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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Finanzgewalt.

3. Thatsächlich werden nun aber seit Jahrzehnten diese Regu-
lative als gültig und wirksam zur Begründung von Rechtspflichten
behandelt und die Reichsregierung, trotz aller Warnungsrufe der
Theorie, fährt fort, das Centralblatt als einziges Veröffentlichungs-
mittel zu benutzen.

Entweder also stehen wir hier vor einer grossartigen Verirrung
der Praxis, oder die Wirksamkeit der Regulative muss sich anders
erklären lassen als daraus, dass sie Rechtssätze enthielten.

Es scheint uns, dass die Wahrheit nur in der letzteren Richtung
gesucht werden darf.

Die Lösung der Frage liegt denn auch für einen Teil der Be-
stimmungen der Regulative sofort auf der Hand. An wen wenden
sich ihre Vorschriften? Es sind zweierlei Arten von Personen,
die da angeredet werden: einerseits Beamte der Steuerverwal-
tung und andererseits nicht im Beamtenverhältnisse stehende Unter-
thanen.

Den ersteren wird vorgeschrieben, was sie in Beobachtung von
Waren und Gerätschaften, Herrichtung von Räumlichkeiten, Berechungen
und Feststellungen, Ausstellung von Bescheinigungen, Erteilung von
Erlaubnissen und Genehmigungen zu thun haben. Alles das ist pflicht-
mässig von ihnen zu befolgen, das unterliegt keinem Zweifel. Warum?
Es sind Dienstanweisungen, die ihnen da gegeben werden; sie wirken
mit der Kraft der Dienstpflicht. Wir wissen auch, auf welchem Weg
das rechtlich ermöglicht wird. Der Beamte ist durch die über-
nommenene Dienstpflicht in ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis
getreten, vermöge dessen ihm nun durch die dazu berufene Be-
hörde weitere Bestimmungen gegeben werden können für das, was
er demgemäss soll: er steht in einem Gewaltverhältnis (oben
§ 8, III). Dieses Gewaltverhältnis ermöglicht nicht nur, im Einzel-
falle ihm Anweisung zu geben, wie er sich zu verhalten hat, sondern
auch allgemeine Anordnungen zu treffen, die alle binden, welche in
gleicher Stelle sind und im voraus binden für alle einzeln nicht be-
zeichneten Fälle der gleichen Art; Generalverfügungen, allgemeine Ver-
waltungsakte sind die Frucht und das Merkmal des Gewaltverhält-
nisses (oben § 10 n. 2). Diese Generalverfügungen, die keine Rechts-
sätze vorstellen, sind insbesondere auch nicht gebunden an die für
diese bestehenden Veröffentlichungsformen, sie können kraft des Ge-
waltverhältnisses selbst eine besondere Art der Kundgabe zugeteilt
erhalten, welche der Gewaltunterworfene gelten lassen muss (oben

Die Finanzgewalt.

3. Thatsächlich werden nun aber seit Jahrzehnten diese Regu-
lative als gültig und wirksam zur Begründung von Rechtspflichten
behandelt und die Reichsregierung, trotz aller Warnungsrufe der
Theorie, fährt fort, das Centralblatt als einziges Veröffentlichungs-
mittel zu benutzen.

Entweder also stehen wir hier vor einer groſsartigen Verirrung
der Praxis, oder die Wirksamkeit der Regulative muſs sich anders
erklären lassen als daraus, daſs sie Rechtssätze enthielten.

Es scheint uns, daſs die Wahrheit nur in der letzteren Richtung
gesucht werden darf.

Die Lösung der Frage liegt denn auch für einen Teil der Be-
stimmungen der Regulative sofort auf der Hand. An wen wenden
sich ihre Vorschriften? Es sind zweierlei Arten von Personen,
die da angeredet werden: einerseits Beamte der Steuerverwal-
tung und andererseits nicht im Beamtenverhältnisse stehende Unter-
thanen.

Den ersteren wird vorgeschrieben, was sie in Beobachtung von
Waren und Gerätschaften, Herrichtung von Räumlichkeiten, Berechungen
und Feststellungen, Ausstellung von Bescheinigungen, Erteilung von
Erlaubnissen und Genehmigungen zu thun haben. Alles das ist pflicht-
mäſsig von ihnen zu befolgen, das unterliegt keinem Zweifel. Warum?
Es sind Dienstanweisungen, die ihnen da gegeben werden; sie wirken
mit der Kraft der Dienstpflicht. Wir wissen auch, auf welchem Weg
das rechtlich ermöglicht wird. Der Beamte ist durch die über-
nommenene Dienstpflicht in ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis
getreten, vermöge dessen ihm nun durch die dazu berufene Be-
hörde weitere Bestimmungen gegeben werden können für das, was
er demgemäſs soll: er steht in einem Gewaltverhältnis (oben
§ 8, III). Dieses Gewaltverhältnis ermöglicht nicht nur, im Einzel-
falle ihm Anweisung zu geben, wie er sich zu verhalten hat, sondern
auch allgemeine Anordnungen zu treffen, die alle binden, welche in
gleicher Stelle sind und im voraus binden für alle einzeln nicht be-
zeichneten Fälle der gleichen Art; Generalverfügungen, allgemeine Ver-
waltungsakte sind die Frucht und das Merkmal des Gewaltverhält-
nisses (oben § 10 n. 2). Diese Generalverfügungen, die keine Rechts-
sätze vorstellen, sind insbesondere auch nicht gebunden an die für
diese bestehenden Veröffentlichungsformen, sie können kraft des Ge-
waltverhältnisses selbst eine besondere Art der Kundgabe zugeteilt
erhalten, welche der Gewaltunterworfene gelten lassen muſs (oben

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[438/0458] Die Finanzgewalt. 3. Thatsächlich werden nun aber seit Jahrzehnten diese Regu- lative als gültig und wirksam zur Begründung von Rechtspflichten behandelt und die Reichsregierung, trotz aller Warnungsrufe der Theorie, fährt fort, das Centralblatt als einziges Veröffentlichungs- mittel zu benutzen. Entweder also stehen wir hier vor einer groſsartigen Verirrung der Praxis, oder die Wirksamkeit der Regulative muſs sich anders erklären lassen als daraus, daſs sie Rechtssätze enthielten. Es scheint uns, daſs die Wahrheit nur in der letzteren Richtung gesucht werden darf. Die Lösung der Frage liegt denn auch für einen Teil der Be- stimmungen der Regulative sofort auf der Hand. An wen wenden sich ihre Vorschriften? Es sind zweierlei Arten von Personen, die da angeredet werden: einerseits Beamte der Steuerverwal- tung und andererseits nicht im Beamtenverhältnisse stehende Unter- thanen. Den ersteren wird vorgeschrieben, was sie in Beobachtung von Waren und Gerätschaften, Herrichtung von Räumlichkeiten, Berechungen und Feststellungen, Ausstellung von Bescheinigungen, Erteilung von Erlaubnissen und Genehmigungen zu thun haben. Alles das ist pflicht- mäſsig von ihnen zu befolgen, das unterliegt keinem Zweifel. Warum? Es sind Dienstanweisungen, die ihnen da gegeben werden; sie wirken mit der Kraft der Dienstpflicht. Wir wissen auch, auf welchem Weg das rechtlich ermöglicht wird. Der Beamte ist durch die über- nommenene Dienstpflicht in ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis getreten, vermöge dessen ihm nun durch die dazu berufene Be- hörde weitere Bestimmungen gegeben werden können für das, was er demgemäſs soll: er steht in einem Gewaltverhältnis (oben § 8, III). Dieses Gewaltverhältnis ermöglicht nicht nur, im Einzel- falle ihm Anweisung zu geben, wie er sich zu verhalten hat, sondern auch allgemeine Anordnungen zu treffen, die alle binden, welche in gleicher Stelle sind und im voraus binden für alle einzeln nicht be- zeichneten Fälle der gleichen Art; Generalverfügungen, allgemeine Ver- waltungsakte sind die Frucht und das Merkmal des Gewaltverhält- nisses (oben § 10 n. 2). Diese Generalverfügungen, die keine Rechts- sätze vorstellen, sind insbesondere auch nicht gebunden an die für diese bestehenden Veröffentlichungsformen, sie können kraft des Ge- waltverhältnisses selbst eine besondere Art der Kundgabe zugeteilt erhalten, welche der Gewaltunterworfene gelten lassen muſs (oben

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/458>, abgerufen am 22.07.2024.