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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 20. Der Polizeibefehl.

Immer bleibt einstweilen, bis ein solches Nachprüfungsrecht dazu
gelangt ist, seinen Einfluss zu üben, die Gültigkeitsbezeugung auch
für den ungültigen Polizeibefehl bestehen und ist so lange auch der
ungültige Polizeibefehl als rechtswirksam zu behandeln.

2. Die Kraft der Gehorsamspflicht, welche der Polizeibefehl er-
zeugt, äussert sich in den Folgen, welche der Ungehorsam recht-
mässig nach sich zieht. Diese Folgen sind einesteils der Polizeizwang
zur Überwindung des Ungehorsams und Herstellung des befehls-
gemässen Zustandes, andererseits die Polizeistrafen, welche dem Un-
gehorsamen ein Übel zufügen, weil er nicht gehorcht hat.

Die Zumutung eines bestimmten Verhaltens, deren Missachtung
solche Rechtsfolgen nicht begründet, die also eine rechtlich wirksame
Gehorsamspflicht nicht erzeugt, ist kein Befehl, sondern nur der Schein
eines solchen18.

Nach zweierlei Richtung sind solche falsche Befehle hier
auszuscheiden.

Auf der einen Seite steht die Aufforderung, welche eine Behörde
an jemanden ergehen lässt, dies oder jenes zu thun, nach welcher im
Falle der Nichtbeachtung keinerlei Zwang oder Nachteil dem Auf-
geforderten zugefügt werden soll oder kann, die blosse Einladung19.
Es mag darauf gerechnet werden, dass der Angeredete aus gutem
Willen, aus Bürgertugend der Obrigkeit gefällig sei. Thatsächlich
reicht das ja auch vielfach aus und darum konnte das Gesetz in
minderwichtigen Fällen es der Behörde überlassen, sich auf solche
Weise mit den Einzelnen zu verständigen, anstatt Ermächtigung zur
Auferlegung von Zwangspflichten zu geben; oder die Behörde macht
freiwillig zunächst einmal einen Versuch in dieser gütlichen Weise,
bevor sie prüft, ob sie ernstere Mittel besitzt und anwenden soll, den
Zweck zu erreichen20.

18 Seydel, Bayr. St.R. III S. 613: "Wirklicher Befehl aber ist nur der,
hinter dem der Zwang steht." Der Zwang in diesem allgemeinen Sinne braucht
nicht notwendig Polizeistrafe zu sein. Deshalb ist es unrichtig, wenn man Polizei-
gesetz und Polizeistrafgesetz, Polizeiverordnung und Polizeistrafverordnung als voll-
kommen gleichbedeutend behandelt und insbesondere die Strafandrohung als wesent-
lich zum Begriff der Polizeiverordnung gehörig ansieht; G. Meyer, St.R. § 160;
Rosin, Pol.Verord. S. 38; derselbe in Wörterbuch II S. 279. Richtig Risch in
Dollmann, Bayr. Ges.Gebung III, III S. 147.
19 Risch in Dollmann, Bayr. Ges.Gebung III, III S. 162.
20 Die Hauptbeispiele geben polizeiliche Anfragen, Ersuchen um Auskunft,
auch um persönliches Erscheinen auf den Amtsstuben zu solchem Zweck. Etwas
sehr Merkwürdiges hat R.G. 30. Sept. 1880 in einem elsass-lothringischen Fall aus
diesem Verhältnis gemacht. Ein Rechtsanwalt hatte aus Anlass eines besonderen
§ 20. Der Polizeibefehl.

Immer bleibt einstweilen, bis ein solches Nachprüfungsrecht dazu
gelangt ist, seinen Einfluſs zu üben, die Gültigkeitsbezeugung auch
für den ungültigen Polizeibefehl bestehen und ist so lange auch der
ungültige Polizeibefehl als rechtswirksam zu behandeln.

2. Die Kraft der Gehorsamspflicht, welche der Polizeibefehl er-
zeugt, äuſsert sich in den Folgen, welche der Ungehorsam recht-
mäſsig nach sich zieht. Diese Folgen sind einesteils der Polizeizwang
zur Überwindung des Ungehorsams und Herstellung des befehls-
gemäſsen Zustandes, andererseits die Polizeistrafen, welche dem Un-
gehorsamen ein Übel zufügen, weil er nicht gehorcht hat.

Die Zumutung eines bestimmten Verhaltens, deren Miſsachtung
solche Rechtsfolgen nicht begründet, die also eine rechtlich wirksame
Gehorsamspflicht nicht erzeugt, ist kein Befehl, sondern nur der Schein
eines solchen18.

Nach zweierlei Richtung sind solche falsche Befehle hier
auszuscheiden.

Auf der einen Seite steht die Aufforderung, welche eine Behörde
an jemanden ergehen läſst, dies oder jenes zu thun, nach welcher im
Falle der Nichtbeachtung keinerlei Zwang oder Nachteil dem Auf-
geforderten zugefügt werden soll oder kann, die bloſse Einladung19.
Es mag darauf gerechnet werden, daſs der Angeredete aus gutem
Willen, aus Bürgertugend der Obrigkeit gefällig sei. Thatsächlich
reicht das ja auch vielfach aus und darum konnte das Gesetz in
minderwichtigen Fällen es der Behörde überlassen, sich auf solche
Weise mit den Einzelnen zu verständigen, anstatt Ermächtigung zur
Auferlegung von Zwangspflichten zu geben; oder die Behörde macht
freiwillig zunächst einmal einen Versuch in dieser gütlichen Weise,
bevor sie prüft, ob sie ernstere Mittel besitzt und anwenden soll, den
Zweck zu erreichen20.

18 Seydel, Bayr. St.R. III S. 613: „Wirklicher Befehl aber ist nur der,
hinter dem der Zwang steht.“ Der Zwang in diesem allgemeinen Sinne braucht
nicht notwendig Polizeistrafe zu sein. Deshalb ist es unrichtig, wenn man Polizei-
gesetz und Polizeistrafgesetz, Polizeiverordnung und Polizeistrafverordnung als voll-
kommen gleichbedeutend behandelt und insbesondere die Strafandrohung als wesent-
lich zum Begriff der Polizeiverordnung gehörig ansieht; G. Meyer, St.R. § 160;
Rosin, Pol.Verord. S. 38; derselbe in Wörterbuch II S. 279. Richtig Risch in
Dollmann, Bayr. Ges.Gebung III, III S. 147.
19 Risch in Dollmann, Bayr. Ges.Gebung III, III S. 162.
20 Die Hauptbeispiele geben polizeiliche Anfragen, Ersuchen um Auskunft,
auch um persönliches Erscheinen auf den Amtsstuben zu solchem Zweck. Etwas
sehr Merkwürdiges hat R.G. 30. Sept. 1880 in einem elsaſs-lothringischen Fall aus
diesem Verhältnis gemacht. Ein Rechtsanwalt hatte aus Anlaſs eines besonderen
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[283/0303] § 20. Der Polizeibefehl. Immer bleibt einstweilen, bis ein solches Nachprüfungsrecht dazu gelangt ist, seinen Einfluſs zu üben, die Gültigkeitsbezeugung auch für den ungültigen Polizeibefehl bestehen und ist so lange auch der ungültige Polizeibefehl als rechtswirksam zu behandeln. 2. Die Kraft der Gehorsamspflicht, welche der Polizeibefehl er- zeugt, äuſsert sich in den Folgen, welche der Ungehorsam recht- mäſsig nach sich zieht. Diese Folgen sind einesteils der Polizeizwang zur Überwindung des Ungehorsams und Herstellung des befehls- gemäſsen Zustandes, andererseits die Polizeistrafen, welche dem Un- gehorsamen ein Übel zufügen, weil er nicht gehorcht hat. Die Zumutung eines bestimmten Verhaltens, deren Miſsachtung solche Rechtsfolgen nicht begründet, die also eine rechtlich wirksame Gehorsamspflicht nicht erzeugt, ist kein Befehl, sondern nur der Schein eines solchen 18. Nach zweierlei Richtung sind solche falsche Befehle hier auszuscheiden. Auf der einen Seite steht die Aufforderung, welche eine Behörde an jemanden ergehen läſst, dies oder jenes zu thun, nach welcher im Falle der Nichtbeachtung keinerlei Zwang oder Nachteil dem Auf- geforderten zugefügt werden soll oder kann, die bloſse Einladung 19. Es mag darauf gerechnet werden, daſs der Angeredete aus gutem Willen, aus Bürgertugend der Obrigkeit gefällig sei. Thatsächlich reicht das ja auch vielfach aus und darum konnte das Gesetz in minderwichtigen Fällen es der Behörde überlassen, sich auf solche Weise mit den Einzelnen zu verständigen, anstatt Ermächtigung zur Auferlegung von Zwangspflichten zu geben; oder die Behörde macht freiwillig zunächst einmal einen Versuch in dieser gütlichen Weise, bevor sie prüft, ob sie ernstere Mittel besitzt und anwenden soll, den Zweck zu erreichen 20. 18 Seydel, Bayr. St.R. III S. 613: „Wirklicher Befehl aber ist nur der, hinter dem der Zwang steht.“ Der Zwang in diesem allgemeinen Sinne braucht nicht notwendig Polizeistrafe zu sein. Deshalb ist es unrichtig, wenn man Polizei- gesetz und Polizeistrafgesetz, Polizeiverordnung und Polizeistrafverordnung als voll- kommen gleichbedeutend behandelt und insbesondere die Strafandrohung als wesent- lich zum Begriff der Polizeiverordnung gehörig ansieht; G. Meyer, St.R. § 160; Rosin, Pol.Verord. S. 38; derselbe in Wörterbuch II S. 279. Richtig Risch in Dollmann, Bayr. Ges.Gebung III, III S. 147. 19 Risch in Dollmann, Bayr. Ges.Gebung III, III S. 162. 20 Die Hauptbeispiele geben polizeiliche Anfragen, Ersuchen um Auskunft, auch um persönliches Erscheinen auf den Amtsstuben zu solchem Zweck. Etwas sehr Merkwürdiges hat R.G. 30. Sept. 1880 in einem elsaſs-lothringischen Fall aus diesem Verhältnis gemacht. Ein Rechtsanwalt hatte aus Anlaſs eines besonderen

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/303>, abgerufen am 22.11.2024.