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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 31. Die Finanzstrafe.

Wenn der Schuldner in civilrechtlichen Verhältnissen durch
künstliche Vorspiegelungen oder auch durch einfaches Leugnen, wo
er verpflichtet war, die Wahrheit zu sagen, den Gläubiger über seine
Forderung täuscht, wird das als Angriff, als Betrug angesehen26.
Warum also ist das nicht so, wenn ganz das Nämliche bei Zoll- und
Steuerforderungen geschieht?

Es ist auch bei solchen Forderungen in vielen Fällen nicht
anders. Wenn der Steuerschuldner dem Erhebungsbeamtem vor-
spiegelt, er habe bezahlt, so ist das Betrug. Wenn der Tabakpflanzer
beim Verwiegen seiner Erzeugnisse dem Beamten die Wage verstellt,
desgleichen27.

Es ist ein ganz bestimmter Kreis von Handlungen, an welchen
allein die Besonderheit der Hinterziehung immer wieder zum Vor-
schein kommt. Der Steuerpflichtige, der verpflichtet ist, sein Ein-
kommen oder einen sonstigen Steuergegenstand getreulich anzugeben,
sagt die Unwahrheit; der Warenführer, der die Waren der Zollstelle
offen zu legen verpflichtet ist, verbirgt sie in künstlich bereiteten Ver-
stecken; der Brauer, der gehörige Brauregister führen soll, um da-
nach überwacht zu werden, macht falsche Einträge; der Brenner ver-
stellt den Messapparat, den ihm die Behörde an seinen Gefässen an-
gebracht hat28.

Gemeinsam ist allen diesen Fällen, dass die Unwahrhaftigkeiten,
die trügerischen Kunstgriffe, die der Schuldner anwendet, sich immer

26 Betrug ist die Unwahrheit, weil und sofern "wegen der übernommenen
Pflicht zur Wahrheit durch die Mitteilung selbst die Erwartung der Vollständig-
keit derselben begründet ist"; Merkel, Krim.Abhandl. II S. 159, S. 166 ff.
Anwendungsfälle bei Oppenhoff, Stf.G.B. zu § 263 n. 53.
27 Tabaksteuerges. § 12. Das Gesetz sieht für diesen Fall gar keine Defrau-
dationsstrafe vor. Das gemeine Strafrecht mit seiner Betrugsbestimmung genügt.
28 Branntweinsteuerges. § 19 Ziff. 3 hat im Gegensatz zu dem in voriger
Note erwähnten Fall eine eigene Strafbestimmung wegen Defraudation der Ver-
brauchsabgabe durch Störung des Messapparates. Fehlte eine solche, so wäre mit
Strafe nichts zu machen; denn der Betrugsparagraph, der die Wage des Verwiegungs-
amtes schützt, schützt nicht den Messapparat, den der Brenner bei sich dulden
muss. Es ist der nämliche Fall, wie der des unrichtig geführten Brauregisters,
den R.G. 26. Juni 1880 (Samml. II S. 114) behandelt. Dass die Nichtanwendbar-
keit des Betrugsrechts dort fassch begründet wird, nimmt dieser Entscheidung nicht
ihre Bedeutung. Unwahre Erklärungen über Steuerobjekte will Schwaiger in
Gerichtssaal 49 S. 439 wegen der Deklarationspflicht als Betrug behandeln. Was
er dafür in Note 1 zur Unterstützung anruft, soweit es wirklich passt, beweist nur,
dass um civilrechtlicher Pflichtverhältnisse willen auch das Schweigen Betrug sein
kann. Dass für die Steuerfatierung die entgegengesetzte Auffassung geltendes
Recht ist, kann nicht angezweifelt werden.
§ 31. Die Finanzstrafe.

Wenn der Schuldner in civilrechtlichen Verhältnissen durch
künstliche Vorspiegelungen oder auch durch einfaches Leugnen, wo
er verpflichtet war, die Wahrheit zu sagen, den Gläubiger über seine
Forderung täuscht, wird das als Angriff, als Betrug angesehen26.
Warum also ist das nicht so, wenn ganz das Nämliche bei Zoll- und
Steuerforderungen geschieht?

Es ist auch bei solchen Forderungen in vielen Fällen nicht
anders. Wenn der Steuerschuldner dem Erhebungsbeamtem vor-
spiegelt, er habe bezahlt, so ist das Betrug. Wenn der Tabakpflanzer
beim Verwiegen seiner Erzeugnisse dem Beamten die Wage verstellt,
desgleichen27.

Es ist ein ganz bestimmter Kreis von Handlungen, an welchen
allein die Besonderheit der Hinterziehung immer wieder zum Vor-
schein kommt. Der Steuerpflichtige, der verpflichtet ist, sein Ein-
kommen oder einen sonstigen Steuergegenstand getreulich anzugeben,
sagt die Unwahrheit; der Warenführer, der die Waren der Zollstelle
offen zu legen verpflichtet ist, verbirgt sie in künstlich bereiteten Ver-
stecken; der Brauer, der gehörige Brauregister führen soll, um da-
nach überwacht zu werden, macht falsche Einträge; der Brenner ver-
stellt den Meſsapparat, den ihm die Behörde an seinen Gefäſsen an-
gebracht hat28.

Gemeinsam ist allen diesen Fällen, daſs die Unwahrhaftigkeiten,
die trügerischen Kunstgriffe, die der Schuldner anwendet, sich immer

26 Betrug ist die Unwahrheit, weil und sofern „wegen der übernommenen
Pflicht zur Wahrheit durch die Mitteilung selbst die Erwartung der Vollständig-
keit derselben begründet ist“; Merkel, Krim.Abhandl. II S. 159, S. 166 ff.
Anwendungsfälle bei Oppenhoff, Stf.G.B. zu § 263 n. 53.
27 Tabaksteuerges. § 12. Das Gesetz sieht für diesen Fall gar keine Defrau-
dationsstrafe vor. Das gemeine Strafrecht mit seiner Betrugsbestimmung genügt.
28 Branntweinsteuerges. § 19 Ziff. 3 hat im Gegensatz zu dem in voriger
Note erwähnten Fall eine eigene Strafbestimmung wegen Defraudation der Ver-
brauchsabgabe durch Störung des Meſsapparates. Fehlte eine solche, so wäre mit
Strafe nichts zu machen; denn der Betrugsparagraph, der die Wage des Verwiegungs-
amtes schützt, schützt nicht den Meſsapparat, den der Brenner bei sich dulden
muſs. Es ist der nämliche Fall, wie der des unrichtig geführten Brauregisters,
den R.G. 26. Juni 1880 (Samml. II S. 114) behandelt. Daſs die Nichtanwendbar-
keit des Betrugsrechts dort faſsch begründet wird, nimmt dieser Entscheidung nicht
ihre Bedeutung. Unwahre Erklärungen über Steuerobjekte will Schwaiger in
Gerichtssaal 49 S. 439 wegen der Deklarationspflicht als Betrug behandeln. Was
er dafür in Note 1 zur Unterstützung anruft, soweit es wirklich paſst, beweist nur,
daſs um civilrechtlicher Pflichtverhältnisse willen auch das Schweigen Betrug sein
kann. Daſs für die Steuerfatierung die entgegengesetzte Auffassung geltendes
Recht ist, kann nicht angezweifelt werden.
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[461/0481] § 31. Die Finanzstrafe. Wenn der Schuldner in civilrechtlichen Verhältnissen durch künstliche Vorspiegelungen oder auch durch einfaches Leugnen, wo er verpflichtet war, die Wahrheit zu sagen, den Gläubiger über seine Forderung täuscht, wird das als Angriff, als Betrug angesehen 26. Warum also ist das nicht so, wenn ganz das Nämliche bei Zoll- und Steuerforderungen geschieht? Es ist auch bei solchen Forderungen in vielen Fällen nicht anders. Wenn der Steuerschuldner dem Erhebungsbeamtem vor- spiegelt, er habe bezahlt, so ist das Betrug. Wenn der Tabakpflanzer beim Verwiegen seiner Erzeugnisse dem Beamten die Wage verstellt, desgleichen 27. Es ist ein ganz bestimmter Kreis von Handlungen, an welchen allein die Besonderheit der Hinterziehung immer wieder zum Vor- schein kommt. Der Steuerpflichtige, der verpflichtet ist, sein Ein- kommen oder einen sonstigen Steuergegenstand getreulich anzugeben, sagt die Unwahrheit; der Warenführer, der die Waren der Zollstelle offen zu legen verpflichtet ist, verbirgt sie in künstlich bereiteten Ver- stecken; der Brauer, der gehörige Brauregister führen soll, um da- nach überwacht zu werden, macht falsche Einträge; der Brenner ver- stellt den Meſsapparat, den ihm die Behörde an seinen Gefäſsen an- gebracht hat 28. Gemeinsam ist allen diesen Fällen, daſs die Unwahrhaftigkeiten, die trügerischen Kunstgriffe, die der Schuldner anwendet, sich immer 26 Betrug ist die Unwahrheit, weil und sofern „wegen der übernommenen Pflicht zur Wahrheit durch die Mitteilung selbst die Erwartung der Vollständig- keit derselben begründet ist“; Merkel, Krim.Abhandl. II S. 159, S. 166 ff. Anwendungsfälle bei Oppenhoff, Stf.G.B. zu § 263 n. 53. 27 Tabaksteuerges. § 12. Das Gesetz sieht für diesen Fall gar keine Defrau- dationsstrafe vor. Das gemeine Strafrecht mit seiner Betrugsbestimmung genügt. 28 Branntweinsteuerges. § 19 Ziff. 3 hat im Gegensatz zu dem in voriger Note erwähnten Fall eine eigene Strafbestimmung wegen Defraudation der Ver- brauchsabgabe durch Störung des Meſsapparates. Fehlte eine solche, so wäre mit Strafe nichts zu machen; denn der Betrugsparagraph, der die Wage des Verwiegungs- amtes schützt, schützt nicht den Meſsapparat, den der Brenner bei sich dulden muſs. Es ist der nämliche Fall, wie der des unrichtig geführten Brauregisters, den R.G. 26. Juni 1880 (Samml. II S. 114) behandelt. Daſs die Nichtanwendbar- keit des Betrugsrechts dort faſsch begründet wird, nimmt dieser Entscheidung nicht ihre Bedeutung. Unwahre Erklärungen über Steuerobjekte will Schwaiger in Gerichtssaal 49 S. 439 wegen der Deklarationspflicht als Betrug behandeln. Was er dafür in Note 1 zur Unterstützung anruft, soweit es wirklich paſst, beweist nur, daſs um civilrechtlicher Pflichtverhältnisse willen auch das Schweigen Betrug sein kann. Daſs für die Steuerfatierung die entgegengesetzte Auffassung geltendes Recht ist, kann nicht angezweifelt werden.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/481>, abgerufen am 22.07.2024.