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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Geschichtliche Entwicklungsstufen.
behörden sind ohne weiteres berufen, alles zu thun, was von ihnen und
in ihrem Bezirke für die öffentlichen Interessen geschehen kann und
nicht einer andern Stelle besonders vorbehalten ist. Sie stehen ihrer-
seits unter scharfer Zucht und Aufsicht ihrer Vorgesetzten, vor allem
des obersten Verwalters, des Fürsten selbst. Mit peinlich genauen
Instruktionen wird ihnen der Dienst in allen Punkten vorgeschrieben.
Jederzeit kann ein Einzelbefehl dazwischen fahren, um besondere An-
weisung zu geben. Ihre Anordnungen selbst werden nicht bloss im
Instanzenzug, sondern häufig unmittelbar durch den Fürsten aufgehoben
und abgeändert; oder auch der Fürst greift selbst ein, um sie für diese
oder jene Angelegenheit einfach bei Seite zu schieben und an ihrer
Stelle Verfügungen zu treffen5.

Nach aussen aber, dem Unterthanen gegenüber, vertreten sie den
Fürsten und durch ihn den Staat und sind innerhalb des Spielraums
ihres Auftrags und ihrer Vollmacht ebendeshalb rechtlich unbeschränkt.
Wenn dem Beamten des älteren Staats die Grenzen der Hoheitsrechte
seines Herrn entgegengehalten werden konnten, so ist das jetzt weg-
gefallen. Wie der Fürst für die Gesamtheit der Staatsaufgaben recht-
lich alles vermag, was zur Durchführung erforderlich ist, so der
Beamte für seinen Teil, und da dieser Teil allgemein und in um-
fassender Weise bestimmt zu sein pflegte, so steht der Beamte den
Unterthanen thatsächlich gegenüber wie ein Fürst im Kleinen: der
Unterthan hat sich auch seinen Massregeln schlechthin zu fügen6.
Der Unterschied liegt nur darin, dass es gegen diese eine Abhülfe giebt
bei einem höheren Herrn, der, wenn er angerufen wird, seinerseits
wieder "machen kann, was er will".

5 Grävell, Antiplatonischer Staat 1808 S. 196, 197. Beispiele von Durch-
brechung aller Zuständigkeiten durch unmittelbare fürstliche Anordnungen oben
Note 3. Gegen das Ende der Periode werden solche Eingriffe seltener; das
Beamtentum sieht darin "Einmischungen" in die ihm zustehende unmittelbare Ge-
schäftsbesorgung, die zugleich "gewissermassen ein Recht der Unterthanen" sein
soll. Vgl. darüber Zimmermann, Deutsch. Pol. I S. 142.
6 So Roller, Württ. Pol. R. 1800 Vorrede S. V: "Ein solcher Staats-
beamter darf als ein kleiner Regent in seinem Bezirke betrachtet werden". Ähn-
lich Schmoller in Ztschft. f. Preuss. Gesch. 1874 S. 564: "Die Steuerräte waren
im Kleinen, was der König im Grossen war". Über die Allgemeinheit der Amts-
aufträge: v. Kreittmayr, Anm. z. Cod. Max. V S. 1731; Leist, St.R. § 101
(die Formel ist wie für die Bestimmung des Umfangs der obersten Gewalt, dass
sie berechtigt sein müssen zu allem, was sie zur Erfüllung ihrer Amtspflichten
nötig haben können; oben S. 26); ebenso Goenner, Staatsdienst S. 219; Pfeiffer,
Prakt. Ausf. III S. 304, 306.

Geschichtliche Entwicklungsstufen.
behörden sind ohne weiteres berufen, alles zu thun, was von ihnen und
in ihrem Bezirke für die öffentlichen Interessen geschehen kann und
nicht einer andern Stelle besonders vorbehalten ist. Sie stehen ihrer-
seits unter scharfer Zucht und Aufsicht ihrer Vorgesetzten, vor allem
des obersten Verwalters, des Fürsten selbst. Mit peinlich genauen
Instruktionen wird ihnen der Dienst in allen Punkten vorgeschrieben.
Jederzeit kann ein Einzelbefehl dazwischen fahren, um besondere An-
weisung zu geben. Ihre Anordnungen selbst werden nicht bloſs im
Instanzenzug, sondern häufig unmittelbar durch den Fürsten aufgehoben
und abgeändert; oder auch der Fürst greift selbst ein, um sie für diese
oder jene Angelegenheit einfach bei Seite zu schieben und an ihrer
Stelle Verfügungen zu treffen5.

Nach auſsen aber, dem Unterthanen gegenüber, vertreten sie den
Fürsten und durch ihn den Staat und sind innerhalb des Spielraums
ihres Auftrags und ihrer Vollmacht ebendeshalb rechtlich unbeschränkt.
Wenn dem Beamten des älteren Staats die Grenzen der Hoheitsrechte
seines Herrn entgegengehalten werden konnten, so ist das jetzt weg-
gefallen. Wie der Fürst für die Gesamtheit der Staatsaufgaben recht-
lich alles vermag, was zur Durchführung erforderlich ist, so der
Beamte für seinen Teil, und da dieser Teil allgemein und in um-
fassender Weise bestimmt zu sein pflegte, so steht der Beamte den
Unterthanen thatsächlich gegenüber wie ein Fürst im Kleinen: der
Unterthan hat sich auch seinen Maſsregeln schlechthin zu fügen6.
Der Unterschied liegt nur darin, daſs es gegen diese eine Abhülfe giebt
bei einem höheren Herrn, der, wenn er angerufen wird, seinerseits
wieder „machen kann, was er will“.

5 Grävell, Antiplatonischer Staat 1808 S. 196, 197. Beispiele von Durch-
brechung aller Zuständigkeiten durch unmittelbare fürstliche Anordnungen oben
Note 3. Gegen das Ende der Periode werden solche Eingriffe seltener; das
Beamtentum sieht darin „Einmischungen“ in die ihm zustehende unmittelbare Ge-
schäftsbesorgung, die zugleich „gewissermaſsen ein Recht der Unterthanen“ sein
soll. Vgl. darüber Zimmermann, Deutsch. Pol. I S. 142.
6 So Roller, Württ. Pol. R. 1800 Vorrede S. V: „Ein solcher Staats-
beamter darf als ein kleiner Regent in seinem Bezirke betrachtet werden“. Ähn-
lich Schmoller in Ztschft. f. Preuſs. Gesch. 1874 S. 564: „Die Steuerräte waren
im Kleinen, was der König im Groſsen war“. Über die Allgemeinheit der Amts-
aufträge: v. Kreittmayr, Anm. z. Cod. Max. V S. 1731; Leist, St.R. § 101
(die Formel ist wie für die Bestimmung des Umfangs der obersten Gewalt, daſs
sie berechtigt sein müssen zu allem, was sie zur Erfüllung ihrer Amtspflichten
nötig haben können; oben S. 26); ebenso Goenner, Staatsdienst S. 219; Pfeiffer,
Prakt. Ausf. III S. 304, 306.
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[40/0060] Geschichtliche Entwicklungsstufen. behörden sind ohne weiteres berufen, alles zu thun, was von ihnen und in ihrem Bezirke für die öffentlichen Interessen geschehen kann und nicht einer andern Stelle besonders vorbehalten ist. Sie stehen ihrer- seits unter scharfer Zucht und Aufsicht ihrer Vorgesetzten, vor allem des obersten Verwalters, des Fürsten selbst. Mit peinlich genauen Instruktionen wird ihnen der Dienst in allen Punkten vorgeschrieben. Jederzeit kann ein Einzelbefehl dazwischen fahren, um besondere An- weisung zu geben. Ihre Anordnungen selbst werden nicht bloſs im Instanzenzug, sondern häufig unmittelbar durch den Fürsten aufgehoben und abgeändert; oder auch der Fürst greift selbst ein, um sie für diese oder jene Angelegenheit einfach bei Seite zu schieben und an ihrer Stelle Verfügungen zu treffen 5. Nach auſsen aber, dem Unterthanen gegenüber, vertreten sie den Fürsten und durch ihn den Staat und sind innerhalb des Spielraums ihres Auftrags und ihrer Vollmacht ebendeshalb rechtlich unbeschränkt. Wenn dem Beamten des älteren Staats die Grenzen der Hoheitsrechte seines Herrn entgegengehalten werden konnten, so ist das jetzt weg- gefallen. Wie der Fürst für die Gesamtheit der Staatsaufgaben recht- lich alles vermag, was zur Durchführung erforderlich ist, so der Beamte für seinen Teil, und da dieser Teil allgemein und in um- fassender Weise bestimmt zu sein pflegte, so steht der Beamte den Unterthanen thatsächlich gegenüber wie ein Fürst im Kleinen: der Unterthan hat sich auch seinen Maſsregeln schlechthin zu fügen 6. Der Unterschied liegt nur darin, daſs es gegen diese eine Abhülfe giebt bei einem höheren Herrn, der, wenn er angerufen wird, seinerseits wieder „machen kann, was er will“. 5 Grävell, Antiplatonischer Staat 1808 S. 196, 197. Beispiele von Durch- brechung aller Zuständigkeiten durch unmittelbare fürstliche Anordnungen oben Note 3. Gegen das Ende der Periode werden solche Eingriffe seltener; das Beamtentum sieht darin „Einmischungen“ in die ihm zustehende unmittelbare Ge- schäftsbesorgung, die zugleich „gewissermaſsen ein Recht der Unterthanen“ sein soll. Vgl. darüber Zimmermann, Deutsch. Pol. I S. 142. 6 So Roller, Württ. Pol. R. 1800 Vorrede S. V: „Ein solcher Staats- beamter darf als ein kleiner Regent in seinem Bezirke betrachtet werden“. Ähn- lich Schmoller in Ztschft. f. Preuſs. Gesch. 1874 S. 564: „Die Steuerräte waren im Kleinen, was der König im Groſsen war“. Über die Allgemeinheit der Amts- aufträge: v. Kreittmayr, Anm. z. Cod. Max. V S. 1731; Leist, St.R. § 101 (die Formel ist wie für die Bestimmung des Umfangs der obersten Gewalt, daſs sie berechtigt sein müssen zu allem, was sie zur Erfüllung ihrer Amtspflichten nötig haben können; oben S. 26); ebenso Goenner, Staatsdienst S. 219; Pfeiffer, Prakt. Ausf. III S. 304, 306.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/60>, abgerufen am 26.11.2024.