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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte.
zunächst aus der privatrechtlichen Auffassung, in der die Hoheits-
rechte gedacht sind, in der einfachsten Weise verstehen. Gegenüber
dem Forderungsrechte kann der Schuldner ein pactum de non petendo,
gegenüber dem Eigentum der Nachbar eine einschränkende Servitut
erwerben. In gleicher Weise werden durch wohlerworbene Rechte der
Einzelnen Absplitterungen vom äusseren Umfange der Hoheitsrechte
bewirkt. Diese Hoheitsrechte konnten durch besondere Erwerbstitel:
Kaiserliche Verleihung, Vertrag, Herkommen begründet und erweitert
werden; es ist nur folgerichtig, dass in der gleichen Weise auch ihre
Verengerung und Beschränkung durch Gegenrechte vor sich geht: gegen-
über dem Ernennungsrechte des Landesherrn das Vorschlagsrecht einer
Körperschaft oder Einzelperson, gegenüber seinem Besteuerungsrechte
ein Recht auf Steuerfreiheit, kurz die ganze Mannigfaltigkeit der
privilegia und immunitates tritt hier auf, als jura quaesita kraft der
besonderen Rechtstitel des Vertrags, der Ersitzung, der Kaiserlichen
Verleihung, und wird ein Gegenstand des Schutzes der Reichsgerichte
gegenüber den dadurch beschränkten Hoheitsrechten16.

Allein das civilrechtliche Vorbild des Gegenrechtes reicht nicht
aus, um die volle Bedeutung der wohlerworbenen Rechte zu erklären.
Nachdem das Naturrecht für die Hoheitsrechte selbst den Gedanken
an die einzelnen Erwerbstitel verwischt hatte, hätte sich wohl auch die
entsprechende Begründung der Widerstandskraft der wohlerworbenen
Rechte schwer mehr halten lassen. Unter den wohlerworbenen
Rechten, welche der Landesherr nicht antasten soll, werden aber auch
nicht bloss solche verstanden, welche auf Grund eines besonderen
Rechtstitels ihm gegenüber erworben sind, sondern Schranken der
Hoheitsrechte bilden alle jura quaesita schlechthin: die Hoheitsrechte
dürfen niemals so ausgeübt werden, dass dadurch dem Einzelnen ein
gegenüber irgend jemanden erworbenes Recht entzogen würde.
Eigentum und Forderungsrechte, wie sie nach gemeinem Rechte be-

die Gesetzgebung ist nicht wie heute eine besonders geartete Erscheinung des
höchsten Staatswillens, sondern Ausübung eines Hoheitsrechts, wie die andern. Da-
durch ergiebt sich die Folgerung von selbst. Sie wird aber auch ausdrücklich
gezogen: Moser, Landeshoh. in Reg. S. S. 307; Leist, St.R. S. 290; Struben,
Rechtl. Bed. V (J.S.) S. 37 ff. Bei Goenner, St.R. S. 471 Anm. 5 tritt aller-
dings eine Unterscheidung hervor: "Nicht gegen allgemeine Normen (Gesetze),
sondern gegen einzelne Befehle können beteiligte Individuen ein jus quaesitum be-
haupten". Das ist 1808 geschrieben. Es ist noch nicht der neue staatsrechtliche
Gesetzesbegriff; aber er klingt schon darin an.
16 Struben, Rechtl. Bed. V (J.S.) S. 128, 272; Leist, St.R. § 155. Ein sehr
verspäteter Nachzügler dieses Begriffes ist der "specielle Rechtstitel" des Preuss.
Ges. v. 11. Mai 1842 § 2; Oppenhoff, Ress.Verh. S. 350 n. 68.

§ 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte.
zunächst aus der privatrechtlichen Auffassung, in der die Hoheits-
rechte gedacht sind, in der einfachsten Weise verstehen. Gegenüber
dem Forderungsrechte kann der Schuldner ein pactum de non petendo,
gegenüber dem Eigentum der Nachbar eine einschränkende Servitut
erwerben. In gleicher Weise werden durch wohlerworbene Rechte der
Einzelnen Absplitterungen vom äuſseren Umfange der Hoheitsrechte
bewirkt. Diese Hoheitsrechte konnten durch besondere Erwerbstitel:
Kaiserliche Verleihung, Vertrag, Herkommen begründet und erweitert
werden; es ist nur folgerichtig, daſs in der gleichen Weise auch ihre
Verengerung und Beschränkung durch Gegenrechte vor sich geht: gegen-
über dem Ernennungsrechte des Landesherrn das Vorschlagsrecht einer
Körperschaft oder Einzelperson, gegenüber seinem Besteuerungsrechte
ein Recht auf Steuerfreiheit, kurz die ganze Mannigfaltigkeit der
privilegia und immunitates tritt hier auf, als jura quaesita kraft der
besonderen Rechtstitel des Vertrags, der Ersitzung, der Kaiserlichen
Verleihung, und wird ein Gegenstand des Schutzes der Reichsgerichte
gegenüber den dadurch beschränkten Hoheitsrechten16.

Allein das civilrechtliche Vorbild des Gegenrechtes reicht nicht
aus, um die volle Bedeutung der wohlerworbenen Rechte zu erklären.
Nachdem das Naturrecht für die Hoheitsrechte selbst den Gedanken
an die einzelnen Erwerbstitel verwischt hatte, hätte sich wohl auch die
entsprechende Begründung der Widerstandskraft der wohlerworbenen
Rechte schwer mehr halten lassen. Unter den wohlerworbenen
Rechten, welche der Landesherr nicht antasten soll, werden aber auch
nicht bloſs solche verstanden, welche auf Grund eines besonderen
Rechtstitels ihm gegenüber erworben sind, sondern Schranken der
Hoheitsrechte bilden alle jura quaesita schlechthin: die Hoheitsrechte
dürfen niemals so ausgeübt werden, daſs dadurch dem Einzelnen ein
gegenüber irgend jemanden erworbenes Recht entzogen würde.
Eigentum und Forderungsrechte, wie sie nach gemeinem Rechte be-

die Gesetzgebung ist nicht wie heute eine besonders geartete Erscheinung des
höchsten Staatswillens, sondern Ausübung eines Hoheitsrechts, wie die andern. Da-
durch ergiebt sich die Folgerung von selbst. Sie wird aber auch ausdrücklich
gezogen: Moser, Landeshoh. in Reg. S. S. 307; Leist, St.R. S. 290; Struben,
Rechtl. Bed. V (J.S.) S. 37 ff. Bei Goenner, St.R. S. 471 Anm. 5 tritt aller-
dings eine Unterscheidung hervor: „Nicht gegen allgemeine Normen (Gesetze),
sondern gegen einzelne Befehle können beteiligte Individuen ein jus quaesitum be-
haupten“. Das ist 1808 geschrieben. Es ist noch nicht der neue staatsrechtliche
Gesetzesbegriff; aber er klingt schon darin an.
16 Struben, Rechtl. Bed. V (J.S.) S. 128, 272; Leist, St.R. § 155. Ein sehr
verspäteter Nachzügler dieses Begriffes ist der „specielle Rechtstitel“ des Preuſs.
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[31/0051] § 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte. zunächst aus der privatrechtlichen Auffassung, in der die Hoheits- rechte gedacht sind, in der einfachsten Weise verstehen. Gegenüber dem Forderungsrechte kann der Schuldner ein pactum de non petendo, gegenüber dem Eigentum der Nachbar eine einschränkende Servitut erwerben. In gleicher Weise werden durch wohlerworbene Rechte der Einzelnen Absplitterungen vom äuſseren Umfange der Hoheitsrechte bewirkt. Diese Hoheitsrechte konnten durch besondere Erwerbstitel: Kaiserliche Verleihung, Vertrag, Herkommen begründet und erweitert werden; es ist nur folgerichtig, daſs in der gleichen Weise auch ihre Verengerung und Beschränkung durch Gegenrechte vor sich geht: gegen- über dem Ernennungsrechte des Landesherrn das Vorschlagsrecht einer Körperschaft oder Einzelperson, gegenüber seinem Besteuerungsrechte ein Recht auf Steuerfreiheit, kurz die ganze Mannigfaltigkeit der privilegia und immunitates tritt hier auf, als jura quaesita kraft der besonderen Rechtstitel des Vertrags, der Ersitzung, der Kaiserlichen Verleihung, und wird ein Gegenstand des Schutzes der Reichsgerichte gegenüber den dadurch beschränkten Hoheitsrechten 16. Allein das civilrechtliche Vorbild des Gegenrechtes reicht nicht aus, um die volle Bedeutung der wohlerworbenen Rechte zu erklären. Nachdem das Naturrecht für die Hoheitsrechte selbst den Gedanken an die einzelnen Erwerbstitel verwischt hatte, hätte sich wohl auch die entsprechende Begründung der Widerstandskraft der wohlerworbenen Rechte schwer mehr halten lassen. Unter den wohlerworbenen Rechten, welche der Landesherr nicht antasten soll, werden aber auch nicht bloſs solche verstanden, welche auf Grund eines besonderen Rechtstitels ihm gegenüber erworben sind, sondern Schranken der Hoheitsrechte bilden alle jura quaesita schlechthin: die Hoheitsrechte dürfen niemals so ausgeübt werden, daſs dadurch dem Einzelnen ein gegenüber irgend jemanden erworbenes Recht entzogen würde. Eigentum und Forderungsrechte, wie sie nach gemeinem Rechte be- 15 16 Struben, Rechtl. Bed. V (J.S.) S. 128, 272; Leist, St.R. § 155. Ein sehr verspäteter Nachzügler dieses Begriffes ist der „specielle Rechtstitel“ des Preuſs. Ges. v. 11. Mai 1842 § 2; Oppenhoff, Ress.Verh. S. 350 n. 68. 15 die Gesetzgebung ist nicht wie heute eine besonders geartete Erscheinung des höchsten Staatswillens, sondern Ausübung eines Hoheitsrechts, wie die andern. Da- durch ergiebt sich die Folgerung von selbst. Sie wird aber auch ausdrücklich gezogen: Moser, Landeshoh. in Reg. S. S. 307; Leist, St.R. S. 290; Struben, Rechtl. Bed. V (J.S.) S. 37 ff. Bei Goenner, St.R. S. 471 Anm. 5 tritt aller- dings eine Unterscheidung hervor: „Nicht gegen allgemeine Normen (Gesetze), sondern gegen einzelne Befehle können beteiligte Individuen ein jus quaesitum be- haupten“. Das ist 1808 geschrieben. Es ist noch nicht der neue staatsrechtliche Gesetzesbegriff; aber er klingt schon darin an.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/51>, abgerufen am 28.11.2024.