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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Polizeigewalt.
Thatsachen, sondern die für ihn massgebende Rechtsordnung selbst
betrifft; ein derartiger Irrtum ist immer pflichtwidrig: Unkenntnis
und unrichtige Auffassung der Rechtssätze, welche die Zulässigkeit der
Amtshandlung ergeben6, Nichtbeobachtung der dafür vorgeschriebenen
Formen7 geben die Hauptbeispiele des straflosen Widerstandes.

2. Die Rechtswidrigkeit muss auch ausgeschlossen werden durch
einen Dienstbefehl, der die Amtshandlung verlangt, insoweit
wenigstens, als der Beamte sonst ohne die Möglichkeit eigner Prüfung
blindlings dem straflosen Widerstand entgegengeschickt würde8. Des-
halb deckt der gehörig an ihn ergangene Befehl alle Voraussetzungen
der Gültigkeit der Amtshandlung, welche hinter ihm liegen: die
Befugnisse der befehlenden Behörde, in der Weise, wie befohlen, hier
durch ihren Untergebenen auf diesen Unterthanen einzuwirken, und
die Rechtsgültigkeit des obrigkeitlichen Aktes, zu dessen Durchführung
sie ihn beauftragt. Das alles ist der Vollstreckungsbeamte nicht be-
rufen nachzuprüfen; wenn also sein Vorgehen dem Unterthanen
gegenüber rechtswidrig ist, bloss deshalb, weil hieran etwas nicht in
Ordnung war, so muss er gegen den Widerstand geschützt sein und

wäre der Widerstand allerdings nur dann straflos gewesen, wenn die Auf-
klärung die Möglichkeit eines Fortbestehens ihrer irrigen Annahme billigerweise
ausschloss.
6 Oppenhoff, Stf.G.B. zu § 113 n. 11; Bolze bei Goltdammer Arch. XXIII
S. 293; John in Holtzendorff Handbuch III S. 121. -- R.G. 1. Mai 1882 (Samml.
Stf.S. IV S. 415): Der Gendarm hat einen Burschen im Verdacht, dass er im nahen
Walde wildern wolle, und durchsucht ihn gewaltsam nach Schlingen, um die Straf-
that zu verhindern. Der Widerstand ist straflos, weil nach dem massgebenden
bayrischen Recht die gewaltsame Verhinderung das unmittelbare Bevorstehen der
Strafthat voraussetzt; ein solches hatte aber der Gendarm selbst nicht angenommen;
er hatte im Rechte geirrt. Ebenso ist zu beurteilen der Fall R.G. 24. Okt. 1884
(Reger, V S. 351): der Gendarm hatte eine Beschlagnahme vorgenommen nach
Stf.Pr.O. § 94 ff., wozu nur Hülfsbeamte der Staatsanwaltschaft befugt sind; nach
dem massgebenden preussischen Rechte ist er kein solcher. Der Widerstand ist
straflos.
7 Nur rechtssatzmässige Formvorschriften kommen in Betracht, nicht "in-
struktionelle", weil letztere im Verhältnis zum Unterthanen nicht binden. Wenn
Neumann in Goltdammer Arch. 22 S. 259 verlangt, dass die Formvorschrift ge-
geben sei "durch Gesetz oder eine von diesem vorgeschriebene Instruktion", so
meint er wohl mit der letzteren eine Verordnung. -- Die Formvorschriften be-
ziehen sich auf die Legitimation des Vollstreckungsbeamten, durch die er sich aus-
weisen muss, auf einen etwa erforderten besonderen Dienstauftrag, auf Ort und Zeit
der Handlung, Zuziehung von Solennitätszeugen u. dergl. Hiller, Rechtmässigkeit
S. 75--78.
8 Diese Erwägungen natürlicher Zweckmässigkeit und Gerechtigkeit giebt be-
sonders kräftig R.G. 1. Nov. 1880 (Samml. Stf.S. II S. 424).

Die Polizeigewalt.
Thatsachen, sondern die für ihn maſsgebende Rechtsordnung selbst
betrifft; ein derartiger Irrtum ist immer pflichtwidrig: Unkenntnis
und unrichtige Auffassung der Rechtssätze, welche die Zulässigkeit der
Amtshandlung ergeben6, Nichtbeobachtung der dafür vorgeschriebenen
Formen7 geben die Hauptbeispiele des straflosen Widerstandes.

2. Die Rechtswidrigkeit muſs auch ausgeschlossen werden durch
einen Dienstbefehl, der die Amtshandlung verlangt, insoweit
wenigstens, als der Beamte sonst ohne die Möglichkeit eigner Prüfung
blindlings dem straflosen Widerstand entgegengeschickt würde8. Des-
halb deckt der gehörig an ihn ergangene Befehl alle Voraussetzungen
der Gültigkeit der Amtshandlung, welche hinter ihm liegen: die
Befugnisse der befehlenden Behörde, in der Weise, wie befohlen, hier
durch ihren Untergebenen auf diesen Unterthanen einzuwirken, und
die Rechtsgültigkeit des obrigkeitlichen Aktes, zu dessen Durchführung
sie ihn beauftragt. Das alles ist der Vollstreckungsbeamte nicht be-
rufen nachzuprüfen; wenn also sein Vorgehen dem Unterthanen
gegenüber rechtswidrig ist, bloſs deshalb, weil hieran etwas nicht in
Ordnung war, so muſs er gegen den Widerstand geschützt sein und

wäre der Widerstand allerdings nur dann straflos gewesen, wenn die Auf-
klärung die Möglichkeit eines Fortbestehens ihrer irrigen Annahme billigerweise
ausschloſs.
6 Oppenhoff, Stf.G.B. zu § 113 n. 11; Bolze bei Goltdammer Arch. XXIII
S. 293; John in Holtzendorff Handbuch III S. 121. — R.G. 1. Mai 1882 (Samml.
Stf.S. IV S. 415): Der Gendarm hat einen Burschen im Verdacht, daſs er im nahen
Walde wildern wolle, und durchsucht ihn gewaltsam nach Schlingen, um die Straf-
that zu verhindern. Der Widerstand ist straflos, weil nach dem maſsgebenden
bayrischen Recht die gewaltsame Verhinderung das unmittelbare Bevorstehen der
Strafthat voraussetzt; ein solches hatte aber der Gendarm selbst nicht angenommen;
er hatte im Rechte geirrt. Ebenso ist zu beurteilen der Fall R.G. 24. Okt. 1884
(Reger, V S. 351): der Gendarm hatte eine Beschlagnahme vorgenommen nach
Stf.Pr.O. § 94 ff., wozu nur Hülfsbeamte der Staatsanwaltschaft befugt sind; nach
dem maſsgebenden preuſsischen Rechte ist er kein solcher. Der Widerstand ist
straflos.
7 Nur rechtssatzmäſsige Formvorschriften kommen in Betracht, nicht „in-
struktionelle“, weil letztere im Verhältnis zum Unterthanen nicht binden. Wenn
Neumann in Goltdammer Arch. 22 S. 259 verlangt, daſs die Formvorschrift ge-
geben sei „durch Gesetz oder eine von diesem vorgeschriebene Instruktion“, so
meint er wohl mit der letzteren eine Verordnung. — Die Formvorschriften be-
ziehen sich auf die Legitimation des Vollstreckungsbeamten, durch die er sich aus-
weisen muſs, auf einen etwa erforderten besonderen Dienstauftrag, auf Ort und Zeit
der Handlung, Zuziehung von Solennitätszeugen u. dergl. Hiller, Rechtmäſsigkeit
S. 75—78.
8 Diese Erwägungen natürlicher Zweckmäſsigkeit und Gerechtigkeit giebt be-
sonders kräftig R.G. 1. Nov. 1880 (Samml. Stf.S. II S. 424).
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[362/0382] Die Polizeigewalt. Thatsachen, sondern die für ihn maſsgebende Rechtsordnung selbst betrifft; ein derartiger Irrtum ist immer pflichtwidrig: Unkenntnis und unrichtige Auffassung der Rechtssätze, welche die Zulässigkeit der Amtshandlung ergeben 6, Nichtbeobachtung der dafür vorgeschriebenen Formen 7 geben die Hauptbeispiele des straflosen Widerstandes. 2. Die Rechtswidrigkeit muſs auch ausgeschlossen werden durch einen Dienstbefehl, der die Amtshandlung verlangt, insoweit wenigstens, als der Beamte sonst ohne die Möglichkeit eigner Prüfung blindlings dem straflosen Widerstand entgegengeschickt würde 8. Des- halb deckt der gehörig an ihn ergangene Befehl alle Voraussetzungen der Gültigkeit der Amtshandlung, welche hinter ihm liegen: die Befugnisse der befehlenden Behörde, in der Weise, wie befohlen, hier durch ihren Untergebenen auf diesen Unterthanen einzuwirken, und die Rechtsgültigkeit des obrigkeitlichen Aktes, zu dessen Durchführung sie ihn beauftragt. Das alles ist der Vollstreckungsbeamte nicht be- rufen nachzuprüfen; wenn also sein Vorgehen dem Unterthanen gegenüber rechtswidrig ist, bloſs deshalb, weil hieran etwas nicht in Ordnung war, so muſs er gegen den Widerstand geschützt sein und 5 6 Oppenhoff, Stf.G.B. zu § 113 n. 11; Bolze bei Goltdammer Arch. XXIII S. 293; John in Holtzendorff Handbuch III S. 121. — R.G. 1. Mai 1882 (Samml. Stf.S. IV S. 415): Der Gendarm hat einen Burschen im Verdacht, daſs er im nahen Walde wildern wolle, und durchsucht ihn gewaltsam nach Schlingen, um die Straf- that zu verhindern. Der Widerstand ist straflos, weil nach dem maſsgebenden bayrischen Recht die gewaltsame Verhinderung das unmittelbare Bevorstehen der Strafthat voraussetzt; ein solches hatte aber der Gendarm selbst nicht angenommen; er hatte im Rechte geirrt. Ebenso ist zu beurteilen der Fall R.G. 24. Okt. 1884 (Reger, V S. 351): der Gendarm hatte eine Beschlagnahme vorgenommen nach Stf.Pr.O. § 94 ff., wozu nur Hülfsbeamte der Staatsanwaltschaft befugt sind; nach dem maſsgebenden preuſsischen Rechte ist er kein solcher. Der Widerstand ist straflos. 7 Nur rechtssatzmäſsige Formvorschriften kommen in Betracht, nicht „in- struktionelle“, weil letztere im Verhältnis zum Unterthanen nicht binden. Wenn Neumann in Goltdammer Arch. 22 S. 259 verlangt, daſs die Formvorschrift ge- geben sei „durch Gesetz oder eine von diesem vorgeschriebene Instruktion“, so meint er wohl mit der letzteren eine Verordnung. — Die Formvorschriften be- ziehen sich auf die Legitimation des Vollstreckungsbeamten, durch die er sich aus- weisen muſs, auf einen etwa erforderten besonderen Dienstauftrag, auf Ort und Zeit der Handlung, Zuziehung von Solennitätszeugen u. dergl. Hiller, Rechtmäſsigkeit S. 75—78. 8 Diese Erwägungen natürlicher Zweckmäſsigkeit und Gerechtigkeit giebt be- sonders kräftig R.G. 1. Nov. 1880 (Samml. Stf.S. II S. 424). 5 wäre der Widerstand allerdings nur dann straflos gewesen, wenn die Auf- klärung die Möglichkeit eines Fortbestehens ihrer irrigen Annahme billigerweise ausschloſs.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/382>, abgerufen am 23.12.2024.