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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Finanzgewalt.
führung der Steuer) gerichtete Handlung derjenigen Behörde, welcher
die Vollstreckung obliegt" (Stf.G.B. Art. 72). Die öffentlichrechtlichen
Verjährungen haben durchweg mehr die Natur von Präklusivfristen.

Dem steht nun gegenüber die zweite Art von Verjährung; sie
besteht darin, dass die Zulässigkeit nachträglicher Fest-
stellung der Steuer untergeht
durch Ablauf einer im Gesetze
bestimmten Zeit.

Es handelt sich also hier um einen Fall der Nachholung in dem
oben n. 1 erörterten Sinne.

Damit diese Verjährung in Betracht komme, muss die Nachholung
nicht von vornherein schon unzulässig sein. Bei direkten Steuern
würde sie also ihre Wirksamkeit beschränken auf die Fälle der Über-
gehung und der Hinterziehung. Für diese Fälle aber giebt sie eine
notwendige Ergänzung; hier würde ja der Steueranspruch auch von
der Rückstandsverjährung nicht berührt: er wird überhaupt erst fällig
durch die Feststellung, die hier als Verwaltungsakt auftritt, um den
Vollzug der Steuerpflicht zu bestimmen. Ohne die Feststellung giebt
es also keinen Rückstand im obigen Sinn und keine Rückstands-
verjährung; die Folge würde sein, dass ohne diese zweite Art der
Verjährung im Falle der Übergehung oder Hinterziehung die Nach-
holung der direkten Steuer an gar keine Zeitgrenze gebunden wäre5.

Ganz anders steht es in dieser Beziehung mit den indirekten
Steuern. Die Feststellung der Steuerschuld ist hier eine blosse Be-
rechnung, die als solche geschehen sein kann, auch ohne nach aussen

5 In solchen Fällen wird man dann geneigt sein, zur Ausfüllung der Lücke
die gesetzliche Steuerverjährung auch auf den Fall auszudehnen, wo die Veranlagung
unterblieben ist. Ein Beispiel bietet das bayrische Erbschaftssteuergesetz, in
welchem wohl eine Rückstandsverjährung, aber keine Veranlagungsverjährung vor-
gesehen wird. Man hat da gleichwohl die Verjährung auch laufen lassen wollen
von der Entstehung der Steuerpflicht ab, in dem Falle, wo eine Veranlagung, d. h.
(eine behördliche Festsetzung der Steuerpflicht ganz unterblieben ist, und hat zu
diesem Zweck das Vorbild des Civilrechts in der Behandlung kündbarer Forderungen
herangezogen. Kündigung und Veranlagung lassen sich aber durchaus nicht ver-
gleichen. -- Richtig entscheidet deshalb Seydel, Bayr. St.R. IV S. 200: "ist die recht-
zeitige Einsteuerung (für die Erbschaftssteuer) aus irgend einem Grunde unterblieben, so
kann dieselbe jeder Zeit nachgeholt werden". Er fährt dann fort: "Ist die Steuer
zu gering bemessen worden, so wird Nachforderung innerhalb der Verjährungsfrist
(der Rückstandsverjährung) statthaft sein, jedoch nur soweit, als die Steuerverkürzung
eine Folge der Arglist des Pflichtigen ist". Die Beschränkung auf den Fall der
Arglist ergiebt sich aus der den Überschuss tilgenden Kraft des Veranlagungsaktes.
Aber warum soll für die durch Arglist zulässig gemachte Nachholung die Rück-
standsverjährung gelten? Das Fehlende ist doch durch den mangelhaften Beschluss
keine fällige Steuerforderung geworden.

Die Finanzgewalt.
führung der Steuer) gerichtete Handlung derjenigen Behörde, welcher
die Vollstreckung obliegt“ (Stf.G.B. Art. 72). Die öffentlichrechtlichen
Verjährungen haben durchweg mehr die Natur von Präklusivfristen.

Dem steht nun gegenüber die zweite Art von Verjährung; sie
besteht darin, daſs die Zulässigkeit nachträglicher Fest-
stellung der Steuer untergeht
durch Ablauf einer im Gesetze
bestimmten Zeit.

Es handelt sich also hier um einen Fall der Nachholung in dem
oben n. 1 erörterten Sinne.

Damit diese Verjährung in Betracht komme, muſs die Nachholung
nicht von vornherein schon unzulässig sein. Bei direkten Steuern
würde sie also ihre Wirksamkeit beschränken auf die Fälle der Über-
gehung und der Hinterziehung. Für diese Fälle aber giebt sie eine
notwendige Ergänzung; hier würde ja der Steueranspruch auch von
der Rückstandsverjährung nicht berührt: er wird überhaupt erst fällig
durch die Feststellung, die hier als Verwaltungsakt auftritt, um den
Vollzug der Steuerpflicht zu bestimmen. Ohne die Feststellung giebt
es also keinen Rückstand im obigen Sinn und keine Rückstands-
verjährung; die Folge würde sein, daſs ohne diese zweite Art der
Verjährung im Falle der Übergehung oder Hinterziehung die Nach-
holung der direkten Steuer an gar keine Zeitgrenze gebunden wäre5.

Ganz anders steht es in dieser Beziehung mit den indirekten
Steuern. Die Feststellung der Steuerschuld ist hier eine bloſse Be-
rechnung, die als solche geschehen sein kann, auch ohne nach auſsen

5 In solchen Fällen wird man dann geneigt sein, zur Ausfüllung der Lücke
die gesetzliche Steuerverjährung auch auf den Fall auszudehnen, wo die Veranlagung
unterblieben ist. Ein Beispiel bietet das bayrische Erbschaftssteuergesetz, in
welchem wohl eine Rückstandsverjährung, aber keine Veranlagungsverjährung vor-
gesehen wird. Man hat da gleichwohl die Verjährung auch laufen lassen wollen
von der Entstehung der Steuerpflicht ab, in dem Falle, wo eine Veranlagung, d. h.
(eine behördliche Festsetzung der Steuerpflicht ganz unterblieben ist, und hat zu
diesem Zweck das Vorbild des Civilrechts in der Behandlung kündbarer Forderungen
herangezogen. Kündigung und Veranlagung lassen sich aber durchaus nicht ver-
gleichen. — Richtig entscheidet deshalb Seydel, Bayr. St.R. IV S. 200: „ist die recht-
zeitige Einsteuerung (für die Erbschaftssteuer) aus irgend einem Grunde unterblieben, so
kann dieselbe jeder Zeit nachgeholt werden“. Er fährt dann fort: „Ist die Steuer
zu gering bemessen worden, so wird Nachforderung innerhalb der Verjährungsfrist
(der Rückstandsverjährung) statthaft sein, jedoch nur soweit, als die Steuerverkürzung
eine Folge der Arglist des Pflichtigen ist“. Die Beschränkung auf den Fall der
Arglist ergiebt sich aus der den Überschuſs tilgenden Kraft des Veranlagungsaktes.
Aber warum soll für die durch Arglist zulässig gemachte Nachholung die Rück-
standsverjährung gelten? Das Fehlende ist doch durch den mangelhaften Beschluſs
keine fällige Steuerforderung geworden.
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[422/0442] Die Finanzgewalt. führung der Steuer) gerichtete Handlung derjenigen Behörde, welcher die Vollstreckung obliegt“ (Stf.G.B. Art. 72). Die öffentlichrechtlichen Verjährungen haben durchweg mehr die Natur von Präklusivfristen. Dem steht nun gegenüber die zweite Art von Verjährung; sie besteht darin, daſs die Zulässigkeit nachträglicher Fest- stellung der Steuer untergeht durch Ablauf einer im Gesetze bestimmten Zeit. Es handelt sich also hier um einen Fall der Nachholung in dem oben n. 1 erörterten Sinne. Damit diese Verjährung in Betracht komme, muſs die Nachholung nicht von vornherein schon unzulässig sein. Bei direkten Steuern würde sie also ihre Wirksamkeit beschränken auf die Fälle der Über- gehung und der Hinterziehung. Für diese Fälle aber giebt sie eine notwendige Ergänzung; hier würde ja der Steueranspruch auch von der Rückstandsverjährung nicht berührt: er wird überhaupt erst fällig durch die Feststellung, die hier als Verwaltungsakt auftritt, um den Vollzug der Steuerpflicht zu bestimmen. Ohne die Feststellung giebt es also keinen Rückstand im obigen Sinn und keine Rückstands- verjährung; die Folge würde sein, daſs ohne diese zweite Art der Verjährung im Falle der Übergehung oder Hinterziehung die Nach- holung der direkten Steuer an gar keine Zeitgrenze gebunden wäre 5. Ganz anders steht es in dieser Beziehung mit den indirekten Steuern. Die Feststellung der Steuerschuld ist hier eine bloſse Be- rechnung, die als solche geschehen sein kann, auch ohne nach auſsen 5 In solchen Fällen wird man dann geneigt sein, zur Ausfüllung der Lücke die gesetzliche Steuerverjährung auch auf den Fall auszudehnen, wo die Veranlagung unterblieben ist. Ein Beispiel bietet das bayrische Erbschaftssteuergesetz, in welchem wohl eine Rückstandsverjährung, aber keine Veranlagungsverjährung vor- gesehen wird. Man hat da gleichwohl die Verjährung auch laufen lassen wollen von der Entstehung der Steuerpflicht ab, in dem Falle, wo eine Veranlagung, d. h. (eine behördliche Festsetzung der Steuerpflicht ganz unterblieben ist, und hat zu diesem Zweck das Vorbild des Civilrechts in der Behandlung kündbarer Forderungen herangezogen. Kündigung und Veranlagung lassen sich aber durchaus nicht ver- gleichen. — Richtig entscheidet deshalb Seydel, Bayr. St.R. IV S. 200: „ist die recht- zeitige Einsteuerung (für die Erbschaftssteuer) aus irgend einem Grunde unterblieben, so kann dieselbe jeder Zeit nachgeholt werden“. Er fährt dann fort: „Ist die Steuer zu gering bemessen worden, so wird Nachforderung innerhalb der Verjährungsfrist (der Rückstandsverjährung) statthaft sein, jedoch nur soweit, als die Steuerverkürzung eine Folge der Arglist des Pflichtigen ist“. Die Beschränkung auf den Fall der Arglist ergiebt sich aus der den Überschuſs tilgenden Kraft des Veranlagungsaktes. Aber warum soll für die durch Arglist zulässig gemachte Nachholung die Rück- standsverjährung gelten? Das Fehlende ist doch durch den mangelhaften Beschluſs keine fällige Steuerforderung geworden.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/442>, abgerufen am 23.12.2024.