Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite
Geschichtliche Entwicklungsstufen.

Wir sehen thatsächlich auch in der Verwaltung ähnliche Ord-
nungen zur Anwendung kommen, wie in der Justiz, Ordnungen,
welche dazu dienen, die Verwaltungsthätigkeit bei ihrem Zwecke zu
halten und ihren Erfolg zu sichern. Damit ist noch nicht gesagt, dass
sie das auch thun in der Weise des Rechts. Es zeigt sich viel-
mehr hierin zwischen Justiz und Verwaltung ein tiefgehender Gegensatz.

Für die ursprüngliche Anschauung erscheint alle obrigkeitliche
Anordnung in der Form des Befehls; spätere Entwicklungsstufen
unterscheiden feiner. Hier haben wir nur mit diesem allgemeinen
Begriff des Befehls zu thun. Der Befehl vermag Recht zu schaffen,
indem er als bindende allgemeine Regel auftritt. Dabei wendet er
sich aber unmittelbar entweder an die Unterthanen oder an die
Beamten;
demnach sind zwei Fälle zu unterscheiden.

1. Das Recht, Gesetze zu machen, ist von lange her als ein
Hoheitsrecht des Fürsten anerkannt; die Gelehrten gruppierten es
unter die formellen oder allgemeinen Hoheitsrechte. Es hatte als
solches die gewöhnlichen Schranken, die jetzt weggefallen sind;
der Fürst, der alles befehlen kann, kann es auch in Form einer all-
gemeinen Regel thun. Der Begriff selbst ist der nämliche geblieben:
Gesetz ist ein allgemeines Gebot oder Verbot an die Unterthanen,
um ihr Thun und Lassen zu bestimmen. Befehlen kann man nur,
indem man dem Gehorsamspflichtigen seinen Willen kundthut. Die
Kundgabe ist hier naturgemäss die Veröffentlichung. Gesetz ist also
ein veröffentlichtes allgemeines Gebot oder Verbot an die
Unterthanen8.

Solche Gesetze kann der Fürst erlassen für das Gebiet der Justiz
sowohl wie für das der Verwaltung. Es kommt aber jetzt zum Be-
wusstsein, dass das eine wesentlich verschiedene Bedeutung hat auf dem
einen und auf dem andern Gebiet. Denn jetzt, wo die äusseren
Schranken der fürstlichen Rechte nicht mehr bestehen, werden andere
Schranken desto bedeutsamer und tritt die besondere Stellung der
Gerichte schärfer hervor.

8 Moser, Landeshoh. in Reg.Sachen S. 303: "Gesetze sind landesherrliche
Befehle, Verordnungen, Gebote und Verbote, welche entweder alle Landesunter-
thanen oder doch eine ganze gewisse Gattung derselbigen verbinden". Das ist
die feststehende Begriffsabgrenzung bis herab zur Neuzeit: Bodinus, De republ.
ed. VII S. 466; Christ. Wolff, Jus nat. VIII § 965; Pütter, Inst. jur. publ.
§ 221; Dankelmann in seinen Einwendungen gegen die Preuss. Civilrechts-
kodifikation bei Stölzel, Svarez S. 378; ausführlich zuletzt noch Häberlin,
St.R. II § 221.
Geschichtliche Entwicklungsstufen.

Wir sehen thatsächlich auch in der Verwaltung ähnliche Ord-
nungen zur Anwendung kommen, wie in der Justiz, Ordnungen,
welche dazu dienen, die Verwaltungsthätigkeit bei ihrem Zwecke zu
halten und ihren Erfolg zu sichern. Damit ist noch nicht gesagt, daſs
sie das auch thun in der Weise des Rechts. Es zeigt sich viel-
mehr hierin zwischen Justiz und Verwaltung ein tiefgehender Gegensatz.

Für die ursprüngliche Anschauung erscheint alle obrigkeitliche
Anordnung in der Form des Befehls; spätere Entwicklungsstufen
unterscheiden feiner. Hier haben wir nur mit diesem allgemeinen
Begriff des Befehls zu thun. Der Befehl vermag Recht zu schaffen,
indem er als bindende allgemeine Regel auftritt. Dabei wendet er
sich aber unmittelbar entweder an die Unterthanen oder an die
Beamten;
demnach sind zwei Fälle zu unterscheiden.

1. Das Recht, Gesetze zu machen, ist von lange her als ein
Hoheitsrecht des Fürsten anerkannt; die Gelehrten gruppierten es
unter die formellen oder allgemeinen Hoheitsrechte. Es hatte als
solches die gewöhnlichen Schranken, die jetzt weggefallen sind;
der Fürst, der alles befehlen kann, kann es auch in Form einer all-
gemeinen Regel thun. Der Begriff selbst ist der nämliche geblieben:
Gesetz ist ein allgemeines Gebot oder Verbot an die Unterthanen,
um ihr Thun und Lassen zu bestimmen. Befehlen kann man nur,
indem man dem Gehorsamspflichtigen seinen Willen kundthut. Die
Kundgabe ist hier naturgemäſs die Veröffentlichung. Gesetz ist also
ein veröffentlichtes allgemeines Gebot oder Verbot an die
Unterthanen8.

Solche Gesetze kann der Fürst erlassen für das Gebiet der Justiz
sowohl wie für das der Verwaltung. Es kommt aber jetzt zum Be-
wuſstsein, daſs das eine wesentlich verschiedene Bedeutung hat auf dem
einen und auf dem andern Gebiet. Denn jetzt, wo die äuſseren
Schranken der fürstlichen Rechte nicht mehr bestehen, werden andere
Schranken desto bedeutsamer und tritt die besondere Stellung der
Gerichte schärfer hervor.

8 Moser, Landeshoh. in Reg.Sachen S. 303: „Gesetze sind landesherrliche
Befehle, Verordnungen, Gebote und Verbote, welche entweder alle Landesunter-
thanen oder doch eine ganze gewisse Gattung derselbigen verbinden“. Das ist
die feststehende Begriffsabgrenzung bis herab zur Neuzeit: Bodinus, De republ.
ed. VII S. 466; Christ. Wolff, Jus nat. VIII § 965; Pütter, Inst. jur. publ.
§ 221; Dankelmann in seinen Einwendungen gegen die Preuſs. Civilrechts-
kodifikation bei Stölzel, Svarez S. 378; ausführlich zuletzt noch Häberlin,
St.R. II § 221.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0062" n="42"/>
            <fw place="top" type="header">Geschichtliche Entwicklungsstufen.</fw><lb/>
            <p>Wir sehen thatsächlich auch in der Verwaltung ähnliche Ord-<lb/>
nungen zur Anwendung kommen, wie in der Justiz, Ordnungen,<lb/>
welche dazu dienen, die Verwaltungsthätigkeit bei ihrem Zwecke zu<lb/>
halten und ihren Erfolg zu sichern. Damit ist noch nicht gesagt, da&#x017F;s<lb/>
sie das auch thun in der <hi rendition="#g">Weise des Rechts</hi>. Es zeigt sich viel-<lb/>
mehr hierin zwischen Justiz und Verwaltung ein tiefgehender Gegensatz.</p><lb/>
            <p>Für die ursprüngliche Anschauung erscheint alle obrigkeitliche<lb/>
Anordnung in der Form des <hi rendition="#g">Befehls;</hi> spätere Entwicklungsstufen<lb/>
unterscheiden feiner. Hier haben wir nur mit diesem allgemeinen<lb/>
Begriff des Befehls zu thun. Der Befehl vermag Recht zu schaffen,<lb/>
indem er als bindende allgemeine Regel auftritt. Dabei wendet er<lb/>
sich aber unmittelbar entweder <hi rendition="#g">an die Unterthanen</hi> oder <hi rendition="#g">an die<lb/>
Beamten;</hi> demnach sind zwei Fälle zu unterscheiden.</p><lb/>
            <p>1. Das Recht, Gesetze zu machen, ist von lange her als ein<lb/>
Hoheitsrecht des Fürsten anerkannt; die Gelehrten gruppierten es<lb/>
unter die formellen oder allgemeinen Hoheitsrechte. Es hatte als<lb/>
solches die gewöhnlichen Schranken, die jetzt weggefallen sind;<lb/>
der Fürst, der alles befehlen kann, kann es auch in Form einer all-<lb/>
gemeinen Regel thun. Der Begriff selbst ist der nämliche geblieben:<lb/><hi rendition="#g">Gesetz</hi> ist ein allgemeines Gebot oder Verbot an die Unterthanen,<lb/>
um ihr Thun und Lassen zu bestimmen. Befehlen kann man nur,<lb/>
indem man dem Gehorsamspflichtigen seinen Willen kundthut. Die<lb/>
Kundgabe ist hier naturgemä&#x017F;s die Veröffentlichung. Gesetz ist also<lb/>
ein <hi rendition="#g">veröffentlichtes</hi> allgemeines Gebot oder Verbot an die<lb/>
Unterthanen<note place="foot" n="8"><hi rendition="#g">Moser,</hi> Landeshoh. in Reg.Sachen S. 303: &#x201E;Gesetze sind landesherrliche<lb/>
Befehle, Verordnungen, Gebote und Verbote, welche entweder alle Landesunter-<lb/>
thanen oder doch eine ganze gewisse Gattung derselbigen verbinden&#x201C;. Das ist<lb/>
die feststehende Begriffsabgrenzung bis herab zur Neuzeit: <hi rendition="#g">Bodinus,</hi> De republ.<lb/>
ed. VII S. 466; <hi rendition="#g">Christ</hi>. <hi rendition="#g">Wolff,</hi> Jus nat. VIII § 965; <hi rendition="#g">Pütter,</hi> Inst. jur. publ.<lb/>
§ 221; <hi rendition="#g">Dankelmann</hi> in seinen Einwendungen gegen die Preu&#x017F;s. Civilrechts-<lb/>
kodifikation bei <hi rendition="#g">Stölzel,</hi> Svarez S. 378; ausführlich zuletzt noch <hi rendition="#g">Häberlin,</hi><lb/>
St.R. II § 221.</note>.</p><lb/>
            <p>Solche Gesetze kann der Fürst erlassen für das Gebiet der Justiz<lb/>
sowohl wie für das der Verwaltung. Es kommt aber jetzt zum Be-<lb/>
wu&#x017F;stsein, da&#x017F;s das eine wesentlich verschiedene Bedeutung hat auf dem<lb/>
einen und auf dem andern Gebiet. Denn jetzt, wo die äu&#x017F;seren<lb/>
Schranken der fürstlichen Rechte nicht mehr bestehen, werden andere<lb/>
Schranken desto bedeutsamer und tritt die besondere Stellung der<lb/>
Gerichte schärfer hervor.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0062] Geschichtliche Entwicklungsstufen. Wir sehen thatsächlich auch in der Verwaltung ähnliche Ord- nungen zur Anwendung kommen, wie in der Justiz, Ordnungen, welche dazu dienen, die Verwaltungsthätigkeit bei ihrem Zwecke zu halten und ihren Erfolg zu sichern. Damit ist noch nicht gesagt, daſs sie das auch thun in der Weise des Rechts. Es zeigt sich viel- mehr hierin zwischen Justiz und Verwaltung ein tiefgehender Gegensatz. Für die ursprüngliche Anschauung erscheint alle obrigkeitliche Anordnung in der Form des Befehls; spätere Entwicklungsstufen unterscheiden feiner. Hier haben wir nur mit diesem allgemeinen Begriff des Befehls zu thun. Der Befehl vermag Recht zu schaffen, indem er als bindende allgemeine Regel auftritt. Dabei wendet er sich aber unmittelbar entweder an die Unterthanen oder an die Beamten; demnach sind zwei Fälle zu unterscheiden. 1. Das Recht, Gesetze zu machen, ist von lange her als ein Hoheitsrecht des Fürsten anerkannt; die Gelehrten gruppierten es unter die formellen oder allgemeinen Hoheitsrechte. Es hatte als solches die gewöhnlichen Schranken, die jetzt weggefallen sind; der Fürst, der alles befehlen kann, kann es auch in Form einer all- gemeinen Regel thun. Der Begriff selbst ist der nämliche geblieben: Gesetz ist ein allgemeines Gebot oder Verbot an die Unterthanen, um ihr Thun und Lassen zu bestimmen. Befehlen kann man nur, indem man dem Gehorsamspflichtigen seinen Willen kundthut. Die Kundgabe ist hier naturgemäſs die Veröffentlichung. Gesetz ist also ein veröffentlichtes allgemeines Gebot oder Verbot an die Unterthanen 8. Solche Gesetze kann der Fürst erlassen für das Gebiet der Justiz sowohl wie für das der Verwaltung. Es kommt aber jetzt zum Be- wuſstsein, daſs das eine wesentlich verschiedene Bedeutung hat auf dem einen und auf dem andern Gebiet. Denn jetzt, wo die äuſseren Schranken der fürstlichen Rechte nicht mehr bestehen, werden andere Schranken desto bedeutsamer und tritt die besondere Stellung der Gerichte schärfer hervor. 8 Moser, Landeshoh. in Reg.Sachen S. 303: „Gesetze sind landesherrliche Befehle, Verordnungen, Gebote und Verbote, welche entweder alle Landesunter- thanen oder doch eine ganze gewisse Gattung derselbigen verbinden“. Das ist die feststehende Begriffsabgrenzung bis herab zur Neuzeit: Bodinus, De republ. ed. VII S. 466; Christ. Wolff, Jus nat. VIII § 965; Pütter, Inst. jur. publ. § 221; Dankelmann in seinen Einwendungen gegen die Preuſs. Civilrechts- kodifikation bei Stölzel, Svarez S. 378; ausführlich zuletzt noch Häberlin, St.R. II § 221.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/62
Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/62>, abgerufen am 26.11.2024.