Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
der Gewalten, die wir nach französischem Vorbild übernommen
und aller Verwahrungen ungeachtet in thatsächlicher Geltung und
Übung haben2.

Der Kerngedanke ist in dem Namen, unter dem diese Lehre
läuft, ziemlich gut ausgedrückt. Die öffentliche Gewalt, die allgemeine
Fähigkeit des überwiegenden Willens gegenüber den Unterthanen, die
dem Staate zukommt, wird für ihn ausgeübt von den damit be-
bekleideten Menschen. Ist diese Gewalt in einer Hand vereinigt, so er-
drückt sie die Freiheit. Also muss sie zerlegt werden in verschiedene Ge-
walten, welche je besonderen Willensträgern zustehen. Diese Gewalten
sind nicht verschiedene Thätigkeitsgebiete oder Geschäftszweige des
Staates, auch nicht Summen von Befugnissen, sondern Stücke der
Staatsgewalt, Wirkungskräfte wie diese, jede ausgestattet gegen-
über den andern mit besonderen rechtlichen Eigenschaften.

Die Bestimmung dieser besonderen Eigenschaften hat die Theorie
einfach geben zu können geglaubt durch die Bezeichnung des
Zweckes, dem jede dieser Kräfte vorzugsweise zu dienen berufen
ist und für welchen sie demnach ausgerüstet sein muss.

Die Verwirklichung im geltenden Rechte hat alsbald dazu ge-
führt, dass diese Gewalten, einmal gestaltet, jede nach ihrer recht-
lichen Natur in mancherlei Weise neben einander thätig wurden,
ohne strenge Beschränkung auf den bezeichneten Zweck die ihnen
verliehenen Fähigkeiten entfaltend. Gerade dadurch, durch die Arbeit
des wirklichen Rechts, sind diese besonderen Eigenschaften einer jeden
erst recht deutlich hervorgetreten und zu klarer Erkenntnis gebracht
worden. Sie sind heutzutage feststehende Bestandteile der Begriffe
"gesetzgebende und vollziehende Gewalt". Wenn unsere Verfassungen
sagen, von wem diese, von wem jene ausgeübt wird, weiss man, dank
dieser festen Überlieferung, -- ohne sie würde es schwer sein, sich

2 Laband, St.R. I S. 517, stellt mit Recht ein allgemeines Einverständnis
fest "über die Verwerflichkeit dieser Theorie". L. v. Stein, Verw.Lehre I, S. 18
(1869), behauptet sogar, die Franzosen hätten selbst schon eingesehen, dass nichts
damit sei: "in der jetzigen Theorie Frankreichs ist sie verschwunden". -- In der
öffentlichen Sitzung der Academie des sciences morales et politiques vom 10. Mai
1877 erstattete der berühmte Staatsrechtslehrer Aucoc Bericht über eine gekrönte
Preisschrift, betreffend die gegenwärtige Bedeutung des Grundsatzes der Trennung
der Gewalten, und rühmte besonders die Widerlegung der "critiques dont il a ete
l'objet et qui reposent souvent sur des malentendus ou sur une tendance au
despotisme monarchique ou democratique". Von den Tendenzen zu schweigen,
so liefern wir zu den Missverständnissen unseren reichlichen Beitrag: was die deutsche
Wissenschaft so einmütig verwirft, ist gar nicht die wirkliche Trennung der Ge-
walten, sondern der Popanz, den man daraus gemacht hat.

Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
der Gewalten, die wir nach französischem Vorbild übernommen
und aller Verwahrungen ungeachtet in thatsächlicher Geltung und
Übung haben2.

Der Kerngedanke ist in dem Namen, unter dem diese Lehre
läuft, ziemlich gut ausgedrückt. Die öffentliche Gewalt, die allgemeine
Fähigkeit des überwiegenden Willens gegenüber den Unterthanen, die
dem Staate zukommt, wird für ihn ausgeübt von den damit be-
bekleideten Menschen. Ist diese Gewalt in einer Hand vereinigt, so er-
drückt sie die Freiheit. Also muſs sie zerlegt werden in verschiedene Ge-
walten, welche je besonderen Willensträgern zustehen. Diese Gewalten
sind nicht verschiedene Thätigkeitsgebiete oder Geschäftszweige des
Staates, auch nicht Summen von Befugnissen, sondern Stücke der
Staatsgewalt, Wirkungskräfte wie diese, jede ausgestattet gegen-
über den andern mit besonderen rechtlichen Eigenschaften.

Die Bestimmung dieser besonderen Eigenschaften hat die Theorie
einfach geben zu können geglaubt durch die Bezeichnung des
Zweckes, dem jede dieser Kräfte vorzugsweise zu dienen berufen
ist und für welchen sie demnach ausgerüstet sein muſs.

Die Verwirklichung im geltenden Rechte hat alsbald dazu ge-
führt, daſs diese Gewalten, einmal gestaltet, jede nach ihrer recht-
lichen Natur in mancherlei Weise neben einander thätig wurden,
ohne strenge Beschränkung auf den bezeichneten Zweck die ihnen
verliehenen Fähigkeiten entfaltend. Gerade dadurch, durch die Arbeit
des wirklichen Rechts, sind diese besonderen Eigenschaften einer jeden
erst recht deutlich hervorgetreten und zu klarer Erkenntnis gebracht
worden. Sie sind heutzutage feststehende Bestandteile der Begriffe
„gesetzgebende und vollziehende Gewalt“. Wenn unsere Verfassungen
sagen, von wem diese, von wem jene ausgeübt wird, weiſs man, dank
dieser festen Überlieferung, — ohne sie würde es schwer sein, sich

2 Laband, St.R. I S. 517, stellt mit Recht ein allgemeines Einverständnis
fest „über die Verwerflichkeit dieser Theorie“. L. v. Stein, Verw.Lehre I, S. 18
(1869), behauptet sogar, die Franzosen hätten selbst schon eingesehen, daſs nichts
damit sei: „in der jetzigen Theorie Frankreichs ist sie verschwunden“. — In der
öffentlichen Sitzung der Académie des sciences morales et politiques vom 10. Mai
1877 erstattete der berühmte Staatsrechtslehrer Aucoc Bericht über eine gekrönte
Preisschrift, betreffend die gegenwärtige Bedeutung des Grundsatzes der Trennung
der Gewalten, und rühmte besonders die Widerlegung der „critiques dont il a été
l’objet et qui réposent souvent sur des malentendus ou sur une tendance au
despotisme monarchique ou démocratique“. Von den Tendenzen zu schweigen,
so liefern wir zu den Miſsverständnissen unseren reichlichen Beitrag: was die deutsche
Wissenschaft so einmütig verwirft, ist gar nicht die wirkliche Trennung der Ge-
walten, sondern der Popanz, den man daraus gemacht hat.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0088" n="68"/><fw place="top" type="header">Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.</fw><lb/><hi rendition="#g">der Gewalten,</hi> die wir nach französischem Vorbild übernommen<lb/>
und aller Verwahrungen ungeachtet in thatsächlicher Geltung und<lb/>
Übung haben<note place="foot" n="2"><hi rendition="#g">Laband,</hi> St.R. I S. 517, stellt mit Recht ein allgemeines Einverständnis<lb/>
fest &#x201E;über die Verwerflichkeit dieser Theorie&#x201C;. L. v. <hi rendition="#g">Stein,</hi> Verw.Lehre I, S. 18<lb/>
(1869), behauptet sogar, die Franzosen hätten selbst schon eingesehen, da&#x017F;s nichts<lb/>
damit sei: &#x201E;in der jetzigen Theorie Frankreichs ist sie verschwunden&#x201C;. &#x2014; In der<lb/>
öffentlichen Sitzung der Académie des sciences morales et politiques vom 10. Mai<lb/>
1877 erstattete der berühmte Staatsrechtslehrer Aucoc Bericht über eine gekrönte<lb/>
Preisschrift, betreffend die gegenwärtige Bedeutung des Grundsatzes der Trennung<lb/>
der Gewalten, und rühmte besonders die Widerlegung der &#x201E;critiques dont il a été<lb/>
l&#x2019;objet et qui réposent souvent sur des <hi rendition="#g">malentendus</hi> ou sur une <hi rendition="#g">tendance</hi> au<lb/>
despotisme monarchique ou démocratique&#x201C;. Von den Tendenzen zu schweigen,<lb/>
so liefern wir zu den Mi&#x017F;sverständnissen unseren reichlichen Beitrag: was die deutsche<lb/>
Wissenschaft so einmütig verwirft, ist gar nicht die wirkliche Trennung der Ge-<lb/>
walten, sondern der Popanz, den man daraus gemacht hat.</note>.</p><lb/>
            <p>Der Kerngedanke ist in dem Namen, unter dem diese Lehre<lb/>
läuft, ziemlich gut ausgedrückt. Die öffentliche Gewalt, die allgemeine<lb/>
Fähigkeit des überwiegenden Willens gegenüber den Unterthanen, die<lb/>
dem Staate zukommt, wird für ihn ausgeübt von den damit be-<lb/>
bekleideten Menschen. Ist diese Gewalt in einer Hand vereinigt, so er-<lb/>
drückt sie die Freiheit. Also mu&#x017F;s sie zerlegt werden in verschiedene Ge-<lb/>
walten, welche je besonderen Willensträgern zustehen. Diese Gewalten<lb/>
sind <hi rendition="#g">nicht</hi> verschiedene Thätigkeitsgebiete oder Geschäftszweige des<lb/>
Staates, auch nicht Summen von Befugnissen, sondern Stücke der<lb/>
Staatsgewalt, <hi rendition="#g">Wirkungskräfte</hi> wie diese, jede ausgestattet gegen-<lb/>
über den andern mit besonderen rechtlichen Eigenschaften.</p><lb/>
            <p>Die Bestimmung dieser besonderen Eigenschaften hat die Theorie<lb/>
einfach geben zu können geglaubt durch die Bezeichnung des<lb/><hi rendition="#g">Zweckes,</hi> dem jede dieser Kräfte vorzugsweise zu dienen berufen<lb/>
ist und für welchen sie demnach ausgerüstet sein mu&#x017F;s.</p><lb/>
            <p>Die Verwirklichung im geltenden Rechte hat alsbald dazu ge-<lb/>
führt, da&#x017F;s diese Gewalten, einmal gestaltet, jede nach ihrer recht-<lb/>
lichen Natur in mancherlei Weise neben einander thätig wurden,<lb/>
ohne strenge Beschränkung auf den bezeichneten Zweck die ihnen<lb/>
verliehenen Fähigkeiten entfaltend. Gerade dadurch, durch die Arbeit<lb/>
des wirklichen Rechts, sind diese besonderen Eigenschaften einer jeden<lb/>
erst recht deutlich hervorgetreten und zu klarer Erkenntnis gebracht<lb/>
worden. Sie sind heutzutage feststehende Bestandteile der Begriffe<lb/>
&#x201E;gesetzgebende und vollziehende Gewalt&#x201C;. Wenn unsere Verfassungen<lb/>
sagen, von wem diese, von wem jene ausgeübt wird, wei&#x017F;s man, dank<lb/>
dieser festen Überlieferung, &#x2014; ohne sie würde es schwer sein, sich<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0088] Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung. der Gewalten, die wir nach französischem Vorbild übernommen und aller Verwahrungen ungeachtet in thatsächlicher Geltung und Übung haben 2. Der Kerngedanke ist in dem Namen, unter dem diese Lehre läuft, ziemlich gut ausgedrückt. Die öffentliche Gewalt, die allgemeine Fähigkeit des überwiegenden Willens gegenüber den Unterthanen, die dem Staate zukommt, wird für ihn ausgeübt von den damit be- bekleideten Menschen. Ist diese Gewalt in einer Hand vereinigt, so er- drückt sie die Freiheit. Also muſs sie zerlegt werden in verschiedene Ge- walten, welche je besonderen Willensträgern zustehen. Diese Gewalten sind nicht verschiedene Thätigkeitsgebiete oder Geschäftszweige des Staates, auch nicht Summen von Befugnissen, sondern Stücke der Staatsgewalt, Wirkungskräfte wie diese, jede ausgestattet gegen- über den andern mit besonderen rechtlichen Eigenschaften. Die Bestimmung dieser besonderen Eigenschaften hat die Theorie einfach geben zu können geglaubt durch die Bezeichnung des Zweckes, dem jede dieser Kräfte vorzugsweise zu dienen berufen ist und für welchen sie demnach ausgerüstet sein muſs. Die Verwirklichung im geltenden Rechte hat alsbald dazu ge- führt, daſs diese Gewalten, einmal gestaltet, jede nach ihrer recht- lichen Natur in mancherlei Weise neben einander thätig wurden, ohne strenge Beschränkung auf den bezeichneten Zweck die ihnen verliehenen Fähigkeiten entfaltend. Gerade dadurch, durch die Arbeit des wirklichen Rechts, sind diese besonderen Eigenschaften einer jeden erst recht deutlich hervorgetreten und zu klarer Erkenntnis gebracht worden. Sie sind heutzutage feststehende Bestandteile der Begriffe „gesetzgebende und vollziehende Gewalt“. Wenn unsere Verfassungen sagen, von wem diese, von wem jene ausgeübt wird, weiſs man, dank dieser festen Überlieferung, — ohne sie würde es schwer sein, sich 2 Laband, St.R. I S. 517, stellt mit Recht ein allgemeines Einverständnis fest „über die Verwerflichkeit dieser Theorie“. L. v. Stein, Verw.Lehre I, S. 18 (1869), behauptet sogar, die Franzosen hätten selbst schon eingesehen, daſs nichts damit sei: „in der jetzigen Theorie Frankreichs ist sie verschwunden“. — In der öffentlichen Sitzung der Académie des sciences morales et politiques vom 10. Mai 1877 erstattete der berühmte Staatsrechtslehrer Aucoc Bericht über eine gekrönte Preisschrift, betreffend die gegenwärtige Bedeutung des Grundsatzes der Trennung der Gewalten, und rühmte besonders die Widerlegung der „critiques dont il a été l’objet et qui réposent souvent sur des malentendus ou sur une tendance au despotisme monarchique ou démocratique“. Von den Tendenzen zu schweigen, so liefern wir zu den Miſsverständnissen unseren reichlichen Beitrag: was die deutsche Wissenschaft so einmütig verwirft, ist gar nicht die wirkliche Trennung der Ge- walten, sondern der Popanz, den man daraus gemacht hat.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/88
Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/88>, abgerufen am 21.11.2024.