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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 4. Der Polizeistaat.

Daraus allein ergäbe sich aber noch nicht jene merkwürdige
Durchdringung der ganzen staatlichen Thätigkeit, auch der obrigkeit-
lichen, mit daneben herlaufenden civilrechtlichen Rechtsverhältnissen
und dem entsprechenden Rechtsschutz, eine Durchdringung, die dieser
ganzen Ordnung ihre Eigenart giebt. Civilrecht gilt hier auch, wo es
nach den für seine Anwendbarkeit geltenden Grundsätzen bei An-
nahme einer einheitlichen Persönlichkeit des Staates im Sinne der
heutigen Auffassung nicht gelten könnte. Wenn ein vermögensrecht-
liches Geschäft angenommen wird, wie es jeder Privatmann machen
könnte, wenn der Staat kauft, verkauft, beschenkt wird oder Zu-
wendungen macht, Geschäfte besorgt und Dienste leistet, so ist es ja
nicht schwer, ihn unter die gewünschte civilrechtliche Ordnung zu
bringen: er befiehlt nichts, er zeigt sich einfach "von seiner ver-
mögensrechtlichen Seite", er "unterwirft sich dem Civilrecht". Wenn
er aber wirklich befehlen, obrigkeitliche Gewalt üben will, so ist es
beim einheitlich gedachten Staat mit der Anwendbarkeit des Civil-
rechts vorbei. Es gehört wenigstens mehr guter Wille dazu, als der
Jurist haben darf, um auch dem Befehl so einfach eine "vermögens-
rechtliche Seite" abzugewinnen und ihm eine gleichzeitige "Unter-
werfung" des Befehlenden unter das Civilrecht anzuhängen. Wie mit
dem Befehl zugleich civilrechtliche Ansprüche gegen den Staat ent-
stehen sollen, ist auf diese Weise unerklärlich. Die alte Fiskuslehre
allein hatte es möglich gemacht, ohne Nachteil des vernünftigen
Denkens civilrechtliche Wirkungen unmittelbar mit obrigkeitlichen
Akten zu verknüpfen. Es ist eben nicht der Staat selbst, den sie
treffen, sondern der daneben stehende Fiskus; dieser erscheint in dem
Akt nicht als Befehlender, folglich ist es kein Widerspruch, ihn da-
durch civilrechtlich zu verpflichten. In den verschiedenartigsten
Wendungen wird dieser Gedanke auf die einzelnen obrigkeitlichen
Geschäfte zur Anwendung gebracht und dazu verwertet, um den
Unterthanen Rechtsansprüche zu sichern. Der Staat enteignet den
Besitzer, legt aber zugleich dem Fiskus die Last auf, diesen in Geld
zu entschädigen. Der Staat nimmt den Beamten durch die Ernennung
unter seine besondere Befehlsgewalt, vorher oder daneben aber schliesst
der Fiskus einen Vertrag mit ihm, einen civilrechtlichen Vertrag, in
welchem er Gehaltszahlung verspricht. Der Staat lässt die schon ein-
mal gezahlten Steuern einziehen, der Fiskus wird als der dadurch

Befehles der Staat dem Civilrecht nicht unterliegt, hat sich so tief eingeprägt,
dass man zum Teil selbst heute noch nicht von ihr lassen will; vgl. unten § 11
Note 2.
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§ 4. Der Polizeistaat.

Daraus allein ergäbe sich aber noch nicht jene merkwürdige
Durchdringung der ganzen staatlichen Thätigkeit, auch der obrigkeit-
lichen, mit daneben herlaufenden civilrechtlichen Rechtsverhältnissen
und dem entsprechenden Rechtsschutz, eine Durchdringung, die dieser
ganzen Ordnung ihre Eigenart giebt. Civilrecht gilt hier auch, wo es
nach den für seine Anwendbarkeit geltenden Grundsätzen bei An-
nahme einer einheitlichen Persönlichkeit des Staates im Sinne der
heutigen Auffassung nicht gelten könnte. Wenn ein vermögensrecht-
liches Geschäft angenommen wird, wie es jeder Privatmann machen
könnte, wenn der Staat kauft, verkauft, beschenkt wird oder Zu-
wendungen macht, Geschäfte besorgt und Dienste leistet, so ist es ja
nicht schwer, ihn unter die gewünschte civilrechtliche Ordnung zu
bringen: er befiehlt nichts, er zeigt sich einfach „von seiner ver-
mögensrechtlichen Seite“, er „unterwirft sich dem Civilrecht“. Wenn
er aber wirklich befehlen, obrigkeitliche Gewalt üben will, so ist es
beim einheitlich gedachten Staat mit der Anwendbarkeit des Civil-
rechts vorbei. Es gehört wenigstens mehr guter Wille dazu, als der
Jurist haben darf, um auch dem Befehl so einfach eine „vermögens-
rechtliche Seite“ abzugewinnen und ihm eine gleichzeitige „Unter-
werfung“ des Befehlenden unter das Civilrecht anzuhängen. Wie mit
dem Befehl zugleich civilrechtliche Ansprüche gegen den Staat ent-
stehen sollen, ist auf diese Weise unerklärlich. Die alte Fiskuslehre
allein hatte es möglich gemacht, ohne Nachteil des vernünftigen
Denkens civilrechtliche Wirkungen unmittelbar mit obrigkeitlichen
Akten zu verknüpfen. Es ist eben nicht der Staat selbst, den sie
treffen, sondern der daneben stehende Fiskus; dieser erscheint in dem
Akt nicht als Befehlender, folglich ist es kein Widerspruch, ihn da-
durch civilrechtlich zu verpflichten. In den verschiedenartigsten
Wendungen wird dieser Gedanke auf die einzelnen obrigkeitlichen
Geschäfte zur Anwendung gebracht und dazu verwertet, um den
Unterthanen Rechtsansprüche zu sichern. Der Staat enteignet den
Besitzer, legt aber zugleich dem Fiskus die Last auf, diesen in Geld
zu entschädigen. Der Staat nimmt den Beamten durch die Ernennung
unter seine besondere Befehlsgewalt, vorher oder daneben aber schlieſst
der Fiskus einen Vertrag mit ihm, einen civilrechtlichen Vertrag, in
welchem er Gehaltszahlung verspricht. Der Staat läſst die schon ein-
mal gezahlten Steuern einziehen, der Fiskus wird als der dadurch

Befehles der Staat dem Civilrecht nicht unterliegt, hat sich so tief eingeprägt,
daſs man zum Teil selbst heute noch nicht von ihr lassen will; vgl. unten § 11
Note 2.
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[51/0071] § 4. Der Polizeistaat. Daraus allein ergäbe sich aber noch nicht jene merkwürdige Durchdringung der ganzen staatlichen Thätigkeit, auch der obrigkeit- lichen, mit daneben herlaufenden civilrechtlichen Rechtsverhältnissen und dem entsprechenden Rechtsschutz, eine Durchdringung, die dieser ganzen Ordnung ihre Eigenart giebt. Civilrecht gilt hier auch, wo es nach den für seine Anwendbarkeit geltenden Grundsätzen bei An- nahme einer einheitlichen Persönlichkeit des Staates im Sinne der heutigen Auffassung nicht gelten könnte. Wenn ein vermögensrecht- liches Geschäft angenommen wird, wie es jeder Privatmann machen könnte, wenn der Staat kauft, verkauft, beschenkt wird oder Zu- wendungen macht, Geschäfte besorgt und Dienste leistet, so ist es ja nicht schwer, ihn unter die gewünschte civilrechtliche Ordnung zu bringen: er befiehlt nichts, er zeigt sich einfach „von seiner ver- mögensrechtlichen Seite“, er „unterwirft sich dem Civilrecht“. Wenn er aber wirklich befehlen, obrigkeitliche Gewalt üben will, so ist es beim einheitlich gedachten Staat mit der Anwendbarkeit des Civil- rechts vorbei. Es gehört wenigstens mehr guter Wille dazu, als der Jurist haben darf, um auch dem Befehl so einfach eine „vermögens- rechtliche Seite“ abzugewinnen und ihm eine gleichzeitige „Unter- werfung“ des Befehlenden unter das Civilrecht anzuhängen. Wie mit dem Befehl zugleich civilrechtliche Ansprüche gegen den Staat ent- stehen sollen, ist auf diese Weise unerklärlich. Die alte Fiskuslehre allein hatte es möglich gemacht, ohne Nachteil des vernünftigen Denkens civilrechtliche Wirkungen unmittelbar mit obrigkeitlichen Akten zu verknüpfen. Es ist eben nicht der Staat selbst, den sie treffen, sondern der daneben stehende Fiskus; dieser erscheint in dem Akt nicht als Befehlender, folglich ist es kein Widerspruch, ihn da- durch civilrechtlich zu verpflichten. In den verschiedenartigsten Wendungen wird dieser Gedanke auf die einzelnen obrigkeitlichen Geschäfte zur Anwendung gebracht und dazu verwertet, um den Unterthanen Rechtsansprüche zu sichern. Der Staat enteignet den Besitzer, legt aber zugleich dem Fiskus die Last auf, diesen in Geld zu entschädigen. Der Staat nimmt den Beamten durch die Ernennung unter seine besondere Befehlsgewalt, vorher oder daneben aber schlieſst der Fiskus einen Vertrag mit ihm, einen civilrechtlichen Vertrag, in welchem er Gehaltszahlung verspricht. Der Staat läſst die schon ein- mal gezahlten Steuern einziehen, der Fiskus wird als der dadurch 21 21 Befehles der Staat dem Civilrecht nicht unterliegt, hat sich so tief eingeprägt, daſs man zum Teil selbst heute noch nicht von ihr lassen will; vgl. unten § 11 Note 2. 4*

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/71>, abgerufen am 25.11.2024.