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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Polizeigewalt.

3. Die Mahnung haben wir oben (§ 20 S. 284) als eine
besondere Art polizeilicher Mitteilung kennen gelernt im Gegensatz
zum Befehl. Sie kann als Bedingung polizeilichen Einschreitens von
rechtlicher Bedeutung werden. Ihre Hauptrolle spielt sie in dieser
Beziehung bei der Polizeistrafe. Es liegt darin eine gewisse Rück-
sichtnahme auf den Schuldigen; die Möglichkeit wird vorausgesetzt,
dass er von seiner Pflicht keine hinreichend klare Vorstellung habe
und ihr nachkommen würde, sobald man sie durch unmittelbare An-
rede ihm zum Bewusstsein bringt. Wo die Polizeistrafe gesetzt ist
auf den Ungehorsam gegen einen Befehl, kann dieser in Gestalt des
Einzelbefehls, der Verfügung, dieser Rücksicht genügen. Wo aber
der Polizeistrafrechtssatz unmittelbar den Thatbestand bezeichnet, fehlt
ihm jenes bewegliche Element und die Rücksicht kann nur zum Aus-
druck kommen dadurch, dass er selbst seine Wirksamkeit an die
Bedingung einer vorausgehenden Mahnung knüpft.

Das Gesetz verlangt in diesem Fall, dass an den Schuldigen, be-
vor er strafbar wird, eine "Aufforderung", eine "Warnung" ergangen
sei, dass man ihn "aufmerksam gemacht", ihm "Anordnung" gegeben
habe. Die Mahnung kann bestehen in dem einfachen Hinweis darauf,
dass bei ihm der Thatbestand des Strafgesetzes vorliege; sie kann sich
auch verbinden mit genaueren Anweisungen und Belehrungen über
das, was er zu thun hat, damit dieser Thatbestand nicht zutreffe.

Die Mahnung hat hier eine gewisse Verwandtschaft mit der
soeben besprochenen zweiten Art von Erlaubnis. Sie ist kein Ver-
waltungsakt, bedarf keiner gesetzlichen Grundlage, geht nicht not-
wendig aus von einer Polizeibehörde, nicht einmal notwendig von einem
öffentlichen Beamten überhaupt. Der Rechtssatz kann zur Erfüllung

welchen die "Privatrechtsverletzung" aus polizeilichen Rücksichten bestraft wird.
Stf.G.B. § 368 Ziff. 8, 10 u. 11; Preuss. Feld- u. Forst-Pol.Ges. § 10; Bayr. Pol.-
Stf.G.B. Art. 93. Überall ist das "unbefugt" die Bedingung der Strafbarkeit, welche
durch "Erlaubnis" des Verfügungsberechtigten wegfällt. Es besteht hier eine ge-
wisse Verwandtschaft mit dem Strafausschliessungsgrund der "Einwilligung des
Verletzten". Aber falsch ist es, wenn die Strafrechtswissenschaft auch das Rechts-
institut der echten Polizeierlaubnis unter diesen Gesichtspunkt bringen will; so
H. Meyer, D.Stf.R. S. 317; Haelschner, D.Stf.R. I S. 470 Anm. 2; Binding,
Stf.R. I S. 708. Unsere echte Polizeierlaubnis ist eine teilweise Aufhebung des
Rechtssatzes, der verbietet oder Strafe droht, und wirkt formell. Die Einwilligung,
die wir hier daneben stellen und die man wohl auch Erlaubnis nennt, berührt den
Rechtssatz selbst gar nicht, verändert nur den Thatbestand derart, dass jener
nicht mehr zutrifft; wie weit sie dazu im stande ist, ist Frage des Einzelfalls; Be-
dingungen, Auflagen, Zurücknehmbarkeit unterliegt alles ganz anderer Beurteilung.
Die Polizeigewalt.

3. Die Mahnung haben wir oben (§ 20 S. 284) als eine
besondere Art polizeilicher Mitteilung kennen gelernt im Gegensatz
zum Befehl. Sie kann als Bedingung polizeilichen Einschreitens von
rechtlicher Bedeutung werden. Ihre Hauptrolle spielt sie in dieser
Beziehung bei der Polizeistrafe. Es liegt darin eine gewisse Rück-
sichtnahme auf den Schuldigen; die Möglichkeit wird vorausgesetzt,
daſs er von seiner Pflicht keine hinreichend klare Vorstellung habe
und ihr nachkommen würde, sobald man sie durch unmittelbare An-
rede ihm zum Bewuſstsein bringt. Wo die Polizeistrafe gesetzt ist
auf den Ungehorsam gegen einen Befehl, kann dieser in Gestalt des
Einzelbefehls, der Verfügung, dieser Rücksicht genügen. Wo aber
der Polizeistrafrechtssatz unmittelbar den Thatbestand bezeichnet, fehlt
ihm jenes bewegliche Element und die Rücksicht kann nur zum Aus-
druck kommen dadurch, daſs er selbst seine Wirksamkeit an die
Bedingung einer vorausgehenden Mahnung knüpft.

Das Gesetz verlangt in diesem Fall, daſs an den Schuldigen, be-
vor er strafbar wird, eine „Aufforderung“, eine „Warnung“ ergangen
sei, daſs man ihn „aufmerksam gemacht“, ihm „Anordnung“ gegeben
habe. Die Mahnung kann bestehen in dem einfachen Hinweis darauf,
daſs bei ihm der Thatbestand des Strafgesetzes vorliege; sie kann sich
auch verbinden mit genaueren Anweisungen und Belehrungen über
das, was er zu thun hat, damit dieser Thatbestand nicht zutreffe.

Die Mahnung hat hier eine gewisse Verwandtschaft mit der
soeben besprochenen zweiten Art von Erlaubnis. Sie ist kein Ver-
waltungsakt, bedarf keiner gesetzlichen Grundlage, geht nicht not-
wendig aus von einer Polizeibehörde, nicht einmal notwendig von einem
öffentlichen Beamten überhaupt. Der Rechtssatz kann zur Erfüllung

welchen die „Privatrechtsverletzung“ aus polizeilichen Rücksichten bestraft wird.
Stf.G.B. § 368 Ziff. 8, 10 u. 11; Preuſs. Feld- u. Forst-Pol.Ges. § 10; Bayr. Pol.-
Stf.G.B. Art. 93. Überall ist das „unbefugt“ die Bedingung der Strafbarkeit, welche
durch „Erlaubnis“ des Verfügungsberechtigten wegfällt. Es besteht hier eine ge-
wisse Verwandtschaft mit dem Strafausschlieſsungsgrund der „Einwilligung des
Verletzten“. Aber falsch ist es, wenn die Strafrechtswissenschaft auch das Rechts-
institut der echten Polizeierlaubnis unter diesen Gesichtspunkt bringen will; so
H. Meyer, D.Stf.R. S. 317; Haelschner, D.Stf.R. I S. 470 Anm. 2; Binding,
Stf.R. I S. 708. Unsere echte Polizeierlaubnis ist eine teilweise Aufhebung des
Rechtssatzes, der verbietet oder Strafe droht, und wirkt formell. Die Einwilligung,
die wir hier daneben stellen und die man wohl auch Erlaubnis nennt, berührt den
Rechtssatz selbst gar nicht, verändert nur den Thatbestand derart, daſs jener
nicht mehr zutrifft; wie weit sie dazu im stande ist, ist Frage des Einzelfalls; Be-
dingungen, Auflagen, Zurücknehmbarkeit unterliegt alles ganz anderer Beurteilung.
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[316/0336] Die Polizeigewalt. 3. Die Mahnung haben wir oben (§ 20 S. 284) als eine besondere Art polizeilicher Mitteilung kennen gelernt im Gegensatz zum Befehl. Sie kann als Bedingung polizeilichen Einschreitens von rechtlicher Bedeutung werden. Ihre Hauptrolle spielt sie in dieser Beziehung bei der Polizeistrafe. Es liegt darin eine gewisse Rück- sichtnahme auf den Schuldigen; die Möglichkeit wird vorausgesetzt, daſs er von seiner Pflicht keine hinreichend klare Vorstellung habe und ihr nachkommen würde, sobald man sie durch unmittelbare An- rede ihm zum Bewuſstsein bringt. Wo die Polizeistrafe gesetzt ist auf den Ungehorsam gegen einen Befehl, kann dieser in Gestalt des Einzelbefehls, der Verfügung, dieser Rücksicht genügen. Wo aber der Polizeistrafrechtssatz unmittelbar den Thatbestand bezeichnet, fehlt ihm jenes bewegliche Element und die Rücksicht kann nur zum Aus- druck kommen dadurch, daſs er selbst seine Wirksamkeit an die Bedingung einer vorausgehenden Mahnung knüpft. Das Gesetz verlangt in diesem Fall, daſs an den Schuldigen, be- vor er strafbar wird, eine „Aufforderung“, eine „Warnung“ ergangen sei, daſs man ihn „aufmerksam gemacht“, ihm „Anordnung“ gegeben habe. Die Mahnung kann bestehen in dem einfachen Hinweis darauf, daſs bei ihm der Thatbestand des Strafgesetzes vorliege; sie kann sich auch verbinden mit genaueren Anweisungen und Belehrungen über das, was er zu thun hat, damit dieser Thatbestand nicht zutreffe. Die Mahnung hat hier eine gewisse Verwandtschaft mit der soeben besprochenen zweiten Art von Erlaubnis. Sie ist kein Ver- waltungsakt, bedarf keiner gesetzlichen Grundlage, geht nicht not- wendig aus von einer Polizeibehörde, nicht einmal notwendig von einem öffentlichen Beamten überhaupt. Der Rechtssatz kann zur Erfüllung 6 6 welchen die „Privatrechtsverletzung“ aus polizeilichen Rücksichten bestraft wird. Stf.G.B. § 368 Ziff. 8, 10 u. 11; Preuſs. Feld- u. Forst-Pol.Ges. § 10; Bayr. Pol.- Stf.G.B. Art. 93. Überall ist das „unbefugt“ die Bedingung der Strafbarkeit, welche durch „Erlaubnis“ des Verfügungsberechtigten wegfällt. Es besteht hier eine ge- wisse Verwandtschaft mit dem Strafausschlieſsungsgrund der „Einwilligung des Verletzten“. Aber falsch ist es, wenn die Strafrechtswissenschaft auch das Rechts- institut der echten Polizeierlaubnis unter diesen Gesichtspunkt bringen will; so H. Meyer, D.Stf.R. S. 317; Haelschner, D.Stf.R. I S. 470 Anm. 2; Binding, Stf.R. I S. 708. Unsere echte Polizeierlaubnis ist eine teilweise Aufhebung des Rechtssatzes, der verbietet oder Strafe droht, und wirkt formell. Die Einwilligung, die wir hier daneben stellen und die man wohl auch Erlaubnis nennt, berührt den Rechtssatz selbst gar nicht, verändert nur den Thatbestand derart, daſs jener nicht mehr zutrifft; wie weit sie dazu im stande ist, ist Frage des Einzelfalls; Be- dingungen, Auflagen, Zurücknehmbarkeit unterliegt alles ganz anderer Beurteilung.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/336>, abgerufen am 23.12.2024.