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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Polizeigewalt.
dem die Störung ausgeht, eine Vorrichtung anzubefehlen, welche ein-
fach und ohne viel Umstände der Störung abhülfe. Oder man ver-
böte dem Einen ein an sich berechtigtes, nicht aber notwendiges
Verhalten, weil es dem Anderen starken Anlass zu Störungen giebt.
Die "praktischen" Behörden neigen begreiflicherweise dazu; es sieht
so menschlich und vernünftig aus.

Aber das war die alte Polizei mit der edel gedachten Pflicht
eines Jeden, "zur Vervollkommnung des Nächsten beizutragen."

Unsere Polizei, die Polizei im Rechtsstaate, hat eine solche all-
gemeine Pflicht nur in ganz beschränktem Masse aufrechterhalten;
ihre Massregeln können nur denjenigen treffen, der verantwortlich ist
für die Störung, von dem sie ausgeht.

Es ist auch jetzt nicht ausgeschlossen, dass der Einzelne in An-
spruch genommen werde durch Eingriffe in seine Freiheit und sein
Eigentum oder gar durch Heranziehung zu besonderen Leistungen
und Thätigkeiten behufs Beseitigung der Störung, welche von einem
Anderen bereitet ist oder droht. Aber das ist in den grossen poli-
zeilichen Ermächtigungen nicht enthalten, es bedarf dazu besonderer
gesetzlicher Grundlagen und es entstehen dann eigene, nicht polizei-
liche Rechtsinstitute von Servituten, Lasten und Auflagen, welche
ihrer juristischen Natur nach einem anderen Kapitel angehören10.

10 O.V.G. 8. April 1885: Die Polizeibehörde verlangt von einem Eigentümer
die Beseitigung eines Hindernisses der Zugänglichkeit eines Teiches, der bei etwaiger
Feuersnot im Ort benutzt werden soll. Das Gericht missbilligt: "der Polizei sind
... Privatrechten gegenüber gewisse Schranken auferlegt. Voraussetzung ihrer
Eingriffe ist nämlich, dass die mögliche Gefahr von dem durch ihre Eingriffe be-
troffenen Dritten beziehungsweise dessen Besitz selbst ausgehe, oder dieselben
müssen fussen auf einer positiven gesetzlichen Norm". Letzteren Falls wird aber
die Sache, wie wir sagten, in eine andere Rechtsform als die der Polizei übergehen.
-- O.V.G. 11. Okt. 1884 (Samml. XI S. 382): In einer Privatwohnung hält eine
Sekte Erbauungsstunden ab. Die Polizei verlangt, dass die Thüren und Fenster ge-
schlossen werden, damit die Passanten kein Ärgernis nehmen und die Versammlung
nicht durch sie gestört werde. Das Gericht ist der richtigen Ansicht: "wenn dritte
Personen bei einer erlaubten Versammlung die öffentliche Ordnung stören, so hat
sich die polizeiliche Massregel nicht gegen die Versammlung zu richten, sondern
auf die Entfernung der Störenden". -- Die scheinbar widersprechende Entscheidung
C.C.H. 14. April 1860 (J.M.Bl. 1861 S. 136) erklärt sich aus einer öffentlichrecht-
lichen Eigentumsbeschränkung, die allerdings Verschiebungen der polizeilichen Pflicht
bewirken kann; davon später. Aber noch ganz auf dem Standpunkte der alten
Polizei bewegt sich der Fall, welchen C.C.H. 12. Nov. 1881 (M.Bl. d. I. 1882 S. 5) be-
handelt: Der Landrat befiehlt einem Eigentümer, sein Spülwasser statt auf die
Strasse in eine neben derselben befindliche Rinne zu schütten. Der Eigentümer
der Rinne klagt gegen den Nachbar, der dieses Gebot befolgt, auf Unterlassung.

Die Polizeigewalt.
dem die Störung ausgeht, eine Vorrichtung anzubefehlen, welche ein-
fach und ohne viel Umstände der Störung abhülfe. Oder man ver-
böte dem Einen ein an sich berechtigtes, nicht aber notwendiges
Verhalten, weil es dem Anderen starken Anlaſs zu Störungen giebt.
Die „praktischen“ Behörden neigen begreiflicherweise dazu; es sieht
so menschlich und vernünftig aus.

Aber das war die alte Polizei mit der edel gedachten Pflicht
eines Jeden, „zur Vervollkommnung des Nächsten beizutragen.“

Unsere Polizei, die Polizei im Rechtsstaate, hat eine solche all-
gemeine Pflicht nur in ganz beschränktem Maſse aufrechterhalten;
ihre Maſsregeln können nur denjenigen treffen, der verantwortlich ist
für die Störung, von dem sie ausgeht.

Es ist auch jetzt nicht ausgeschlossen, daſs der Einzelne in An-
spruch genommen werde durch Eingriffe in seine Freiheit und sein
Eigentum oder gar durch Heranziehung zu besonderen Leistungen
und Thätigkeiten behufs Beseitigung der Störung, welche von einem
Anderen bereitet ist oder droht. Aber das ist in den groſsen poli-
zeilichen Ermächtigungen nicht enthalten, es bedarf dazu besonderer
gesetzlicher Grundlagen und es entstehen dann eigene, nicht polizei-
liche Rechtsinstitute von Servituten, Lasten und Auflagen, welche
ihrer juristischen Natur nach einem anderen Kapitel angehören10.

10 O.V.G. 8. April 1885: Die Polizeibehörde verlangt von einem Eigentümer
die Beseitigung eines Hindernisses der Zugänglichkeit eines Teiches, der bei etwaiger
Feuersnot im Ort benutzt werden soll. Das Gericht miſsbilligt: „der Polizei sind
… Privatrechten gegenüber gewisse Schranken auferlegt. Voraussetzung ihrer
Eingriffe ist nämlich, daſs die mögliche Gefahr von dem durch ihre Eingriffe be-
troffenen Dritten beziehungsweise dessen Besitz selbst ausgehe, oder dieselben
müssen fuſsen auf einer positiven gesetzlichen Norm“. Letzteren Falls wird aber
die Sache, wie wir sagten, in eine andere Rechtsform als die der Polizei übergehen.
— O.V.G. 11. Okt. 1884 (Samml. XI S. 382): In einer Privatwohnung hält eine
Sekte Erbauungsstunden ab. Die Polizei verlangt, daſs die Thüren und Fenster ge-
schlossen werden, damit die Passanten kein Ärgernis nehmen und die Versammlung
nicht durch sie gestört werde. Das Gericht ist der richtigen Ansicht: „wenn dritte
Personen bei einer erlaubten Versammlung die öffentliche Ordnung stören, so hat
sich die polizeiliche Maſsregel nicht gegen die Versammlung zu richten, sondern
auf die Entfernung der Störenden“. — Die scheinbar widersprechende Entscheidung
C.C.H. 14. April 1860 (J.M.Bl. 1861 S. 136) erklärt sich aus einer öffentlichrecht-
lichen Eigentumsbeschränkung, die allerdings Verschiebungen der polizeilichen Pflicht
bewirken kann; davon später. Aber noch ganz auf dem Standpunkte der alten
Polizei bewegt sich der Fall, welchen C.C.H. 12. Nov. 1881 (M.Bl. d. I. 1882 S. 5) be-
handelt: Der Landrat befiehlt einem Eigentümer, sein Spülwasser statt auf die
Straſse in eine neben derselben befindliche Rinne zu schütten. Der Eigentümer
der Rinne klagt gegen den Nachbar, der dieses Gebot befolgt, auf Unterlassung.
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[266/0286] Die Polizeigewalt. dem die Störung ausgeht, eine Vorrichtung anzubefehlen, welche ein- fach und ohne viel Umstände der Störung abhülfe. Oder man ver- böte dem Einen ein an sich berechtigtes, nicht aber notwendiges Verhalten, weil es dem Anderen starken Anlaſs zu Störungen giebt. Die „praktischen“ Behörden neigen begreiflicherweise dazu; es sieht so menschlich und vernünftig aus. Aber das war die alte Polizei mit der edel gedachten Pflicht eines Jeden, „zur Vervollkommnung des Nächsten beizutragen.“ Unsere Polizei, die Polizei im Rechtsstaate, hat eine solche all- gemeine Pflicht nur in ganz beschränktem Maſse aufrechterhalten; ihre Maſsregeln können nur denjenigen treffen, der verantwortlich ist für die Störung, von dem sie ausgeht. Es ist auch jetzt nicht ausgeschlossen, daſs der Einzelne in An- spruch genommen werde durch Eingriffe in seine Freiheit und sein Eigentum oder gar durch Heranziehung zu besonderen Leistungen und Thätigkeiten behufs Beseitigung der Störung, welche von einem Anderen bereitet ist oder droht. Aber das ist in den groſsen poli- zeilichen Ermächtigungen nicht enthalten, es bedarf dazu besonderer gesetzlicher Grundlagen und es entstehen dann eigene, nicht polizei- liche Rechtsinstitute von Servituten, Lasten und Auflagen, welche ihrer juristischen Natur nach einem anderen Kapitel angehören 10. 10 O.V.G. 8. April 1885: Die Polizeibehörde verlangt von einem Eigentümer die Beseitigung eines Hindernisses der Zugänglichkeit eines Teiches, der bei etwaiger Feuersnot im Ort benutzt werden soll. Das Gericht miſsbilligt: „der Polizei sind … Privatrechten gegenüber gewisse Schranken auferlegt. Voraussetzung ihrer Eingriffe ist nämlich, daſs die mögliche Gefahr von dem durch ihre Eingriffe be- troffenen Dritten beziehungsweise dessen Besitz selbst ausgehe, oder dieselben müssen fuſsen auf einer positiven gesetzlichen Norm“. Letzteren Falls wird aber die Sache, wie wir sagten, in eine andere Rechtsform als die der Polizei übergehen. — O.V.G. 11. Okt. 1884 (Samml. XI S. 382): In einer Privatwohnung hält eine Sekte Erbauungsstunden ab. Die Polizei verlangt, daſs die Thüren und Fenster ge- schlossen werden, damit die Passanten kein Ärgernis nehmen und die Versammlung nicht durch sie gestört werde. Das Gericht ist der richtigen Ansicht: „wenn dritte Personen bei einer erlaubten Versammlung die öffentliche Ordnung stören, so hat sich die polizeiliche Maſsregel nicht gegen die Versammlung zu richten, sondern auf die Entfernung der Störenden“. — Die scheinbar widersprechende Entscheidung C.C.H. 14. April 1860 (J.M.Bl. 1861 S. 136) erklärt sich aus einer öffentlichrecht- lichen Eigentumsbeschränkung, die allerdings Verschiebungen der polizeilichen Pflicht bewirken kann; davon später. Aber noch ganz auf dem Standpunkte der alten Polizei bewegt sich der Fall, welchen C.C.H. 12. Nov. 1881 (M.Bl. d. I. 1882 S. 5) be- handelt: Der Landrat befiehlt einem Eigentümer, sein Spülwasser statt auf die Straſse in eine neben derselben befindliche Rinne zu schütten. Der Eigentümer der Rinne klagt gegen den Nachbar, der dieses Gebot befolgt, auf Unterlassung.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/286>, abgerufen am 28.11.2024.