3. Mitten in diese Ordnung der öffentlichen Gewalt hinein baut sich aber nun ein ganz eigentümliches Element durch die Anerkennung des Grundsatzes der Unabhängigkeit der Gerichte.
Der Landesherr hat von lange her die oberste richterliche Gewalt in seinem Gebiet geübt, indem er selbst Recht sprach, oder durch seine Räte Recht sprechen liess, die Landesgerichte beaufsichtigte und insbesondere einzelne Sachen, die ihm geeignet schienen, von diesen abrief, um sie unmittelbar zu entscheiden. Ein solches unmittelbares Eingreifen des Fürsten in die Rechtspflege war ganz im Geiste des Polizeistaates. Die Civil- und Strafrechtspflege ist zwar ordentlicherweise in die Hände der dazu bestellten Gerichte gelegt. Der Fürst aber kann jeder Zeit einen Civil- oder Strafprozess dadurch erledigen, dass er einen "Macht- spruch" erlässt. Dadurch bestimmt er entweder selbst, was für den Fall Rechtens sein soll, oder er befiehlt den Gerichten das zu gebende Urteil.
Aus einer übereifrigen Geltendmachung dieses Mittels entwickelte sich aber in dem führenden Staate, Preussen, unter Friedrich dem Grossen der entscheidende Umschlag in die entgegengesetzte Ordnung. Man er- kannte, dass gerade der grosse Zweck des Staatswohls, der auf allen an- deren Gebieten das rastlose persönliche Eingreifen des Fürsten fordern mochte, auf diesem besonderen Gebiete ein solches Eingreifen im Einzel- falle verbot. Ein Machtspruch in der einen oder anderen Form gilt fortan als unzulässig. Der König hält sich nicht mehr dazu befugt. Damit aber bekommt die Civil- und Strafrechtspflege eine ganz be- sondere Stellung im Vergleich zur Verwaltung; die Behörden der Justiz werden ein selbständiges Machtelement innerhalb der staat- lichen Ordnung, wohl befähigt, auch der sonst schrankenlosen öffent- lichen Gewalt gegenüber Recht und Rechtsordnung in gewissem Masse zur Geltung zu bringen7.
II. Die Frage ist also: wie gestaltet sich auf dieser Grund- lage das Verwaltungsrecht des Polizeistaates? Dass es öffentliches Recht auch nach Zerstörung der Hoheitsrechte zwischen Staat und Unter- than geben kann, beweist die Justiz in Civil- und Strafprozess. Diese prägt gerade jetzt, mit dem allmählichen Durchdringen des Grund- satzes der Unabhängigkeit der Gerichte, ihre Formen scharf aus.
Wo ist also dem entsprechend das der Verwaltung eigentümliche öffentliche Recht (oben § 2, III)?
7 Eine treffliche Darstellung des Ganges, den die Beseitigung der Macht- sprüche unter Friedrich d. Gr. genommen hat, giebt Stölzel, Fünfzehn Vorträge aus d. Brandenb. Preuss. Rechts- und Staatsgesch. S. 157 ff.
§ 4. Der Polizeistaat.
3. Mitten in diese Ordnung der öffentlichen Gewalt hinein baut sich aber nun ein ganz eigentümliches Element durch die Anerkennung des Grundsatzes der Unabhängigkeit der Gerichte.
Der Landesherr hat von lange her die oberste richterliche Gewalt in seinem Gebiet geübt, indem er selbst Recht sprach, oder durch seine Räte Recht sprechen lieſs, die Landesgerichte beaufsichtigte und insbesondere einzelne Sachen, die ihm geeignet schienen, von diesen abrief, um sie unmittelbar zu entscheiden. Ein solches unmittelbares Eingreifen des Fürsten in die Rechtspflege war ganz im Geiste des Polizeistaates. Die Civil- und Strafrechtspflege ist zwar ordentlicherweise in die Hände der dazu bestellten Gerichte gelegt. Der Fürst aber kann jeder Zeit einen Civil- oder Strafprozeſs dadurch erledigen, daſs er einen „Macht- spruch“ erläſst. Dadurch bestimmt er entweder selbst, was für den Fall Rechtens sein soll, oder er befiehlt den Gerichten das zu gebende Urteil.
Aus einer übereifrigen Geltendmachung dieses Mittels entwickelte sich aber in dem führenden Staate, Preuſsen, unter Friedrich dem Groſsen der entscheidende Umschlag in die entgegengesetzte Ordnung. Man er- kannte, daſs gerade der groſse Zweck des Staatswohls, der auf allen an- deren Gebieten das rastlose persönliche Eingreifen des Fürsten fordern mochte, auf diesem besonderen Gebiete ein solches Eingreifen im Einzel- falle verbot. Ein Machtspruch in der einen oder anderen Form gilt fortan als unzulässig. Der König hält sich nicht mehr dazu befugt. Damit aber bekommt die Civil- und Strafrechtspflege eine ganz be- sondere Stellung im Vergleich zur Verwaltung; die Behörden der Justiz werden ein selbständiges Machtelement innerhalb der staat- lichen Ordnung, wohl befähigt, auch der sonst schrankenlosen öffent- lichen Gewalt gegenüber Recht und Rechtsordnung in gewissem Maſse zur Geltung zu bringen7.
II. Die Frage ist also: wie gestaltet sich auf dieser Grund- lage das Verwaltungsrecht des Polizeistaates? Daſs es öffentliches Recht auch nach Zerstörung der Hoheitsrechte zwischen Staat und Unter- than geben kann, beweist die Justiz in Civil- und Strafprozeſs. Diese prägt gerade jetzt, mit dem allmählichen Durchdringen des Grund- satzes der Unabhängigkeit der Gerichte, ihre Formen scharf aus.
Wo ist also dem entsprechend das der Verwaltung eigentümliche öffentliche Recht (oben § 2, III)?
7 Eine treffliche Darstellung des Ganges, den die Beseitigung der Macht- sprüche unter Friedrich d. Gr. genommen hat, giebt Stölzel, Fünfzehn Vorträge aus d. Brandenb. Preuſs. Rechts- und Staatsgesch. S. 157 ff.
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[41/0061]
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Der Landesherr hat von lange her die oberste richterliche Gewalt in
seinem Gebiet geübt, indem er selbst Recht sprach, oder durch seine Räte
Recht sprechen lieſs, die Landesgerichte beaufsichtigte und insbesondere
einzelne Sachen, die ihm geeignet schienen, von diesen abrief, um sie
unmittelbar zu entscheiden. Ein solches unmittelbares Eingreifen des
Fürsten in die Rechtspflege war ganz im Geiste des Polizeistaates.
Die Civil- und Strafrechtspflege ist zwar ordentlicherweise in die Hände
der dazu bestellten Gerichte gelegt. Der Fürst aber kann jeder Zeit
einen Civil- oder Strafprozeſs dadurch erledigen, daſs er einen „Macht-
spruch“ erläſst. Dadurch bestimmt er entweder selbst, was für den
Fall Rechtens sein soll, oder er befiehlt den Gerichten das zu gebende
Urteil.
Aus einer übereifrigen Geltendmachung dieses Mittels entwickelte
sich aber in dem führenden Staate, Preuſsen, unter Friedrich dem Groſsen
der entscheidende Umschlag in die entgegengesetzte Ordnung. Man er-
kannte, daſs gerade der groſse Zweck des Staatswohls, der auf allen an-
deren Gebieten das rastlose persönliche Eingreifen des Fürsten fordern
mochte, auf diesem besonderen Gebiete ein solches Eingreifen im Einzel-
falle verbot. Ein Machtspruch in der einen oder anderen Form gilt
fortan als unzulässig. Der König hält sich nicht mehr dazu befugt.
Damit aber bekommt die Civil- und Strafrechtspflege eine ganz be-
sondere Stellung im Vergleich zur Verwaltung; die Behörden der
Justiz werden ein selbständiges Machtelement innerhalb der staat-
lichen Ordnung, wohl befähigt, auch der sonst schrankenlosen öffent-
lichen Gewalt gegenüber Recht und Rechtsordnung in gewissem Maſse
zur Geltung zu bringen 7.
II. Die Frage ist also: wie gestaltet sich auf dieser Grund-
lage das Verwaltungsrecht des Polizeistaates? Daſs es öffentliches Recht
auch nach Zerstörung der Hoheitsrechte zwischen Staat und Unter-
than geben kann, beweist die Justiz in Civil- und Strafprozeſs. Diese
prägt gerade jetzt, mit dem allmählichen Durchdringen des Grund-
satzes der Unabhängigkeit der Gerichte, ihre Formen scharf aus.
Wo ist also dem entsprechend das der Verwaltung eigentümliche
öffentliche Recht (oben § 2, III)?
7 Eine treffliche Darstellung des Ganges, den die Beseitigung der Macht-
sprüche unter Friedrich d. Gr. genommen hat, giebt Stölzel, Fünfzehn Vorträge
aus d. Brandenb. Preuſs. Rechts- und Staatsgesch. S. 157 ff.
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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/61>, abgerufen am 26.11.2024.
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