Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Polizeigewalt.
rechtssatz noch einmal wirken will; dann kann dieser auch nicht
durch eine Wiederholung des Befehles noch einmal wirksam gemacht
werden und ebenso wenig kann die Ungehorsamsstrafe jetzt treffen,
was er schon mit Strafe getroffen hat und nicht zum zweitenmale ge-
troffen haben will19.

Die Ungehorsamsstrafe kann nur an solche Thatbestände an-
knüpfen, welche das Delikt nicht selbst darbieten, wenn
sie auch mit ihm in Zusammenhang stehen. Es werden Handlungen
vorgenommen, Einrichtungen getroffen, welche selbst nicht strafbar
sind, aber das Delikt erleichtern und vorbereiten und dabei ihrerseits
schon eine Polizeiwidrigkeit vorstellen. Oder, was der wichtigste Fall
ist: das Delikt hat Zustände geschaffen, äussere Spuren zurück-
gelassen, welche beseitigt werden müssen als Störungen der guten
Ordnung, ohne dass sie selbst die fortgesetzte Verübung des Deliktes
enthielten. Wenn die Polizeibehörde mit Befehl und Zwang gegen
solche Dinge vorgeht, so steht ihr auch die Ungehorsamsstrafe zur
Verfügung. Sie trifft damit immer einen Thatbestand von Pflichten
und Nichterfüllung derselben, dessen Strafbarkeit der Strafrechtssatz
nicht erledigen wollte20.

II. Das deutsche Civilprozessrecht giebt eine besondere Form der
Zwangsvollstreckung für den Fall, dass es auf die Erzwingung der
Vornahme einer Handlung ankommt, welche an Stelle des Schuldners
durch einen Dritten vorgenommen werden kann: der Gläubiger wird

19 A. M. Rosin, Pol.Verord. S. 71 u. 72. Er führt als Beispiel an, dass
eine Polizeistrafverordnung das Abraupen oder die Vorlage von Fleischbüchern
bis zu bestimmtem Termin gebietet. Ist der Termin verstrichen, so ist die Strafe
verwirkt; wird dann die Pflicht immer noch nicht erfüllt, so kann mit Ungehorsams-
strafe vorgegangen werden. Allein in Wirklichkeit ist das doch immer nur ein
Thatbestand der Nichterfüllung; man kann nicht zwei daraus machen, indem man
den Zeitraum der Nichterfüllung geeignet zerschneidet und das erste Stück der
Polizeistrafe, das zweite der Ungehorsamsstrafe giebt.
20 Beseitigung von verbotswidrig errichteten Bauwerken wird das Hauptbeispiel
geben: Rosin, Pol.Verord. S. 69, 70; Schicker, Württemb. Pol.Stf.R. S. 78, 79.
Bei strafbarem Gewerbebetrieb handelt es sich um die verbliebenen Geschäfts-
einrichtungen, Wirtshausschilder u. s. w., welche die Neuverübung des Deliktes er-
leichtern könnten; O.V.G. 9. April 1879 (Samml. V S. 289 ff.) -- O.V.G. 6. Juni
1885 (M.Bl. d. I. 1885 S. 151): Ein Konsumverein giebt Marken aus, ähnlich
Fünfzigpfennigstücken, was durch Polizeistrafverordnung verboten ist. Die Polizei-
direktion befiehlt den Vorstandsmitgliedern, die Marken binnen 14 Tagen ein-
zuziehen bei Ungehorsamsstrafe. Das ist eine neue Pflicht, deren Verabsäumung
durch den Strafrechtssatz nicht getroffen ist. Die Strafverfolgung endete mit Frei-
sprechung, die polizeiliche Zwangsvollstreckung mittelst Ungehorsamsstrafe ging
ihren Weg selbständig.

Die Polizeigewalt.
rechtssatz noch einmal wirken will; dann kann dieser auch nicht
durch eine Wiederholung des Befehles noch einmal wirksam gemacht
werden und ebenso wenig kann die Ungehorsamsstrafe jetzt treffen,
was er schon mit Strafe getroffen hat und nicht zum zweitenmale ge-
troffen haben will19.

Die Ungehorsamsstrafe kann nur an solche Thatbestände an-
knüpfen, welche das Delikt nicht selbst darbieten, wenn
sie auch mit ihm in Zusammenhang stehen. Es werden Handlungen
vorgenommen, Einrichtungen getroffen, welche selbst nicht strafbar
sind, aber das Delikt erleichtern und vorbereiten und dabei ihrerseits
schon eine Polizeiwidrigkeit vorstellen. Oder, was der wichtigste Fall
ist: das Delikt hat Zustände geschaffen, äuſsere Spuren zurück-
gelassen, welche beseitigt werden müssen als Störungen der guten
Ordnung, ohne daſs sie selbst die fortgesetzte Verübung des Deliktes
enthielten. Wenn die Polizeibehörde mit Befehl und Zwang gegen
solche Dinge vorgeht, so steht ihr auch die Ungehorsamsstrafe zur
Verfügung. Sie trifft damit immer einen Thatbestand von Pflichten
und Nichterfüllung derselben, dessen Strafbarkeit der Strafrechtssatz
nicht erledigen wollte20.

II. Das deutsche Civilprozeſsrecht giebt eine besondere Form der
Zwangsvollstreckung für den Fall, daſs es auf die Erzwingung der
Vornahme einer Handlung ankommt, welche an Stelle des Schuldners
durch einen Dritten vorgenommen werden kann: der Gläubiger wird

19 A. M. Rosin, Pol.Verord. S. 71 u. 72. Er führt als Beispiel an, daſs
eine Polizeistrafverordnung das Abraupen oder die Vorlage von Fleischbüchern
bis zu bestimmtem Termin gebietet. Ist der Termin verstrichen, so ist die Strafe
verwirkt; wird dann die Pflicht immer noch nicht erfüllt, so kann mit Ungehorsams-
strafe vorgegangen werden. Allein in Wirklichkeit ist das doch immer nur ein
Thatbestand der Nichterfüllung; man kann nicht zwei daraus machen, indem man
den Zeitraum der Nichterfüllung geeignet zerschneidet und das erste Stück der
Polizeistrafe, das zweite der Ungehorsamsstrafe giebt.
20 Beseitigung von verbotswidrig errichteten Bauwerken wird das Hauptbeispiel
geben: Rosin, Pol.Verord. S. 69, 70; Schicker, Württemb. Pol.Stf.R. S. 78, 79.
Bei strafbarem Gewerbebetrieb handelt es sich um die verbliebenen Geschäfts-
einrichtungen, Wirtshausschilder u. s. w., welche die Neuverübung des Deliktes er-
leichtern könnten; O.V.G. 9. April 1879 (Samml. V S. 289 ff.) — O.V.G. 6. Juni
1885 (M.Bl. d. I. 1885 S. 151): Ein Konsumverein giebt Marken aus, ähnlich
Fünfzigpfennigstücken, was durch Polizeistrafverordnung verboten ist. Die Polizei-
direktion befiehlt den Vorstandsmitgliedern, die Marken binnen 14 Tagen ein-
zuziehen bei Ungehorsamsstrafe. Das ist eine neue Pflicht, deren Verabsäumung
durch den Strafrechtssatz nicht getroffen ist. Die Strafverfolgung endete mit Frei-
sprechung, die polizeiliche Zwangsvollstreckung mittelst Ungehorsamsstrafe ging
ihren Weg selbständig.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0356" n="336"/><fw place="top" type="header">Die Polizeigewalt.</fw><lb/>
rechtssatz noch einmal wirken will; dann kann dieser auch nicht<lb/>
durch eine Wiederholung des Befehles noch einmal wirksam gemacht<lb/>
werden und ebenso wenig kann die Ungehorsamsstrafe jetzt treffen,<lb/>
was er schon mit Strafe getroffen hat und nicht zum zweitenmale ge-<lb/>
troffen haben will<note place="foot" n="19">A. M. <hi rendition="#g">Rosin,</hi> Pol.Verord. S. 71 u. 72. Er führt als Beispiel an, da&#x017F;s<lb/>
eine Polizeistrafverordnung das Abraupen oder die Vorlage von Fleischbüchern<lb/>
bis zu bestimmtem Termin gebietet. Ist der Termin verstrichen, so ist die Strafe<lb/>
verwirkt; wird dann die Pflicht immer noch nicht erfüllt, so kann mit Ungehorsams-<lb/>
strafe vorgegangen werden. Allein in Wirklichkeit ist das doch immer nur <hi rendition="#g">ein</hi><lb/>
Thatbestand der Nichterfüllung; man kann nicht zwei daraus machen, indem man<lb/>
den Zeitraum der Nichterfüllung geeignet zerschneidet und das erste Stück der<lb/>
Polizeistrafe, das zweite der Ungehorsamsstrafe giebt.</note>.</p><lb/>
              <p>Die Ungehorsamsstrafe kann nur an solche Thatbestände an-<lb/>
knüpfen, <hi rendition="#g">welche das Delikt nicht selbst darbieten,</hi> wenn<lb/>
sie auch mit ihm in Zusammenhang stehen. Es werden Handlungen<lb/>
vorgenommen, Einrichtungen getroffen, welche selbst nicht strafbar<lb/>
sind, aber das Delikt erleichtern und vorbereiten und dabei ihrerseits<lb/>
schon eine Polizeiwidrigkeit vorstellen. Oder, was der wichtigste Fall<lb/>
ist: das Delikt hat <hi rendition="#g">Zustände</hi> geschaffen, äu&#x017F;sere Spuren zurück-<lb/>
gelassen, welche beseitigt werden müssen als Störungen der guten<lb/>
Ordnung, ohne da&#x017F;s sie selbst die fortgesetzte Verübung des Deliktes<lb/>
enthielten. Wenn die Polizeibehörde mit Befehl und Zwang gegen<lb/>
solche Dinge vorgeht, so steht ihr auch die Ungehorsamsstrafe zur<lb/>
Verfügung. Sie trifft damit immer einen Thatbestand von Pflichten<lb/>
und Nichterfüllung derselben, dessen Strafbarkeit der Strafrechtssatz<lb/>
nicht erledigen wollte<note place="foot" n="20">Beseitigung von verbotswidrig errichteten Bauwerken wird das Hauptbeispiel<lb/>
geben: <hi rendition="#g">Rosin,</hi> Pol.Verord. S. 69, 70; <hi rendition="#g">Schicker,</hi> Württemb. Pol.Stf.R. S. 78, 79.<lb/>
Bei strafbarem Gewerbebetrieb handelt es sich um die verbliebenen Geschäfts-<lb/>
einrichtungen, Wirtshausschilder u. s. w., welche die Neuverübung des Deliktes er-<lb/>
leichtern könnten; O.V.G. 9. April 1879 (Samml. V S. 289 ff.) &#x2014; O.V.G. 6. Juni<lb/>
1885 (M.Bl. d. I. 1885 S. 151): Ein Konsumverein giebt Marken aus, ähnlich<lb/>
Fünfzigpfennigstücken, was durch Polizeistrafverordnung verboten ist. Die Polizei-<lb/>
direktion befiehlt den Vorstandsmitgliedern, die Marken binnen 14 Tagen ein-<lb/>
zuziehen bei Ungehorsamsstrafe. Das ist eine neue Pflicht, deren Verabsäumung<lb/>
durch den Strafrechtssatz nicht getroffen ist. Die Strafverfolgung endete mit Frei-<lb/>
sprechung, die polizeiliche Zwangsvollstreckung mittelst Ungehorsamsstrafe ging<lb/>
ihren Weg selbständig.</note>.</p><lb/>
              <p>II. Das deutsche Civilproze&#x017F;srecht giebt eine besondere Form der<lb/>
Zwangsvollstreckung für den Fall, da&#x017F;s es auf die Erzwingung der<lb/>
Vornahme einer Handlung ankommt, welche an Stelle des Schuldners<lb/>
durch einen Dritten vorgenommen werden kann: der Gläubiger wird<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[336/0356] Die Polizeigewalt. rechtssatz noch einmal wirken will; dann kann dieser auch nicht durch eine Wiederholung des Befehles noch einmal wirksam gemacht werden und ebenso wenig kann die Ungehorsamsstrafe jetzt treffen, was er schon mit Strafe getroffen hat und nicht zum zweitenmale ge- troffen haben will 19. Die Ungehorsamsstrafe kann nur an solche Thatbestände an- knüpfen, welche das Delikt nicht selbst darbieten, wenn sie auch mit ihm in Zusammenhang stehen. Es werden Handlungen vorgenommen, Einrichtungen getroffen, welche selbst nicht strafbar sind, aber das Delikt erleichtern und vorbereiten und dabei ihrerseits schon eine Polizeiwidrigkeit vorstellen. Oder, was der wichtigste Fall ist: das Delikt hat Zustände geschaffen, äuſsere Spuren zurück- gelassen, welche beseitigt werden müssen als Störungen der guten Ordnung, ohne daſs sie selbst die fortgesetzte Verübung des Deliktes enthielten. Wenn die Polizeibehörde mit Befehl und Zwang gegen solche Dinge vorgeht, so steht ihr auch die Ungehorsamsstrafe zur Verfügung. Sie trifft damit immer einen Thatbestand von Pflichten und Nichterfüllung derselben, dessen Strafbarkeit der Strafrechtssatz nicht erledigen wollte 20. II. Das deutsche Civilprozeſsrecht giebt eine besondere Form der Zwangsvollstreckung für den Fall, daſs es auf die Erzwingung der Vornahme einer Handlung ankommt, welche an Stelle des Schuldners durch einen Dritten vorgenommen werden kann: der Gläubiger wird 19 A. M. Rosin, Pol.Verord. S. 71 u. 72. Er führt als Beispiel an, daſs eine Polizeistrafverordnung das Abraupen oder die Vorlage von Fleischbüchern bis zu bestimmtem Termin gebietet. Ist der Termin verstrichen, so ist die Strafe verwirkt; wird dann die Pflicht immer noch nicht erfüllt, so kann mit Ungehorsams- strafe vorgegangen werden. Allein in Wirklichkeit ist das doch immer nur ein Thatbestand der Nichterfüllung; man kann nicht zwei daraus machen, indem man den Zeitraum der Nichterfüllung geeignet zerschneidet und das erste Stück der Polizeistrafe, das zweite der Ungehorsamsstrafe giebt. 20 Beseitigung von verbotswidrig errichteten Bauwerken wird das Hauptbeispiel geben: Rosin, Pol.Verord. S. 69, 70; Schicker, Württemb. Pol.Stf.R. S. 78, 79. Bei strafbarem Gewerbebetrieb handelt es sich um die verbliebenen Geschäfts- einrichtungen, Wirtshausschilder u. s. w., welche die Neuverübung des Deliktes er- leichtern könnten; O.V.G. 9. April 1879 (Samml. V S. 289 ff.) — O.V.G. 6. Juni 1885 (M.Bl. d. I. 1885 S. 151): Ein Konsumverein giebt Marken aus, ähnlich Fünfzigpfennigstücken, was durch Polizeistrafverordnung verboten ist. Die Polizei- direktion befiehlt den Vorstandsmitgliedern, die Marken binnen 14 Tagen ein- zuziehen bei Ungehorsamsstrafe. Das ist eine neue Pflicht, deren Verabsäumung durch den Strafrechtssatz nicht getroffen ist. Die Strafverfolgung endete mit Frei- sprechung, die polizeiliche Zwangsvollstreckung mittelst Ungehorsamsstrafe ging ihren Weg selbständig.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/356
Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/356>, abgerufen am 23.12.2024.