Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.§ 24. Unmittelbarer Zwang. geben gewisse Sittlichkeitsvergehen und vor allem die Mehrzahl derPolizeidelikte. 2. Was sie abwehrt, ist nicht wie bei der Notwehr jeder 3. Bezüglich des Masses der Gewalt und der Gewaltmittel gilt 12 Binding, Stf.R. I S. 746. -- Zu eng Edel, Bayr. Pol.Stf.G.B. S. 153, der mindestens einen strafbaren Versuch, und Staudinger bei Dollmann, Bayr. Ges.Gebung III, VII S. 184 n. 4, der eine, wenn auch straflose Versuchs- handlung verlangt; ebenso Foerstemann, Pol.R. S. 411, wonach vorausgesetzt wäre, dass "Personen sich in der Vornahme einer verbotswidrigen Handlung be- finden und davon nicht ablassen wollen". -- Zu weit C.C.H. 12. Febr. 1870 in dem oben § 20 Note 21 erwähnten Falle, der dort freilich als polizeiliche Zwangs- vollstreckung gerechtfertigt werden soll; desgl. R.G. 16. Nov. 1885, wo für zulässig erklärt wird, dass der Gendarm einem jungen Manne gewaltsam seinen Stock weg- nimmt, weil er "nach der ganzen Sachlage, insbesondere im Hinblicke auf die in früheren Jahren bei Gelegenheit des Musterungsgeschäftes stattgehabten Schlägereien, sowie auf die aufgeregte streitsüchtige Haltung des Angeklagten und seiner Be- gleiter zu der Annahme gelangt war, dass eine Rauferei nahe bevorstehe". -- Besser gerechtfertigt erscheint die Gewaltanwendung in dem Falle O.V.G. 4. Okt. 1882 (Samml. X S. 376): In einem Wirtshaus will sich eine Schlägerei entwickeln; die Gäste drängen aus einem anderen Zimmer an den Thatort; der Polizeibeamte stellt sich vor die Thüre und lässt niemand hinein. -- Es muss immer bedacht werden, dass eine verfrühte Gewaltanwendung, die also dem Betroffenen nicht von selbst einleuchtet, allzu leicht Widerstand und damit überaus schwere Folgen hervorruft; eine feste Rechtsgrenze findet man nur im Anschluss an die Grund- gedanken der Notwehr und Notwehrhülfe. Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 23
§ 24. Unmittelbarer Zwang. geben gewisse Sittlichkeitsvergehen und vor allem die Mehrzahl derPolizeidelikte. 2. Was sie abwehrt, ist nicht wie bei der Notwehr jeder 3. Bezüglich des Maſses der Gewalt und der Gewaltmittel gilt 12 Binding, Stf.R. I S. 746. — Zu eng Edel, Bayr. Pol.Stf.G.B. S. 153, der mindestens einen strafbaren Versuch, und Staudinger bei Dollmann, Bayr. Ges.Gebung III, VII S. 184 n. 4, der eine, wenn auch straflose Versuchs- handlung verlangt; ebenso Foerstemann, Pol.R. S. 411, wonach vorausgesetzt wäre, daſs „Personen sich in der Vornahme einer verbotswidrigen Handlung be- finden und davon nicht ablassen wollen“. — Zu weit C.C.H. 12. Febr. 1870 in dem oben § 20 Note 21 erwähnten Falle, der dort freilich als polizeiliche Zwangs- vollstreckung gerechtfertigt werden soll; desgl. R.G. 16. Nov. 1885, wo für zulässig erklärt wird, daſs der Gendarm einem jungen Manne gewaltsam seinen Stock weg- nimmt, weil er „nach der ganzen Sachlage, insbesondere im Hinblicke auf die in früheren Jahren bei Gelegenheit des Musterungsgeschäftes stattgehabten Schlägereien, sowie auf die aufgeregte streitsüchtige Haltung des Angeklagten und seiner Be- gleiter zu der Annahme gelangt war, daſs eine Rauferei nahe bevorstehe“. — Besser gerechtfertigt erscheint die Gewaltanwendung in dem Falle O.V.G. 4. Okt. 1882 (Samml. X S. 376): In einem Wirtshaus will sich eine Schlägerei entwickeln; die Gäste drängen aus einem anderen Zimmer an den Thatort; der Polizeibeamte stellt sich vor die Thüre und läſst niemand hinein. — Es muſs immer bedacht werden, daſs eine verfrühte Gewaltanwendung, die also dem Betroffenen nicht von selbst einleuchtet, allzu leicht Widerstand und damit überaus schwere Folgen hervorruft; eine feste Rechtsgrenze findet man nur im Anschluſs an die Grund- gedanken der Notwehr und Notwehrhülfe. Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 23
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§ 24. Unmittelbarer Zwang.
geben gewisse Sittlichkeitsvergehen und vor allem die Mehrzahl der
Polizeidelikte.
2. Was sie abwehrt, ist nicht wie bei der Notwehr jeder
rechts widrige Angriff. Das civilrechtliche Unrecht zu bekämpfen,
ist nicht Aufgabe der Polizeigewalt (oben § 19, I n. 2). Nur was
durch das Strafgesetz als öffentlicher Ordnung zuwider gekenn-
zeichnet ist, die Rechtswidrigkeit höheren Ranges wird von ihr auf
diese Weise bekämpft. In der Art wie diese Voraussetzung genauer
bestimmt wird, stimmt denn aber unser Rechtsinstitut wieder mit der
Notwehr überein. Daſs die Bestrafung etwa durch einen Antrag des
Verletzten bedingt ist, macht hier wie dort keinen Unterschied.
Andererseits fällt wie für die Notwehr-Hülfeleistung, so auch für die
polizeiliche Gewaltanwendung der Rechtsgrund fort, wenn und soweit
die Einwilligung des Verletzten die Strafbarkeit aufhebt. Auch der
Zeitpunkt, mit welchem die Gewaltanwendung zulässig wird, ist über-
einstimmend gegeben durch das Erscheinen der unmittelbaren Gefahr:
der Angriff dort, die strafbare Handlung hier muſs begonnen haben
oder wenigstens die Bewegung des Vorgangs an einem Punkte an-
gelangt sein, daſs der Angriff, die strafbare Handlung unmittelbar be-
vorsteht 12.
3. Bezüglich des Maſses der Gewalt und der Gewaltmittel gilt
12 Binding, Stf.R. I S. 746. — Zu eng Edel, Bayr. Pol.Stf.G.B. S. 153,
der mindestens einen strafbaren Versuch, und Staudinger bei Dollmann,
Bayr. Ges.Gebung III, VII S. 184 n. 4, der eine, wenn auch straflose Versuchs-
handlung verlangt; ebenso Foerstemann, Pol.R. S. 411, wonach vorausgesetzt
wäre, daſs „Personen sich in der Vornahme einer verbotswidrigen Handlung be-
finden und davon nicht ablassen wollen“. — Zu weit C.C.H. 12. Febr. 1870 in dem
oben § 20 Note 21 erwähnten Falle, der dort freilich als polizeiliche Zwangs-
vollstreckung gerechtfertigt werden soll; desgl. R.G. 16. Nov. 1885, wo für zulässig
erklärt wird, daſs der Gendarm einem jungen Manne gewaltsam seinen Stock weg-
nimmt, weil er „nach der ganzen Sachlage, insbesondere im Hinblicke auf die in
früheren Jahren bei Gelegenheit des Musterungsgeschäftes stattgehabten Schlägereien,
sowie auf die aufgeregte streitsüchtige Haltung des Angeklagten und seiner Be-
gleiter zu der Annahme gelangt war, daſs eine Rauferei nahe bevorstehe“. —
Besser gerechtfertigt erscheint die Gewaltanwendung in dem Falle O.V.G. 4. Okt.
1882 (Samml. X S. 376): In einem Wirtshaus will sich eine Schlägerei entwickeln;
die Gäste drängen aus einem anderen Zimmer an den Thatort; der Polizeibeamte
stellt sich vor die Thüre und läſst niemand hinein. — Es muſs immer bedacht
werden, daſs eine verfrühte Gewaltanwendung, die also dem Betroffenen nicht von
selbst einleuchtet, allzu leicht Widerstand und damit überaus schwere Folgen
hervorruft; eine feste Rechtsgrenze findet man nur im Anschluſs an die Grund-
gedanken der Notwehr und Notwehrhülfe.
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 23
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