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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte.

Die ganze Bewegung war nicht auf Deutschland beschränkt.
Namentlich hatte auch in Frankreich frühzeitig die Machtstellung des
Königs sich durch ein solches Ansammeln von Hoheitsrechten ausge-
bildet und unserer Naturrechtslehre Vorbilder geliefert. In Deutschland
traf sie von vornherein auf die Neigung zu langsamerer Entwicklung;
dazu aber gab die doppelte Gestalt, in welcher hier Staatsgewalt er-
schien, als die des Kaisers und als die des Landesherrn, Anlass
zu tiefgehenden Besonderheiten.

Auf welche von beiden Seiten soll der Zuwachs gehören, den
das Naturrecht immer reichlicher erzeugt? Zur lebenskräftigeren
natürlich. Das ist seit dem westfälischen Frieden ganz zweifellos die
Landeshoheit. Das Schicksal des Reiches ist eigentlich schon damit
besiegelt, dass seitdem der Satz gilt: alle neu aufkommenden
Hoheitsrechte fallen der Landeshoheit zu
6.

Doch dies ist ein Nebenpunkt. Viel bedeutsamer ist eine andere
Thatsache, die mit dem Vorhandensein der zweierlei Staatsgewalten
zusammenhängt; über die Landeshoheit, in welcher allein die Zukunft
unseres Verwaltungsrechtes liegt, ist hier ein grosser Regulator gesetzt
in der Reichsgerichtsbarkeit. Noch im letzten Moment, 1495,
-- ob es fünfundzwanzig Jahre später wohl noch möglich gewesen
wäre? -- gelang es den Reichsgewalten, das Reichskammer-
gericht
zustande zu bringen, dem sich 1501 der Reichshofrat
anschloss. Beide stehen mit konkurrierender Gerichtsbarkeit über den
Landesherren, diese mit äusserem Ehrenvorzug und glänzenderer Stellung,
jenes aber, auch in allem Elend seiner Zustände, von der grösseren
geistigen Bedeutung. Sie wachen insbesondere auch über die Ein-
haltung der Grenzen der landesherrlichen Hoheitsrechte gegenüber
den Unterthanen. Anderwärts, wo es an einer solchen Einrichtung
fehlte, musste die fürstliche Gewalt unter dem fortdauernden Antrieb
des Naturrechts sich alsbald über alle Rechtsschranken hinaus ins Unge-
messene verlieren. Hier wird dieser Prozess gehemmt. So lange die
Reichsgerichtsbarkeit Macht hat, bleibt unsere Rechtsentwicklung bei
den Hoheitsrechten stehen. Während sie in Frankreich schon längst
nur mehr der Wissenschaft Rubriken liefern zur Einteilung einer
unbeschränkten königlichen Gewalt, ist es bei uns ernst gemeint damit.
Die Staatsgewalt hat bei uns bis nahe an die Gegenwart heran die
Gestalt einer Sammlung von einzelnen Befugnissen des Fürsten be-
halten.

6 Pütter, Beitr. I S. 194.
§ 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte.

Die ganze Bewegung war nicht auf Deutschland beschränkt.
Namentlich hatte auch in Frankreich frühzeitig die Machtstellung des
Königs sich durch ein solches Ansammeln von Hoheitsrechten ausge-
bildet und unserer Naturrechtslehre Vorbilder geliefert. In Deutschland
traf sie von vornherein auf die Neigung zu langsamerer Entwicklung;
dazu aber gab die doppelte Gestalt, in welcher hier Staatsgewalt er-
schien, als die des Kaisers und als die des Landesherrn, Anlaſs
zu tiefgehenden Besonderheiten.

Auf welche von beiden Seiten soll der Zuwachs gehören, den
das Naturrecht immer reichlicher erzeugt? Zur lebenskräftigeren
natürlich. Das ist seit dem westfälischen Frieden ganz zweifellos die
Landeshoheit. Das Schicksal des Reiches ist eigentlich schon damit
besiegelt, daſs seitdem der Satz gilt: alle neu aufkommenden
Hoheitsrechte fallen der Landeshoheit zu
6.

Doch dies ist ein Nebenpunkt. Viel bedeutsamer ist eine andere
Thatsache, die mit dem Vorhandensein der zweierlei Staatsgewalten
zusammenhängt; über die Landeshoheit, in welcher allein die Zukunft
unseres Verwaltungsrechtes liegt, ist hier ein groſser Regulator gesetzt
in der Reichsgerichtsbarkeit. Noch im letzten Moment, 1495,
— ob es fünfundzwanzig Jahre später wohl noch möglich gewesen
wäre? — gelang es den Reichsgewalten, das Reichskammer-
gericht
zustande zu bringen, dem sich 1501 der Reichshofrat
anschloſs. Beide stehen mit konkurrierender Gerichtsbarkeit über den
Landesherren, diese mit äuſserem Ehrenvorzug und glänzenderer Stellung,
jenes aber, auch in allem Elend seiner Zustände, von der gröſseren
geistigen Bedeutung. Sie wachen insbesondere auch über die Ein-
haltung der Grenzen der landesherrlichen Hoheitsrechte gegenüber
den Unterthanen. Anderwärts, wo es an einer solchen Einrichtung
fehlte, muſste die fürstliche Gewalt unter dem fortdauernden Antrieb
des Naturrechts sich alsbald über alle Rechtsschranken hinaus ins Unge-
messene verlieren. Hier wird dieser Prozeſs gehemmt. So lange die
Reichsgerichtsbarkeit Macht hat, bleibt unsere Rechtsentwicklung bei
den Hoheitsrechten stehen. Während sie in Frankreich schon längst
nur mehr der Wissenschaft Rubriken liefern zur Einteilung einer
unbeschränkten königlichen Gewalt, ist es bei uns ernst gemeint damit.
Die Staatsgewalt hat bei uns bis nahe an die Gegenwart heran die
Gestalt einer Sammlung von einzelnen Befugnissen des Fürsten be-
halten.

6 Pütter, Beitr. I S. 194.
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[27/0047] § 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte. Die ganze Bewegung war nicht auf Deutschland beschränkt. Namentlich hatte auch in Frankreich frühzeitig die Machtstellung des Königs sich durch ein solches Ansammeln von Hoheitsrechten ausge- bildet und unserer Naturrechtslehre Vorbilder geliefert. In Deutschland traf sie von vornherein auf die Neigung zu langsamerer Entwicklung; dazu aber gab die doppelte Gestalt, in welcher hier Staatsgewalt er- schien, als die des Kaisers und als die des Landesherrn, Anlaſs zu tiefgehenden Besonderheiten. Auf welche von beiden Seiten soll der Zuwachs gehören, den das Naturrecht immer reichlicher erzeugt? Zur lebenskräftigeren natürlich. Das ist seit dem westfälischen Frieden ganz zweifellos die Landeshoheit. Das Schicksal des Reiches ist eigentlich schon damit besiegelt, daſs seitdem der Satz gilt: alle neu aufkommenden Hoheitsrechte fallen der Landeshoheit zu 6. Doch dies ist ein Nebenpunkt. Viel bedeutsamer ist eine andere Thatsache, die mit dem Vorhandensein der zweierlei Staatsgewalten zusammenhängt; über die Landeshoheit, in welcher allein die Zukunft unseres Verwaltungsrechtes liegt, ist hier ein groſser Regulator gesetzt in der Reichsgerichtsbarkeit. Noch im letzten Moment, 1495, — ob es fünfundzwanzig Jahre später wohl noch möglich gewesen wäre? — gelang es den Reichsgewalten, das Reichskammer- gericht zustande zu bringen, dem sich 1501 der Reichshofrat anschloſs. Beide stehen mit konkurrierender Gerichtsbarkeit über den Landesherren, diese mit äuſserem Ehrenvorzug und glänzenderer Stellung, jenes aber, auch in allem Elend seiner Zustände, von der gröſseren geistigen Bedeutung. Sie wachen insbesondere auch über die Ein- haltung der Grenzen der landesherrlichen Hoheitsrechte gegenüber den Unterthanen. Anderwärts, wo es an einer solchen Einrichtung fehlte, muſste die fürstliche Gewalt unter dem fortdauernden Antrieb des Naturrechts sich alsbald über alle Rechtsschranken hinaus ins Unge- messene verlieren. Hier wird dieser Prozeſs gehemmt. So lange die Reichsgerichtsbarkeit Macht hat, bleibt unsere Rechtsentwicklung bei den Hoheitsrechten stehen. Während sie in Frankreich schon längst nur mehr der Wissenschaft Rubriken liefern zur Einteilung einer unbeschränkten königlichen Gewalt, ist es bei uns ernst gemeint damit. Die Staatsgewalt hat bei uns bis nahe an die Gegenwart heran die Gestalt einer Sammlung von einzelnen Befugnissen des Fürsten be- halten. 6 Pütter, Beitr. I S. 194.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/47>, abgerufen am 29.11.2024.