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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 22. Die Polizeistrafe.
als beim gemeinen Delikt. Man hat das in verschiedener Weise zum
Ausdruck zu bringen gesucht, als grössere Strenge des Polizeistraf-
rechtssatzes, formale Natur des Polizeidelikts, objektiver Massstab
u. dergl. Das Polizeidelikt steht aber in dieser Beziehung nicht allein.
Es ist nur ein Glied in der grossen Familie der Verwaltungs-
delikte,
die überall ähnliche Erscheinungen aufweisen. Finanz-
delikte, strafbare Nichterfüllung von Dienstpflichten und Lasten, Nicht-
benutzung öffentlicher Anstalten werden uns noch beschäftigen. Die
jeweilige verwaltungsrechtliche Grundlage giebt ihnen durchweg ihre
besondere Art. Beim Polizeidelikt ist es die polizeirechtliche9.

Die Polizeistrafe ist gesetzt auf eine Polizeiwidrigkeit, eine
Störung der guten Ordnung des Gemeinwesens aus dem Einzeldasein.
Das Gesetz greift die wichtig scheinenden Störungen heraus oder lässt
sie herausgreifen durch die Behörden, um die Strafe daran zu knüpfen,
unmittelbar oder durch Vermittlung des Ungehorsams gegen einen
vorausgehenden Befehl. Störungen der guten Ordnung zu vermeiden,
ist eine allgemeine Pflicht, die als selbstverständlich vorausgesetzt
wird. Die Verletzung dieser Pflicht ist die ethische Grundlage der
Polizeistrafe10. Die Verletzung der Pflicht ist nur strafbar, insofern

9 Die alte Grundeinteilung der Strafrechtslehre stellt Verbrechen und
Polizeidelikte einander gegenüber. Polizei ist dabei im früheren umfassenden
Sinn gebraucht, wonach z. B. auch die Verfolgung von Finanzdelikten als Finanz-
polizei darin begriffen war. Die Strafrechtslehre wird sich der neueren Abgrenzung
der Begriffe des öffentlichen Rechts anschliessen müssen; Verwaltungsdelikt ist die
gebotene Bezeichnung. Sie pflegt heutzutage zu unterscheiden: die Güterbeschädi-
gung oder das Materialvergehen und den reinen Ungehorsam oder das For-
malvergehen; Binding,
Normen I S. 204; Merkel, Abhandl. I S. 98; v. Liszt,
Stf.R. S. 102. Der letztere Begriff, der insbesondere auch das Polizeidelikt um-
fasst, ist für sie wesentlich verneinend bestimmt, durch das Fehlen nämlich des
stofflichen Hintergrundes, der das gemeine Delikt auszeichnet. Was aber für sie
nicht sichtbar ist, das hat eben die Verwaltungsrechtslehre aufzuweisen: auch das
sog. Formalvergehen hat seine materielle Grundlage.
10 Man darf nicht sagen: die Polizeiwidrigkeit könne die Grundlage der
Polizeistrafsetzung nicht sein, da sie ja nicht immer zur Strafe führe, sondern nur
da, wo diese besonders angeordnet ist. Denn mit der ethischen Grundlage des ge-
meinen Strafrechts steht es nicht anders: auch unter den "Güterbeschädigungen"
sind die strafbaren durch besonderen Entschluss der Staatsgewalt erst heraus-
gesucht; Binding, Normen I S. 205. -- Unser Begriff der Polizeiwidrigkeit wird in
der Strafrechtswissenschaft durch mancherlei Redewendungen ersetzt: Haelschner,
Stf.R. I S. 318; Binding, Normen I S. 407; Rotering, Fahrlässigkeit und Un-
fallsgefahr S. 94 ff.; Oppenhoff, Stf.G.B. zu § 59 n. 9. Mit der Einteilung in
Erfolgs- und Gefährdungsdelikte, Rechtsgüterverletzung und Rechtsgütergefährdung,
welche beim gemeinen Delikte gemacht wird, ist jedenfalls keine entsprechende
Abgrenzung zu erzielen, denn sie lässt sich auch innerhalb des Polizeidelikts

§ 22. Die Polizeistrafe.
als beim gemeinen Delikt. Man hat das in verschiedener Weise zum
Ausdruck zu bringen gesucht, als gröſsere Strenge des Polizeistraf-
rechtssatzes, formale Natur des Polizeidelikts, objektiver Maſsstab
u. dergl. Das Polizeidelikt steht aber in dieser Beziehung nicht allein.
Es ist nur ein Glied in der groſsen Familie der Verwaltungs-
delikte,
die überall ähnliche Erscheinungen aufweisen. Finanz-
delikte, strafbare Nichterfüllung von Dienstpflichten und Lasten, Nicht-
benutzung öffentlicher Anstalten werden uns noch beschäftigen. Die
jeweilige verwaltungsrechtliche Grundlage giebt ihnen durchweg ihre
besondere Art. Beim Polizeidelikt ist es die polizeirechtliche9.

Die Polizeistrafe ist gesetzt auf eine Polizeiwidrigkeit, eine
Störung der guten Ordnung des Gemeinwesens aus dem Einzeldasein.
Das Gesetz greift die wichtig scheinenden Störungen heraus oder läſst
sie herausgreifen durch die Behörden, um die Strafe daran zu knüpfen,
unmittelbar oder durch Vermittlung des Ungehorsams gegen einen
vorausgehenden Befehl. Störungen der guten Ordnung zu vermeiden,
ist eine allgemeine Pflicht, die als selbstverständlich vorausgesetzt
wird. Die Verletzung dieser Pflicht ist die ethische Grundlage der
Polizeistrafe10. Die Verletzung der Pflicht ist nur strafbar, insofern

9 Die alte Grundeinteilung der Strafrechtslehre stellt Verbrechen und
Polizeidelikte einander gegenüber. Polizei ist dabei im früheren umfassenden
Sinn gebraucht, wonach z. B. auch die Verfolgung von Finanzdelikten als Finanz-
polizei darin begriffen war. Die Strafrechtslehre wird sich der neueren Abgrenzung
der Begriffe des öffentlichen Rechts anschlieſsen müssen; Verwaltungsdelikt ist die
gebotene Bezeichnung. Sie pflegt heutzutage zu unterscheiden: die Güterbeschädi-
gung oder das Materialvergehen und den reinen Ungehorsam oder das For-
malvergehen; Binding,
Normen I S. 204; Merkel, Abhandl. I S. 98; v. Liszt,
Stf.R. S. 102. Der letztere Begriff, der insbesondere auch das Polizeidelikt um-
faſst, ist für sie wesentlich verneinend bestimmt, durch das Fehlen nämlich des
stofflichen Hintergrundes, der das gemeine Delikt auszeichnet. Was aber für sie
nicht sichtbar ist, das hat eben die Verwaltungsrechtslehre aufzuweisen: auch das
sog. Formalvergehen hat seine materielle Grundlage.
10 Man darf nicht sagen: die Polizeiwidrigkeit könne die Grundlage der
Polizeistrafsetzung nicht sein, da sie ja nicht immer zur Strafe führe, sondern nur
da, wo diese besonders angeordnet ist. Denn mit der ethischen Grundlage des ge-
meinen Strafrechts steht es nicht anders: auch unter den „Güterbeschädigungen“
sind die strafbaren durch besonderen Entschluſs der Staatsgewalt erst heraus-
gesucht; Binding, Normen I S. 205. — Unser Begriff der Polizeiwidrigkeit wird in
der Strafrechtswissenschaft durch mancherlei Redewendungen ersetzt: Haelschner,
Stf.R. I S. 318; Binding, Normen I S. 407; Rotering, Fahrlässigkeit und Un-
fallsgefahr S. 94 ff.; Oppenhoff, Stf.G.B. zu § 59 n. 9. Mit der Einteilung in
Erfolgs- und Gefährdungsdelikte, Rechtsgüterverletzung und Rechtsgütergefährdung,
welche beim gemeinen Delikte gemacht wird, ist jedenfalls keine entsprechende
Abgrenzung zu erzielen, denn sie läſst sich auch innerhalb des Polizeidelikts
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[319/0339] § 22. Die Polizeistrafe. als beim gemeinen Delikt. Man hat das in verschiedener Weise zum Ausdruck zu bringen gesucht, als gröſsere Strenge des Polizeistraf- rechtssatzes, formale Natur des Polizeidelikts, objektiver Maſsstab u. dergl. Das Polizeidelikt steht aber in dieser Beziehung nicht allein. Es ist nur ein Glied in der groſsen Familie der Verwaltungs- delikte, die überall ähnliche Erscheinungen aufweisen. Finanz- delikte, strafbare Nichterfüllung von Dienstpflichten und Lasten, Nicht- benutzung öffentlicher Anstalten werden uns noch beschäftigen. Die jeweilige verwaltungsrechtliche Grundlage giebt ihnen durchweg ihre besondere Art. Beim Polizeidelikt ist es die polizeirechtliche 9. Die Polizeistrafe ist gesetzt auf eine Polizeiwidrigkeit, eine Störung der guten Ordnung des Gemeinwesens aus dem Einzeldasein. Das Gesetz greift die wichtig scheinenden Störungen heraus oder läſst sie herausgreifen durch die Behörden, um die Strafe daran zu knüpfen, unmittelbar oder durch Vermittlung des Ungehorsams gegen einen vorausgehenden Befehl. Störungen der guten Ordnung zu vermeiden, ist eine allgemeine Pflicht, die als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Die Verletzung dieser Pflicht ist die ethische Grundlage der Polizeistrafe 10. Die Verletzung der Pflicht ist nur strafbar, insofern 9 Die alte Grundeinteilung der Strafrechtslehre stellt Verbrechen und Polizeidelikte einander gegenüber. Polizei ist dabei im früheren umfassenden Sinn gebraucht, wonach z. B. auch die Verfolgung von Finanzdelikten als Finanz- polizei darin begriffen war. Die Strafrechtslehre wird sich der neueren Abgrenzung der Begriffe des öffentlichen Rechts anschlieſsen müssen; Verwaltungsdelikt ist die gebotene Bezeichnung. Sie pflegt heutzutage zu unterscheiden: die Güterbeschädi- gung oder das Materialvergehen und den reinen Ungehorsam oder das For- malvergehen; Binding, Normen I S. 204; Merkel, Abhandl. I S. 98; v. Liszt, Stf.R. S. 102. Der letztere Begriff, der insbesondere auch das Polizeidelikt um- faſst, ist für sie wesentlich verneinend bestimmt, durch das Fehlen nämlich des stofflichen Hintergrundes, der das gemeine Delikt auszeichnet. Was aber für sie nicht sichtbar ist, das hat eben die Verwaltungsrechtslehre aufzuweisen: auch das sog. Formalvergehen hat seine materielle Grundlage. 10 Man darf nicht sagen: die Polizeiwidrigkeit könne die Grundlage der Polizeistrafsetzung nicht sein, da sie ja nicht immer zur Strafe führe, sondern nur da, wo diese besonders angeordnet ist. Denn mit der ethischen Grundlage des ge- meinen Strafrechts steht es nicht anders: auch unter den „Güterbeschädigungen“ sind die strafbaren durch besonderen Entschluſs der Staatsgewalt erst heraus- gesucht; Binding, Normen I S. 205. — Unser Begriff der Polizeiwidrigkeit wird in der Strafrechtswissenschaft durch mancherlei Redewendungen ersetzt: Haelschner, Stf.R. I S. 318; Binding, Normen I S. 407; Rotering, Fahrlässigkeit und Un- fallsgefahr S. 94 ff.; Oppenhoff, Stf.G.B. zu § 59 n. 9. Mit der Einteilung in Erfolgs- und Gefährdungsdelikte, Rechtsgüterverletzung und Rechtsgütergefährdung, welche beim gemeinen Delikte gemacht wird, ist jedenfalls keine entsprechende Abgrenzung zu erzielen, denn sie läſst sich auch innerhalb des Polizeidelikts

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/339>, abgerufen am 23.12.2024.