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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Geschichtliche Entwicklungsstufen.
gründet sein sollen, Gewerberechte, gemäss den bestehenden Hand-
werksordnungen erworben, Mitgliedschaftsrechte in allerlei Körper-
schaften können richterlich beurteilt und abgesprochen werden als
unbegründet und verwirkt, aber nicht einfach entzogen werden in
Ausübung irgend eines Hoheitsrechtes, selbst nicht des allumfassenden
jus politiae17.

Darin ist eine den Hoheitsrechten eigentümliche Beschränkung
zu sehen. Auch der Einzelne darf seinem Nächsten nicht eingreifen
in jura quaesita; er hat eben zu solcher Schädigung kein Recht und
deshalb gilt für ihn das Verbot: neminem laede. Sollte ihm aber
ans irgend einem Grunde ein Recht zustehen, dessen Ausübung den
Erfolg einer Zerstörung des Rechtes des anderen haben könnte, so
erweist sich auch das wohlerworbene Recht nicht als Schranke: qui
jure suo utitur, neminem laedit. Wenn es mit den Hoheitsrechten
anders steht, so ist das aus dem Zusammenhange der Stellung des
Landesherrn überhaupt zu erklären. Sie stehen ihm nur zu für das
gemeine Wohl; für das gemeine Wohl ist aber der Landesherr in
erster Linie der Hort des Rechtes im Lande und hat als oberster
Gerichtsherr die Aufgabe, die Rechte der Unterthanen zu schützen
und zu handhaben, wo er sie findet. Dieser richterliche Beruf wiegt
dermassen vor in seiner öffentlichen Stellung, dass keines der anderen
Rechte, welche diese Stellung ihm giebt, dazu führen darf, den Gegen-
stand der Pflichten jenes Berufes zu zerstören18.

3. Gegenüber den zuletzt erwähnten Beschränkungen der Hoheits-
rechte entsteht nun wieder ein besonderes Hoheitsrecht, welches be-

17 Struben, Rechtl. Bed. V (J.S.) S. 272 scheint nur unmittelbar gegen
den Landesherrn selbst erworbene Rechte, insbesondere aus Verträgen mit dem-
selben, als Schranken der Hoheitsrechte anerkennen zu wollen. Dass jedes, gegen-
über wem immer erworbene Recht genügt, ist jedoch zweifellos herrschende An-
sicht: v. Berg, Pol. R. I S. 166; Pütter, Beitr. I n. 20; Häberlin, St.R. II
S. 489; Leist, St.R. § 86; Kreittmayr, St.R. § 32, § 35 in f.; Neurath, De
cognitione et potestate judiciaria in causis quae politiae nomine veniunt § 4.
18 Warum diese wohlerworbenen Rechte den Hoheitsrechten gegenüber un-
verletzlich sein sollen, das pflegt nicht begründet zu werden. Auf allen Ent-
wicklungsstufen treten immer gerade die grundlegenden Sätze des öffentlichen
Rechts als Axiome auf. Hier heisst es einfach "fas est" (Pütter, Inst. § 119).
Angedeutet ist die obige Begründung in Pütter, Beitr. I S. 362, wo es als "goldne
Regel" für alle Regenten und Obrigkeiten eingeschärft wird, "dass selbst die höchste
Gewalt nicht berechtigt ist, jemandem sein Eigentum oder wohlerworbenes Recht
zu nehmen, als dessen Erhaltung und Sicherheit eine der ersten Triebfedern ist,
welche Menschen aus ihrer natürlichen Freiheit in bürgerliche Gesellschaften sich
zu begeben bewogen hat."

Geschichtliche Entwicklungsstufen.
gründet sein sollen, Gewerberechte, gemäſs den bestehenden Hand-
werksordnungen erworben, Mitgliedschaftsrechte in allerlei Körper-
schaften können richterlich beurteilt und abgesprochen werden als
unbegründet und verwirkt, aber nicht einfach entzogen werden in
Ausübung irgend eines Hoheitsrechtes, selbst nicht des allumfassenden
jus politiae17.

Darin ist eine den Hoheitsrechten eigentümliche Beschränkung
zu sehen. Auch der Einzelne darf seinem Nächsten nicht eingreifen
in jura quaesita; er hat eben zu solcher Schädigung kein Recht und
deshalb gilt für ihn das Verbot: neminem laede. Sollte ihm aber
ans irgend einem Grunde ein Recht zustehen, dessen Ausübung den
Erfolg einer Zerstörung des Rechtes des anderen haben könnte, so
erweist sich auch das wohlerworbene Recht nicht als Schranke: qui
jure suo utitur, neminem laedit. Wenn es mit den Hoheitsrechten
anders steht, so ist das aus dem Zusammenhange der Stellung des
Landesherrn überhaupt zu erklären. Sie stehen ihm nur zu für das
gemeine Wohl; für das gemeine Wohl ist aber der Landesherr in
erster Linie der Hort des Rechtes im Lande und hat als oberster
Gerichtsherr die Aufgabe, die Rechte der Unterthanen zu schützen
und zu handhaben, wo er sie findet. Dieser richterliche Beruf wiegt
dermaſsen vor in seiner öffentlichen Stellung, daſs keines der anderen
Rechte, welche diese Stellung ihm giebt, dazu führen darf, den Gegen-
stand der Pflichten jenes Berufes zu zerstören18.

3. Gegenüber den zuletzt erwähnten Beschränkungen der Hoheits-
rechte entsteht nun wieder ein besonderes Hoheitsrecht, welches be-

17 Struben, Rechtl. Bed. V (J.S.) S. 272 scheint nur unmittelbar gegen
den Landesherrn selbst erworbene Rechte, insbesondere aus Verträgen mit dem-
selben, als Schranken der Hoheitsrechte anerkennen zu wollen. Daſs jedes, gegen-
über wem immer erworbene Recht genügt, ist jedoch zweifellos herrschende An-
sicht: v. Berg, Pol. R. I S. 166; Pütter, Beitr. I n. 20; Häberlin, St.R. II
S. 489; Leist, St.R. § 86; Kreittmayr, St.R. § 32, § 35 in f.; Neurath, De
cognitione et potestate judiciaria in causis quae politiae nomine veniunt § 4.
18 Warum diese wohlerworbenen Rechte den Hoheitsrechten gegenüber un-
verletzlich sein sollen, das pflegt nicht begründet zu werden. Auf allen Ent-
wicklungsstufen treten immer gerade die grundlegenden Sätze des öffentlichen
Rechts als Axiome auf. Hier heiſst es einfach „fas est“ (Pütter, Inst. § 119).
Angedeutet ist die obige Begründung in Pütter, Beitr. I S. 362, wo es als „goldne
Regel“ für alle Regenten und Obrigkeiten eingeschärft wird, „daſs selbst die höchste
Gewalt nicht berechtigt ist, jemandem sein Eigentum oder wohlerworbenes Recht
zu nehmen, als dessen Erhaltung und Sicherheit eine der ersten Triebfedern ist,
welche Menschen aus ihrer natürlichen Freiheit in bürgerliche Gesellschaften sich
zu begeben bewogen hat.“
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[32/0052] Geschichtliche Entwicklungsstufen. gründet sein sollen, Gewerberechte, gemäſs den bestehenden Hand- werksordnungen erworben, Mitgliedschaftsrechte in allerlei Körper- schaften können richterlich beurteilt und abgesprochen werden als unbegründet und verwirkt, aber nicht einfach entzogen werden in Ausübung irgend eines Hoheitsrechtes, selbst nicht des allumfassenden jus politiae 17. Darin ist eine den Hoheitsrechten eigentümliche Beschränkung zu sehen. Auch der Einzelne darf seinem Nächsten nicht eingreifen in jura quaesita; er hat eben zu solcher Schädigung kein Recht und deshalb gilt für ihn das Verbot: neminem laede. Sollte ihm aber ans irgend einem Grunde ein Recht zustehen, dessen Ausübung den Erfolg einer Zerstörung des Rechtes des anderen haben könnte, so erweist sich auch das wohlerworbene Recht nicht als Schranke: qui jure suo utitur, neminem laedit. Wenn es mit den Hoheitsrechten anders steht, so ist das aus dem Zusammenhange der Stellung des Landesherrn überhaupt zu erklären. Sie stehen ihm nur zu für das gemeine Wohl; für das gemeine Wohl ist aber der Landesherr in erster Linie der Hort des Rechtes im Lande und hat als oberster Gerichtsherr die Aufgabe, die Rechte der Unterthanen zu schützen und zu handhaben, wo er sie findet. Dieser richterliche Beruf wiegt dermaſsen vor in seiner öffentlichen Stellung, daſs keines der anderen Rechte, welche diese Stellung ihm giebt, dazu führen darf, den Gegen- stand der Pflichten jenes Berufes zu zerstören 18. 3. Gegenüber den zuletzt erwähnten Beschränkungen der Hoheits- rechte entsteht nun wieder ein besonderes Hoheitsrecht, welches be- 17 Struben, Rechtl. Bed. V (J.S.) S. 272 scheint nur unmittelbar gegen den Landesherrn selbst erworbene Rechte, insbesondere aus Verträgen mit dem- selben, als Schranken der Hoheitsrechte anerkennen zu wollen. Daſs jedes, gegen- über wem immer erworbene Recht genügt, ist jedoch zweifellos herrschende An- sicht: v. Berg, Pol. R. I S. 166; Pütter, Beitr. I n. 20; Häberlin, St.R. II S. 489; Leist, St.R. § 86; Kreittmayr, St.R. § 32, § 35 in f.; Neurath, De cognitione et potestate judiciaria in causis quae politiae nomine veniunt § 4. 18 Warum diese wohlerworbenen Rechte den Hoheitsrechten gegenüber un- verletzlich sein sollen, das pflegt nicht begründet zu werden. Auf allen Ent- wicklungsstufen treten immer gerade die grundlegenden Sätze des öffentlichen Rechts als Axiome auf. Hier heiſst es einfach „fas est“ (Pütter, Inst. § 119). Angedeutet ist die obige Begründung in Pütter, Beitr. I S. 362, wo es als „goldne Regel“ für alle Regenten und Obrigkeiten eingeschärft wird, „daſs selbst die höchste Gewalt nicht berechtigt ist, jemandem sein Eigentum oder wohlerworbenes Recht zu nehmen, als dessen Erhaltung und Sicherheit eine der ersten Triebfedern ist, welche Menschen aus ihrer natürlichen Freiheit in bürgerliche Gesellschaften sich zu begeben bewogen hat.“

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/52>, abgerufen am 28.11.2024.