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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Finanzgewalt.

4. Die Frage ist also nunmehr: wie wird diese Überwachungs-
gewalt begründet. Jene Verminderung der Freiheit, welche jedes
Gewaltverhältnis für den darin Begriffenen bedeutet, versteht sich nie
von selbst. Die Begründungsart ist aber durchaus nicht immer die
gleiche; insbesondere ist sie nicht beschränkt auf die Formen, in
welchen die bestimmteren Rechtsverhältnisse des öffentlichen Rechts
erzeugt werden, Rechtssatz und Verwaltungsakt; es wirkt in
verschiedenem Masse auch schon der thatsächliche Eintritt in
besondere Machtkreise der öffentlichen Verwaltung. Wir werden dieses
letztere Begründungselement in der aktiven Dienstpflicht für die
Dienstgewalt wirksam sehen (Bd. II § 45); bei Begründung der An-
staltsgewalt tritt es sehr bedeutsam in den Vordergrund (Bd. II
§ 53). Die Überwachungsgewalt und damit das dritte von den
grossen Gewaltverhältnissen begründet sich dem entsprechend gleich-
falls auf verschiedene Weise.

Der Einzelne kann der Überwachungsgewalt unterworfen werden
durch einen obrigkeitlichen Eingriff in seine Freiheit; ein Betrieb, ein
Aufbewahrungsraum, der ihm angehört, wird dieser Gewalt unterstellt,
ohne Rücksicht auf seine Zustimmung. Dieses auferlegte Ge-
waltsverhältnis
bedarf deshalb der gesetzlichen Grundlage. Es
handelt sich um eine Hülfslast, welche dem Unternehmer auferlegt
wird, um die Hauptlast, die Steuer, zu sichern. Den Hauptanwendungs-
fall bilden die schwebenden Steuerpflichten, welche gesetzlich vor den
eigentlichen Entstehungspunkt der Steuerpflicht geschoben sind12.

der Behörden oder kraft rechtsgeschäftlicher Unterwerfung verpflichtet sind". In
der Begründung hebt Haenel dabei Arndt gegenüber hervor, dass die Regulative,
um so zu wirken, nicht Rechtssätze zu enthalten brauchen; es genügt, dass sie "in
Rechtssätzen begründet" seien; aber auch das wird ihm schwer fallen, nach-
zuweisen.
12 Vgl. oben § 28 S. 409. Dieser Art ist die Bestimmung Salzsteuerges. v.
12. Okt. 1867 § 6: "Die in § 3 bezeichneten Anstalten unterliegen zur Ermittlung
des von dem bereiteten Salze zu entrichtenden Abgabenbetrages, sowie zur Ver-
hütung von Defraudationen hinsichtlich ihres Betriebes und geschäftlichen Verkehrs
der Kontrolle der Steuer-(Zoll-)Behörden, welche durch eine von diesen zu er-
lassende, jedem Besitzer solcher Anstalten mitzuteilende und von diesem zu be-
folgende Anweisung geregelt wird". Hier tritt der ganze innere Aufbau des Rechts-
instituts deutlich hervor: das Werk und damit der Unternehmer wird durch das
Gesetz der Überwachungsgewalt unterworfen; zur geregelten Ausübung dieser Ge-
walt werden dem Unternehmer durch die Behörde "Anweisungen" erteilt, die Be-
fehle für ihn sind, -- wie den Beamten gegenüber die Dienstgewalt durch Dienst-
anweisungen sich ausübt und zugleich regelt. Das Gewaltverhältnis kann aber
auch einfach dadurch begründet werden, dass das Gesetz einen gewissen Geschäfts-
Die Finanzgewalt.

4. Die Frage ist also nunmehr: wie wird diese Überwachungs-
gewalt begründet. Jene Verminderung der Freiheit, welche jedes
Gewaltverhältnis für den darin Begriffenen bedeutet, versteht sich nie
von selbst. Die Begründungsart ist aber durchaus nicht immer die
gleiche; insbesondere ist sie nicht beschränkt auf die Formen, in
welchen die bestimmteren Rechtsverhältnisse des öffentlichen Rechts
erzeugt werden, Rechtssatz und Verwaltungsakt; es wirkt in
verschiedenem Maſse auch schon der thatsächliche Eintritt in
besondere Machtkreise der öffentlichen Verwaltung. Wir werden dieses
letztere Begründungselement in der aktiven Dienstpflicht für die
Dienstgewalt wirksam sehen (Bd. II § 45); bei Begründung der An-
staltsgewalt tritt es sehr bedeutsam in den Vordergrund (Bd. II
§ 53). Die Überwachungsgewalt und damit das dritte von den
groſsen Gewaltverhältnissen begründet sich dem entsprechend gleich-
falls auf verschiedene Weise.

Der Einzelne kann der Überwachungsgewalt unterworfen werden
durch einen obrigkeitlichen Eingriff in seine Freiheit; ein Betrieb, ein
Aufbewahrungsraum, der ihm angehört, wird dieser Gewalt unterstellt,
ohne Rücksicht auf seine Zustimmung. Dieses auferlegte Ge-
waltsverhältnis
bedarf deshalb der gesetzlichen Grundlage. Es
handelt sich um eine Hülfslast, welche dem Unternehmer auferlegt
wird, um die Hauptlast, die Steuer, zu sichern. Den Hauptanwendungs-
fall bilden die schwebenden Steuerpflichten, welche gesetzlich vor den
eigentlichen Entstehungspunkt der Steuerpflicht geschoben sind12.

der Behörden oder kraft rechtsgeschäftlicher Unterwerfung verpflichtet sind“. In
der Begründung hebt Haenel dabei Arndt gegenüber hervor, daſs die Regulative,
um so zu wirken, nicht Rechtssätze zu enthalten brauchen; es genügt, daſs sie „in
Rechtssätzen begründet“ seien; aber auch das wird ihm schwer fallen, nach-
zuweisen.
12 Vgl. oben § 28 S. 409. Dieser Art ist die Bestimmung Salzsteuerges. v.
12. Okt. 1867 § 6: „Die in § 3 bezeichneten Anstalten unterliegen zur Ermittlung
des von dem bereiteten Salze zu entrichtenden Abgabenbetrages, sowie zur Ver-
hütung von Defraudationen hinsichtlich ihres Betriebes und geschäftlichen Verkehrs
der Kontrolle der Steuer-(Zoll-)Behörden, welche durch eine von diesen zu er-
lassende, jedem Besitzer solcher Anstalten mitzuteilende und von diesem zu be-
folgende Anweisung geregelt wird“. Hier tritt der ganze innere Aufbau des Rechts-
instituts deutlich hervor: das Werk und damit der Unternehmer wird durch das
Gesetz der Überwachungsgewalt unterworfen; zur geregelten Ausübung dieser Ge-
walt werden dem Unternehmer durch die Behörde „Anweisungen“ erteilt, die Be-
fehle für ihn sind, — wie den Beamten gegenüber die Dienstgewalt durch Dienst-
anweisungen sich ausübt und zugleich regelt. Das Gewaltverhältnis kann aber
auch einfach dadurch begründet werden, daſs das Gesetz einen gewissen Geschäfts-
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[440/0460] Die Finanzgewalt. 4. Die Frage ist also nunmehr: wie wird diese Überwachungs- gewalt begründet. Jene Verminderung der Freiheit, welche jedes Gewaltverhältnis für den darin Begriffenen bedeutet, versteht sich nie von selbst. Die Begründungsart ist aber durchaus nicht immer die gleiche; insbesondere ist sie nicht beschränkt auf die Formen, in welchen die bestimmteren Rechtsverhältnisse des öffentlichen Rechts erzeugt werden, Rechtssatz und Verwaltungsakt; es wirkt in verschiedenem Maſse auch schon der thatsächliche Eintritt in besondere Machtkreise der öffentlichen Verwaltung. Wir werden dieses letztere Begründungselement in der aktiven Dienstpflicht für die Dienstgewalt wirksam sehen (Bd. II § 45); bei Begründung der An- staltsgewalt tritt es sehr bedeutsam in den Vordergrund (Bd. II § 53). Die Überwachungsgewalt und damit das dritte von den groſsen Gewaltverhältnissen begründet sich dem entsprechend gleich- falls auf verschiedene Weise. Der Einzelne kann der Überwachungsgewalt unterworfen werden durch einen obrigkeitlichen Eingriff in seine Freiheit; ein Betrieb, ein Aufbewahrungsraum, der ihm angehört, wird dieser Gewalt unterstellt, ohne Rücksicht auf seine Zustimmung. Dieses auferlegte Ge- waltsverhältnis bedarf deshalb der gesetzlichen Grundlage. Es handelt sich um eine Hülfslast, welche dem Unternehmer auferlegt wird, um die Hauptlast, die Steuer, zu sichern. Den Hauptanwendungs- fall bilden die schwebenden Steuerpflichten, welche gesetzlich vor den eigentlichen Entstehungspunkt der Steuerpflicht geschoben sind 12. 11 12 Vgl. oben § 28 S. 409. Dieser Art ist die Bestimmung Salzsteuerges. v. 12. Okt. 1867 § 6: „Die in § 3 bezeichneten Anstalten unterliegen zur Ermittlung des von dem bereiteten Salze zu entrichtenden Abgabenbetrages, sowie zur Ver- hütung von Defraudationen hinsichtlich ihres Betriebes und geschäftlichen Verkehrs der Kontrolle der Steuer-(Zoll-)Behörden, welche durch eine von diesen zu er- lassende, jedem Besitzer solcher Anstalten mitzuteilende und von diesem zu be- folgende Anweisung geregelt wird“. Hier tritt der ganze innere Aufbau des Rechts- instituts deutlich hervor: das Werk und damit der Unternehmer wird durch das Gesetz der Überwachungsgewalt unterworfen; zur geregelten Ausübung dieser Ge- walt werden dem Unternehmer durch die Behörde „Anweisungen“ erteilt, die Be- fehle für ihn sind, — wie den Beamten gegenüber die Dienstgewalt durch Dienst- anweisungen sich ausübt und zugleich regelt. Das Gewaltverhältnis kann aber auch einfach dadurch begründet werden, daſs das Gesetz einen gewissen Geschäfts- 11 der Behörden oder kraft rechtsgeschäftlicher Unterwerfung verpflichtet sind“. In der Begründung hebt Haenel dabei Arndt gegenüber hervor, daſs die Regulative, um so zu wirken, nicht Rechtssätze zu enthalten brauchen; es genügt, daſs sie „in Rechtssätzen begründet“ seien; aber auch das wird ihm schwer fallen, nach- zuweisen.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/460>, abgerufen am 22.07.2024.