gegenüber der
Thatsache der öffentlichen Straße nicht. Aber Konzession, Gebrauchserlaubnis
und Gemeingebrauch geben allerdings Befugnisse, die hier in Betracht kommen.
Olshausen, Stf.G.B., zu § 366 Ziff. 9 b, führt ein Erkenntnis des O.L.G. Darm-
stadt 28. Nov. 1889 an, wo „Freisprechung wesentlich deshalb erfolgte, weil die
durch das Haltenlassen eines Fuhrwerks in einer engen Sackgasse bedingte Ver-
kehrsstörung nicht länger dauerte, als zur Abladung des Heues nötig war“. Der
Thäter war so weit befugt durch das Recht des Gemeingebrauchs.
15 Bl. f. adm. Pr. 1886 S. 129 ff.: Ein Schmied hat vor seinem Hause eine
Hufbeschlagbrücke. Das O.L.G. sagt: „nach alter deutscher Rechtsanschauung
wird der längs der Häuser hinziehende Fuß- oder Bürgersteig als Teil der Straße
behandelt“; aber vielfach ist den Handwerkern gestattet, darauf zu arbeiten, freilich
nur „begünstigungsweise“. Das O.L.G. meint, es sei ein precarium, das, wie jeder
Vertrag auch stillschweigend möglich sei. Der Rechtsbeistand des Schmiedes be-
hauptete ein Servitut. Der Schmied selbst hat offenbar keines von all diesen
Rechtsinstituten im Sinne gehabt; er glaubte befugt zu sein, vor seinem Haus zu
arbeiten, ebenfalls „nach alter deutscher Rechtsanschauung“, kraft des Rechts des
Gemeingebrauchs. Ob dieses Recht hier nicht der Polizei zu weichen hat, ist eine
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[121/0133] § 37. Der Gemeingebrauch. Der Straßenboden selbst vor dem Hause wird in einer Weise in Anspruch genommen, die über den Verkehr hinaus geht. Wagen halten daselbst und werden abgeladen, Brennholz wird niedergelegt, vielleicht auch klein gemacht. Das kann geradezu verkehrsstörend werden, geschieht aber ohne Erlaubnis kraft selbstverständlichen Rechtes des Gemeingebrauchs 14. Gerade für diese Benutzungen des Raumes auf der Straße vor den Häusern läßt sich gar keine allgemeine Regel aufstellen. Hier ist alles örtlich-sittlich und so weit Recht. Je kleiner, je altmodischer die Ortschaft ist, desto stärker wirkt die ursprüngliche Allmendnatur noch nach; ein großer Teil des Lebens der Bewohnerschaft spielt sich auf der Straße ab: man läßt Waren und Fuhrwerke da stehen, stellt sich des Abends Bänke vors Haus, der Handwerksbetrieb findet teilweise auf der Straße statt. Die neu angelegten Straßen sind weit strenger abgeschlossen gegenüber der Freiheit des Privatlebens, sie dienen immer ausschließlicher nur dem wirklichen Verkehr. Innerhalb derselben Stadt zeigt der Gemeingebrauch Verschiedenheiten in der Altstadt und in der Neustadt. Das Übliche, Herkömmliche, Gewohnte, die gemeine Anschauung über die Grenzen der Freiheit ist alles; mit Gewohnheitsrecht, Ersitzung u. s. w. kann man diesen Mannigfaltig- keiten überhaupt nicht nachkommen 15. 14 St.G.B. § 366 Ziff. 9 bedroht seinem Wortlaut nach ganz unbedingt mit Strafe: „wer auf öffentlichen Wegen .. Gegenstände, durch welche der freie Ver- kehr gehindert wird, aufstellt, hinlegt oder liegen läßt“. Man streitet darüber, ob hier nicht das Wort „unbefugt“ doch zu ergänzen sei. Sicher ist, daß die Be- rufung auf eine privatrechtliche Befugnis nichts hilft; die giebt’s gegenüber der Thatsache der öffentlichen Straße nicht. Aber Konzession, Gebrauchserlaubnis und Gemeingebrauch geben allerdings Befugnisse, die hier in Betracht kommen. Olshausen, Stf.G.B., zu § 366 Ziff. 9 b, führt ein Erkenntnis des O.L.G. Darm- stadt 28. Nov. 1889 an, wo „Freisprechung wesentlich deshalb erfolgte, weil die durch das Haltenlassen eines Fuhrwerks in einer engen Sackgasse bedingte Ver- kehrsstörung nicht länger dauerte, als zur Abladung des Heues nötig war“. Der Thäter war so weit befugt durch das Recht des Gemeingebrauchs. 15 Bl. f. adm. Pr. 1886 S. 129 ff.: Ein Schmied hat vor seinem Hause eine Hufbeschlagbrücke. Das O.L.G. sagt: „nach alter deutscher Rechtsanschauung wird der längs der Häuser hinziehende Fuß- oder Bürgersteig als Teil der Straße behandelt“; aber vielfach ist den Handwerkern gestattet, darauf zu arbeiten, freilich nur „begünstigungsweise“. Das O.L.G. meint, es sei ein precarium, das, wie jeder Vertrag auch stillschweigend möglich sei. Der Rechtsbeistand des Schmiedes be- hauptete ein Servitut. Der Schmied selbst hat offenbar keines von all diesen Rechtsinstituten im Sinne gehabt; er glaubte befugt zu sein, vor seinem Haus zu arbeiten, ebenfalls „nach alter deutscher Rechtsanschauung“, kraft des Rechts des Gemeingebrauchs. Ob dieses Recht hier nicht der Polizei zu weichen hat, ist eine

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/133>, abgerufen am 24.11.2024.