In ähnlicher Weise üben auch die Polizeibeamten Gewalt. Bei ihnen geht aber alles von dem ihnen eigentümlichen Gesichtspunkte aus, der zugleich die Fälle ihres Einschreitens umgrenzt, dass näm- lich das Unglück, welches dem Einzelnen in solcher Weise droht, zu- gleich eine Störung der guten Ordnung ist, welche sie aufrecht zu erhalten haben. Diese Störung ist hier vielleicht an sich nicht so schwerwiegend, aber auf der anderen Seite ist die Gewalt selbst hier durch die besonderen Umstände noch viel geringer: dadurch dass sie im wohlverstandenen Interesse des Vergewaltigten selbst stattfindet, wird sie aller Schwere entkleidet und erscheint als ein die Freiheit eher schützender denn beeinträchtigender, als ein vormundschaftlicher Eingriff. Das Missverhältnis von Störung und Gewalt ist also für den Standpunkt der Polizei hier wieder vollständig gegeben und derartige rettende Thaten reihen sich ein in den allgemeinen Begriff des polizeilichen Notstandsrechtes.
Die polizeiliche Rettung hat sich zu einer besonders scharfen Form ausgebildet in der Vergewaltigung einer Person zum Schutze gegen Angriffe Anderer. Voraussetzung ist, dass jemand, wenn er in Freiheit gelassen würde, Misshandlungen und sonstigen schweren Ge- fährdungen von seiten Anderer ausgesetzt wäre. Möglicher Weise bittet er selbst um Wegbegleitung oder um Aufnahme in polizeiliche Räumlichkeiten, wo er in Sicherheit ist. Aber auch gegen seinen Willen kann ihm dieser Schutz bereitet werden. Zu beachten ist, dass hier wieder eine Ablenkung der natürlichen Richtung der Polizei- gewalt vor sich geht, wie in den obigen Fällen der öffentlichen Not: eigentlich müssten die Angreifer überwältigt und unschädlich gemacht werden. Das geht aber unter Umständen thatsächlich nicht wohl an, die Macht der Polizei reicht im Augenblick nicht aus oder es würde zu weit führen, davon Gebrauch zu machen; deshalb wird die Störung wieder durch Gewalt am minder schuldigen Teile beseitigt. Insofern das zu seinem eigenen Besten geschieht, ist der Eingriff in seine Freiheit geringwertig genug, um die Verschiebung zu rechtfertigen, selbst wo die Möglichkeit der Unterdrückung des Angriffs nicht eigent- lich ausgeschlossen wäre. Der Gefährdete wird gewaltsam vom Orte der Gefahr weggeschafft, nötigenfalls in der gründlichsten, der Polizei zugleich handlichsten Form der Verhaftung und Gefangenhaltung (unten § 25, II n. 1). Da ist aber folgendermassen zu unter- scheiden. Wenn der Angegriffene die Störung selbst mit veranlasst dadurch, dass er die Angreifer durch sein Verhalten reizt, dann steht er als Hauptursache mit im Vordergrund und ohne weitere Ab- wägungen wird gegen ihn, wie gegen die Andern, je nach der Zweck-
§ 24. Unmittelbarer Zwang.
In ähnlicher Weise üben auch die Polizeibeamten Gewalt. Bei ihnen geht aber alles von dem ihnen eigentümlichen Gesichtspunkte aus, der zugleich die Fälle ihres Einschreitens umgrenzt, daſs näm- lich das Unglück, welches dem Einzelnen in solcher Weise droht, zu- gleich eine Störung der guten Ordnung ist, welche sie aufrecht zu erhalten haben. Diese Störung ist hier vielleicht an sich nicht so schwerwiegend, aber auf der anderen Seite ist die Gewalt selbst hier durch die besonderen Umstände noch viel geringer: dadurch daſs sie im wohlverstandenen Interesse des Vergewaltigten selbst stattfindet, wird sie aller Schwere entkleidet und erscheint als ein die Freiheit eher schützender denn beeinträchtigender, als ein vormundschaftlicher Eingriff. Das Miſsverhältnis von Störung und Gewalt ist also für den Standpunkt der Polizei hier wieder vollständig gegeben und derartige rettende Thaten reihen sich ein in den allgemeinen Begriff des polizeilichen Notstandsrechtes.
Die polizeiliche Rettung hat sich zu einer besonders scharfen Form ausgebildet in der Vergewaltigung einer Person zum Schutze gegen Angriffe Anderer. Voraussetzung ist, daſs jemand, wenn er in Freiheit gelassen würde, Miſshandlungen und sonstigen schweren Ge- fährdungen von seiten Anderer ausgesetzt wäre. Möglicher Weise bittet er selbst um Wegbegleitung oder um Aufnahme in polizeiliche Räumlichkeiten, wo er in Sicherheit ist. Aber auch gegen seinen Willen kann ihm dieser Schutz bereitet werden. Zu beachten ist, daſs hier wieder eine Ablenkung der natürlichen Richtung der Polizei- gewalt vor sich geht, wie in den obigen Fällen der öffentlichen Not: eigentlich müſsten die Angreifer überwältigt und unschädlich gemacht werden. Das geht aber unter Umständen thatsächlich nicht wohl an, die Macht der Polizei reicht im Augenblick nicht aus oder es würde zu weit führen, davon Gebrauch zu machen; deshalb wird die Störung wieder durch Gewalt am minder schuldigen Teile beseitigt. Insofern das zu seinem eigenen Besten geschieht, ist der Eingriff in seine Freiheit geringwertig genug, um die Verschiebung zu rechtfertigen, selbst wo die Möglichkeit der Unterdrückung des Angriffs nicht eigent- lich ausgeschlossen wäre. Der Gefährdete wird gewaltsam vom Orte der Gefahr weggeschafft, nötigenfalls in der gründlichsten, der Polizei zugleich handlichsten Form der Verhaftung und Gefangenhaltung (unten § 25, II n. 1). Da ist aber folgendermaſsen zu unter- scheiden. Wenn der Angegriffene die Störung selbst mit veranlaſst dadurch, daſs er die Angreifer durch sein Verhalten reizt, dann steht er als Hauptursache mit im Vordergrund und ohne weitere Ab- wägungen wird gegen ihn, wie gegen die Andern, je nach der Zweck-
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§ 24. Unmittelbarer Zwang.
In ähnlicher Weise üben auch die Polizeibeamten Gewalt. Bei
ihnen geht aber alles von dem ihnen eigentümlichen Gesichtspunkte
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lich das Unglück, welches dem Einzelnen in solcher Weise droht, zu-
gleich eine Störung der guten Ordnung ist, welche sie aufrecht zu
erhalten haben. Diese Störung ist hier vielleicht an sich nicht so
schwerwiegend, aber auf der anderen Seite ist die Gewalt selbst hier
durch die besonderen Umstände noch viel geringer: dadurch daſs sie
im wohlverstandenen Interesse des Vergewaltigten selbst stattfindet,
wird sie aller Schwere entkleidet und erscheint als ein die Freiheit
eher schützender denn beeinträchtigender, als ein vormundschaftlicher
Eingriff. Das Miſsverhältnis von Störung und Gewalt ist
also für den Standpunkt der Polizei hier wieder vollständig gegeben
und derartige rettende Thaten reihen sich ein in den allgemeinen
Begriff des polizeilichen Notstandsrechtes.
Die polizeiliche Rettung hat sich zu einer besonders scharfen
Form ausgebildet in der Vergewaltigung einer Person zum Schutze
gegen Angriffe Anderer. Voraussetzung ist, daſs jemand, wenn er in
Freiheit gelassen würde, Miſshandlungen und sonstigen schweren Ge-
fährdungen von seiten Anderer ausgesetzt wäre. Möglicher Weise
bittet er selbst um Wegbegleitung oder um Aufnahme in polizeiliche
Räumlichkeiten, wo er in Sicherheit ist. Aber auch gegen seinen
Willen kann ihm dieser Schutz bereitet werden. Zu beachten ist,
daſs hier wieder eine Ablenkung der natürlichen Richtung der Polizei-
gewalt vor sich geht, wie in den obigen Fällen der öffentlichen Not:
eigentlich müſsten die Angreifer überwältigt und unschädlich gemacht
werden. Das geht aber unter Umständen thatsächlich nicht wohl an,
die Macht der Polizei reicht im Augenblick nicht aus oder es würde
zu weit führen, davon Gebrauch zu machen; deshalb wird die Störung
wieder durch Gewalt am minder schuldigen Teile beseitigt. Insofern
das zu seinem eigenen Besten geschieht, ist der Eingriff in seine
Freiheit geringwertig genug, um die Verschiebung zu rechtfertigen,
selbst wo die Möglichkeit der Unterdrückung des Angriffs nicht eigent-
lich ausgeschlossen wäre. Der Gefährdete wird gewaltsam vom Orte
der Gefahr weggeschafft, nötigenfalls in der gründlichsten, der Polizei
zugleich handlichsten Form der Verhaftung und Gefangenhaltung
(unten § 25, II n. 1). Da ist aber folgendermaſsen zu unter-
scheiden. Wenn der Angegriffene die Störung selbst mit veranlaſst
dadurch, daſs er die Angreifer durch sein Verhalten reizt, dann steht
er als Hauptursache mit im Vordergrund und ohne weitere Ab-
wägungen wird gegen ihn, wie gegen die Andern, je nach der Zweck-
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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/377>, abgerufen am 23.12.2024.
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