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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Polizeigewalt.
ausgedehnt werden. Sonst würde der beabsichtigte Schutz der Frei-
heit des Hauses leicht wieder ganz verschwinden16.

Allgemein ausgenommen von diesen Schutzschranken sind solche
Räumlichkeiten, welche, obwohl einem Einzelnen zugehörig, doch der
ihnen erteilten Bestimmung gemäss dem Publikum zugänglich sind:
Wirtschaften, Theater, Tanzplätze, Konzertsäle u. dergl. So lange
sie diese allgemeine Zugänglichkeit haben, haben sie sie auch für die
Polizei und zwar für diese im besonderen Sinne. Der Hausherr kann
ja möglicher Weise eine Ausnahme machen und einem Einzelnen den
Zutritt oder das Verweilen versagen; das Zuwiderhandeln gegen sein
Verbot wäre unbefugtes Eindringen, Hausfriedensbruch. Der Polizei
gegenüber giebt es für ihn ein solches Verbietungsrecht nicht. Sie
ist also hier zum Eindringen unbedingt berechtigt, auch wenn ihr
Zweck ein blosses Überwachen und Nachforschen ist. Darin liegt die
rechtliche Bedeutung des Begriffes der polizeioffnen Räume17.

Diese Polizeioffenheit wirkt an sich nur ein unbedingtes Recht,
einzutreten und zu verweilen, nicht auch das Recht, innere Durch-
suchungen vorzunehmen, Sachen mit Beschlag zu belegen, Proben zu
entnehmen. Das sind wieder besondere Befugnisse, die sich kraft be-
sonderen Rechtsgrundes damit verbinden mögen. --

Zur Nachtzeit unterliegt das polizeiliche Eindringen weiteren
Beschränkungen. Von der dem Gebiete der gerichtlichen Polizei an-
gehörigen Haussuchung (Stf.Pr.O. § 104) sehen wir wieder ab. Für die
reine Polizei genügt es hier nicht, dass sie etwas in dem Hause zu
thun hat. Es muss noch etwas Ausserordentliches hinzukommen,
das sie zu sofortigem Handeln beruft; sonst hat sie zu warten, bis
die Tageszeit da ist.

Das kann sein ein dringender Notfall nach den Rücksichten,
welche auch das Eindringen eines Privaten entschuldigen würden:
Feuersnot, Wassersnot, Lebensgefahr der Inwohner, die abgewendet
werden soll, sind die Hauptbeispiele, aber weitere Fälle ähnlicher Art
können der Natur der Sache nach nicht ausgeschlossen sein.

Daneben gilt als formeller Grund für das Eindringen der Polizei
ein Hülferuf, der aus der Wohnung heraus an sie ergeht. Es

16 Beispiele von Ermächtigungen zum Eindringen behufs blossen Nachforschens
in Reichsges. v. 14. Mai 1879 § 2 u. 3 bezüglich der Verkaufs-, Aufbewahrungs-
und Herstellungsräumlichkeiten von Nahrungsmitteln; ferner in Gew.O. § 139 b;
landesrechtlich gehört hierher die Feuerschau, die gesundheitspolizeiliche Beauf-
sichtigung der Wohnungen, die Apothekenvisitation.
17 Oppenhoff, Stf.G.B. zu § 143 n. 11; H. Seuffert in Wörterbuch I
S. 292.

Die Polizeigewalt.
ausgedehnt werden. Sonst würde der beabsichtigte Schutz der Frei-
heit des Hauses leicht wieder ganz verschwinden16.

Allgemein ausgenommen von diesen Schutzschranken sind solche
Räumlichkeiten, welche, obwohl einem Einzelnen zugehörig, doch der
ihnen erteilten Bestimmung gemäſs dem Publikum zugänglich sind:
Wirtschaften, Theater, Tanzplätze, Konzertsäle u. dergl. So lange
sie diese allgemeine Zugänglichkeit haben, haben sie sie auch für die
Polizei und zwar für diese im besonderen Sinne. Der Hausherr kann
ja möglicher Weise eine Ausnahme machen und einem Einzelnen den
Zutritt oder das Verweilen versagen; das Zuwiderhandeln gegen sein
Verbot wäre unbefugtes Eindringen, Hausfriedensbruch. Der Polizei
gegenüber giebt es für ihn ein solches Verbietungsrecht nicht. Sie
ist also hier zum Eindringen unbedingt berechtigt, auch wenn ihr
Zweck ein bloſses Überwachen und Nachforschen ist. Darin liegt die
rechtliche Bedeutung des Begriffes der polizeioffnen Räume17.

Diese Polizeioffenheit wirkt an sich nur ein unbedingtes Recht,
einzutreten und zu verweilen, nicht auch das Recht, innere Durch-
suchungen vorzunehmen, Sachen mit Beschlag zu belegen, Proben zu
entnehmen. Das sind wieder besondere Befugnisse, die sich kraft be-
sonderen Rechtsgrundes damit verbinden mögen. —

Zur Nachtzeit unterliegt das polizeiliche Eindringen weiteren
Beschränkungen. Von der dem Gebiete der gerichtlichen Polizei an-
gehörigen Haussuchung (Stf.Pr.O. § 104) sehen wir wieder ab. Für die
reine Polizei genügt es hier nicht, daſs sie etwas in dem Hause zu
thun hat. Es muſs noch etwas Auſserordentliches hinzukommen,
das sie zu sofortigem Handeln beruft; sonst hat sie zu warten, bis
die Tageszeit da ist.

Das kann sein ein dringender Notfall nach den Rücksichten,
welche auch das Eindringen eines Privaten entschuldigen würden:
Feuersnot, Wassersnot, Lebensgefahr der Inwohner, die abgewendet
werden soll, sind die Hauptbeispiele, aber weitere Fälle ähnlicher Art
können der Natur der Sache nach nicht ausgeschlossen sein.

Daneben gilt als formeller Grund für das Eindringen der Polizei
ein Hülferuf, der aus der Wohnung heraus an sie ergeht. Es

16 Beispiele von Ermächtigungen zum Eindringen behufs bloſsen Nachforschens
in Reichsges. v. 14. Mai 1879 § 2 u. 3 bezüglich der Verkaufs-, Aufbewahrungs-
und Herstellungsräumlichkeiten von Nahrungsmitteln; ferner in Gew.O. § 139 b;
landesrechtlich gehört hierher die Feuerschau, die gesundheitspolizeiliche Beauf-
sichtigung der Wohnungen, die Apothekenvisitation.
17 Oppenhoff, Stf.G.B. zu § 143 n. 11; H. Seuffert in Wörterbuch I
S. 292.
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[368/0388] Die Polizeigewalt. ausgedehnt werden. Sonst würde der beabsichtigte Schutz der Frei- heit des Hauses leicht wieder ganz verschwinden 16. Allgemein ausgenommen von diesen Schutzschranken sind solche Räumlichkeiten, welche, obwohl einem Einzelnen zugehörig, doch der ihnen erteilten Bestimmung gemäſs dem Publikum zugänglich sind: Wirtschaften, Theater, Tanzplätze, Konzertsäle u. dergl. So lange sie diese allgemeine Zugänglichkeit haben, haben sie sie auch für die Polizei und zwar für diese im besonderen Sinne. Der Hausherr kann ja möglicher Weise eine Ausnahme machen und einem Einzelnen den Zutritt oder das Verweilen versagen; das Zuwiderhandeln gegen sein Verbot wäre unbefugtes Eindringen, Hausfriedensbruch. Der Polizei gegenüber giebt es für ihn ein solches Verbietungsrecht nicht. Sie ist also hier zum Eindringen unbedingt berechtigt, auch wenn ihr Zweck ein bloſses Überwachen und Nachforschen ist. Darin liegt die rechtliche Bedeutung des Begriffes der polizeioffnen Räume 17. Diese Polizeioffenheit wirkt an sich nur ein unbedingtes Recht, einzutreten und zu verweilen, nicht auch das Recht, innere Durch- suchungen vorzunehmen, Sachen mit Beschlag zu belegen, Proben zu entnehmen. Das sind wieder besondere Befugnisse, die sich kraft be- sonderen Rechtsgrundes damit verbinden mögen. — Zur Nachtzeit unterliegt das polizeiliche Eindringen weiteren Beschränkungen. Von der dem Gebiete der gerichtlichen Polizei an- gehörigen Haussuchung (Stf.Pr.O. § 104) sehen wir wieder ab. Für die reine Polizei genügt es hier nicht, daſs sie etwas in dem Hause zu thun hat. Es muſs noch etwas Auſserordentliches hinzukommen, das sie zu sofortigem Handeln beruft; sonst hat sie zu warten, bis die Tageszeit da ist. Das kann sein ein dringender Notfall nach den Rücksichten, welche auch das Eindringen eines Privaten entschuldigen würden: Feuersnot, Wassersnot, Lebensgefahr der Inwohner, die abgewendet werden soll, sind die Hauptbeispiele, aber weitere Fälle ähnlicher Art können der Natur der Sache nach nicht ausgeschlossen sein. Daneben gilt als formeller Grund für das Eindringen der Polizei ein Hülferuf, der aus der Wohnung heraus an sie ergeht. Es 16 Beispiele von Ermächtigungen zum Eindringen behufs bloſsen Nachforschens in Reichsges. v. 14. Mai 1879 § 2 u. 3 bezüglich der Verkaufs-, Aufbewahrungs- und Herstellungsräumlichkeiten von Nahrungsmitteln; ferner in Gew.O. § 139 b; landesrechtlich gehört hierher die Feuerschau, die gesundheitspolizeiliche Beauf- sichtigung der Wohnungen, die Apothekenvisitation. 17 Oppenhoff, Stf.G.B. zu § 143 n. 11; H. Seuffert in Wörterbuch I S. 292.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/388>, abgerufen am 22.07.2024.