von selbst verändern. Der Fluß verlegt sein Bett; das Meer tritt zu- rück oder greift vor, der Strand erhält einen anderen Platz. Das neu Gewonnene wird von selbst öffentliche Sache, ohne alles Zuthun, ohne irgend welche staatliche Willensäußerung, die als Widmung aufgefaßt werden könnte. Der Staat ist nur dafür angesehen, daß er das Gegebene übernimmt, und das genügt, um den Zusammenhang mit der öffentlichen Verwaltung, dessen die öffentliche Sache bedarf, auf- recht zu erhalten.
In Summa: die öffentliche Sache ist immer erst in dem Augen- blicke da, wo feststeht, daß die öffentliche Gewalt sie von nun an für ihren Zweck verwenden wird. Dieser Augenblick kann gekenn- zeichnet sein durch eine irgendwie erscheinende Willensäußerung des Herrn der Sache. Das ist der regelmäßige Fall und deshalb mag man verallgemeinernd sagen: die öffentliche Sache entsteht durch die Widmung. Doch kann dieser Widmungswille auch minder deutlich erscheinen oder ganz von der starken natürlichen Bestimmung der Sache ins Schlepptau genommen sein. Es handelt sich eben nicht um die Ergänzung von Rechtswirkungen durch einen obrigkeitlichen Akt oder eine Willenserklärung von irgendwelcher rechtsgeschäft- licher Art, sondern nur um die Thatsache, daß verwaltet wird, öffent- liche Geschäfte besorgt werden sollen durch diese Sache. Darauf allein kommt hier alles an.
2. Die öffentliche Sache bedeutet noch nicht öffentliches Eigen- tum (oben § 35, III n. 2); es muß noch das Eigentum des Sub- jektes der öffentlichen Verwaltung hinzukommen, dem die Sache dient. Der Zeitpunkt, in welchem dies geschieht, ist bezeichnet durch einen Eigentumserwerbsakt, der seinerseits öffentlichrechtlicher oder civilrechtlicher Natur sein mag.
Wir sagen: "hinzukommen" muß dieses Eigentum. Damit soll über das zeitliche Vorher oder Nachher der Entstehung des ersten und zweiten Bestandteils nichts behauptet werden. Ein festes zeit- liches Rangverhältnis, in welchem das immer geschehen müßte, be- steht nicht. Man faßt das Verhältnis gern so auf, als müßte immer zuerst Eigentum für den Staat oder was ihm gleich steht erworben sein und alsdann die öffentliche Sache daraus gemacht werden. Der Staat wäre auf diese Art stets zunächst civilrechtlicher Eigentümer und würde nachträglich öffentlichrechtlicher. Die Auffassung der Fiskuslehre von dem Privateigentum als notwendiger Grundlage des öffentlichen macht sich auch in diesem vermeintlichen Entstehungs- gange des öffentlichen Eigentums wieder geltend. In Wirklichkeit kann die Reihenfolge allerdings sich so gestalten. Sie kann aber auch
Das öffentliche Sachenrecht.
von selbst verändern. Der Fluß verlegt sein Bett; das Meer tritt zu- rück oder greift vor, der Strand erhält einen anderen Platz. Das neu Gewonnene wird von selbst öffentliche Sache, ohne alles Zuthun, ohne irgend welche staatliche Willensäußerung, die als Widmung aufgefaßt werden könnte. Der Staat ist nur dafür angesehen, daß er das Gegebene übernimmt, und das genügt, um den Zusammenhang mit der öffentlichen Verwaltung, dessen die öffentliche Sache bedarf, auf- recht zu erhalten.
In Summa: die öffentliche Sache ist immer erst in dem Augen- blicke da, wo feststeht, daß die öffentliche Gewalt sie von nun an für ihren Zweck verwenden wird. Dieser Augenblick kann gekenn- zeichnet sein durch eine irgendwie erscheinende Willensäußerung des Herrn der Sache. Das ist der regelmäßige Fall und deshalb mag man verallgemeinernd sagen: die öffentliche Sache entsteht durch die Widmung. Doch kann dieser Widmungswille auch minder deutlich erscheinen oder ganz von der starken natürlichen Bestimmung der Sache ins Schlepptau genommen sein. Es handelt sich eben nicht um die Ergänzung von Rechtswirkungen durch einen obrigkeitlichen Akt oder eine Willenserklärung von irgendwelcher rechtsgeschäft- licher Art, sondern nur um die Thatsache, daß verwaltet wird, öffent- liche Geschäfte besorgt werden sollen durch diese Sache. Darauf allein kommt hier alles an.
2. Die öffentliche Sache bedeutet noch nicht öffentliches Eigen- tum (oben § 35, III n. 2); es muß noch das Eigentum des Sub- jektes der öffentlichen Verwaltung hinzukommen, dem die Sache dient. Der Zeitpunkt, in welchem dies geschieht, ist bezeichnet durch einen Eigentumserwerbsakt, der seinerseits öffentlichrechtlicher oder civilrechtlicher Natur sein mag.
Wir sagen: „hinzukommen“ muß dieses Eigentum. Damit soll über das zeitliche Vorher oder Nachher der Entstehung des ersten und zweiten Bestandteils nichts behauptet werden. Ein festes zeit- liches Rangverhältnis, in welchem das immer geschehen müßte, be- steht nicht. Man faßt das Verhältnis gern so auf, als müßte immer zuerst Eigentum für den Staat oder was ihm gleich steht erworben sein und alsdann die öffentliche Sache daraus gemacht werden. Der Staat wäre auf diese Art stets zunächst civilrechtlicher Eigentümer und würde nachträglich öffentlichrechtlicher. Die Auffassung der Fiskuslehre von dem Privateigentum als notwendiger Grundlage des öffentlichen macht sich auch in diesem vermeintlichen Entstehungs- gange des öffentlichen Eigentums wieder geltend. In Wirklichkeit kann die Reihenfolge allerdings sich so gestalten. Sie kann aber auch
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Das öffentliche Sachenrecht.
von selbst verändern. Der Fluß verlegt sein Bett; das Meer tritt zu-
rück oder greift vor, der Strand erhält einen anderen Platz. Das neu
Gewonnene wird von selbst öffentliche Sache, ohne alles Zuthun, ohne
irgend welche staatliche Willensäußerung, die als Widmung aufgefaßt
werden könnte. Der Staat ist nur dafür angesehen, daß er das
Gegebene übernimmt, und das genügt, um den Zusammenhang mit
der öffentlichen Verwaltung, dessen die öffentliche Sache bedarf, auf-
recht zu erhalten.
In Summa: die öffentliche Sache ist immer erst in dem Augen-
blicke da, wo feststeht, daß die öffentliche Gewalt sie von nun an
für ihren Zweck verwenden wird. Dieser Augenblick kann gekenn-
zeichnet sein durch eine irgendwie erscheinende Willensäußerung des
Herrn der Sache. Das ist der regelmäßige Fall und deshalb mag
man verallgemeinernd sagen: die öffentliche Sache entsteht durch die
Widmung. Doch kann dieser Widmungswille auch minder deutlich
erscheinen oder ganz von der starken natürlichen Bestimmung der
Sache ins Schlepptau genommen sein. Es handelt sich eben nicht
um die Ergänzung von Rechtswirkungen durch einen obrigkeitlichen
Akt oder eine Willenserklärung von irgendwelcher rechtsgeschäft-
licher Art, sondern nur um die Thatsache, daß verwaltet wird, öffent-
liche Geschäfte besorgt werden sollen durch diese Sache. Darauf
allein kommt hier alles an.
2. Die öffentliche Sache bedeutet noch nicht öffentliches Eigen-
tum (oben § 35, III n. 2); es muß noch das Eigentum des Sub-
jektes der öffentlichen Verwaltung hinzukommen, dem die Sache
dient. Der Zeitpunkt, in welchem dies geschieht, ist bezeichnet durch
einen Eigentumserwerbsakt, der seinerseits öffentlichrechtlicher oder
civilrechtlicher Natur sein mag.
Wir sagen: „hinzukommen“ muß dieses Eigentum. Damit soll
über das zeitliche Vorher oder Nachher der Entstehung des ersten
und zweiten Bestandteils nichts behauptet werden. Ein festes zeit-
liches Rangverhältnis, in welchem das immer geschehen müßte, be-
steht nicht. Man faßt das Verhältnis gern so auf, als müßte immer
zuerst Eigentum für den Staat oder was ihm gleich steht erworben
sein und alsdann die öffentliche Sache daraus gemacht werden. Der
Staat wäre auf diese Art stets zunächst civilrechtlicher Eigentümer
und würde nachträglich öffentlichrechtlicher. Die Auffassung der
Fiskuslehre von dem Privateigentum als notwendiger Grundlage des
öffentlichen macht sich auch in diesem vermeintlichen Entstehungs-
gange des öffentlichen Eigentums wieder geltend. In Wirklichkeit
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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/102>, abgerufen am 22.11.2024.
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