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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 19. Grenzen der Polizeigewalt.

Insofern der Einzelne verpflichtet ist, das zu vermeiden, ist die
Störung bestimmt, von der Polizeigewalt bekämpft zu werden als
Polizeiwidrigkeit.

Nicht jede Lebensäusserung, welche eine derartige störende Wir-
kung hat, ist aber deshalb auch schon Polizeiwidrigkeit; der Umfang
des als solche zu Behandelnden bestimmt sich nach dem Massstabe
der allgemeinen polizeilichen Unterthanenpflicht, auf welcher alles be-
ruht, genauer wie folgt.

1. Das Einzeldasein stellt zugleich einen Wert vor für die Ge-
sellschaft; die Schädigungen, die es sich selbst bereitet, gereichen der
Gesellschaft zum Nachteil. Allein es gilt der Grundsatz, dass es in
erster Linie sich selbst gehört; was nicht über seinen Kreis hinaus-
reicht, gilt nicht als gesellschaftliche Schädigung, deren Unterlassung
Pflicht ist. Dadurch bildet sich der Begriff des Privatlebens als
desjenigen Gebietes des Einzeldaseins, welches der Polizei unzugäng-
lich ist, weil es die Gesellschaft nichts angeht.

Wie weit diese Freiheit des Privatlebens reicht, das ist vielfach
durch die Sitte und Gewöhnung bestimmt, ohne dass man deshalb
von Gewohnheitsrecht reden dürfte.

Zum grossen Teil fällt der Umfang des Privatlebens mit dem der
Privatwohnung zusammen. Das Meiste, was im geschlossenen
Hause geschieht, ist ungeeignet, darüber hinaus auf die Zustände des
Gemeinwesens zu wirken. Daher der scharfe Unterschied in der Be-
handlung der nämlichen Dinge je nach der Örtlichkeit. Die
lebensgefährlichsten Einrichtungen: unbefestigte Schränke, einsturz-
drohende Decken, grünspahnaltige Gefässe werden in der Privat-
wohnung geduldet; der Blumentopf am Fenster, das Gefäss im Ver-
kaufsladen sind der Polizei unterworfen.

Aber auch das Innere des Hauses fällt mit seinen Einrichtungen
unter den Einfluss der Polizei, soweit es einer Art Verkehr fremder
Personen zugänglich ist.

Noch mehr ist das der Fall bei allen denjenigen Seiten des häus-
lichen Lebens, welche ihrerseits geeignet sind, nach aussen zu wirken:
Feuerpolizei, Gesundheitspolizei, Sittenpolizei greifen da mannigfach
hinein.

Das Privatleben hat also wohl seinen Mittelpunkt in der Privat-
wohnung, aber seine Grenze ist in der einen Beziehung enger, in der
anderen weiter, je nach der Empfindlichkeit des Gemeinwesens dafür.
Die polizeiliche Massregel, welche in den zuletzt erwähnten Richtungen
selbstverständlich ist, muss in anderen Fällen besondere Umstände
aufweisen, weshalb das an sich Ungehörige, das im Hause vorliegt,

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§ 19. Grenzen der Polizeigewalt.

Insofern der Einzelne verpflichtet ist, das zu vermeiden, ist die
Störung bestimmt, von der Polizeigewalt bekämpft zu werden als
Polizeiwidrigkeit.

Nicht jede Lebensäuſserung, welche eine derartige störende Wir-
kung hat, ist aber deshalb auch schon Polizeiwidrigkeit; der Umfang
des als solche zu Behandelnden bestimmt sich nach dem Maſsstabe
der allgemeinen polizeilichen Unterthanenpflicht, auf welcher alles be-
ruht, genauer wie folgt.

1. Das Einzeldasein stellt zugleich einen Wert vor für die Ge-
sellschaft; die Schädigungen, die es sich selbst bereitet, gereichen der
Gesellschaft zum Nachteil. Allein es gilt der Grundsatz, daſs es in
erster Linie sich selbst gehört; was nicht über seinen Kreis hinaus-
reicht, gilt nicht als gesellschaftliche Schädigung, deren Unterlassung
Pflicht ist. Dadurch bildet sich der Begriff des Privatlebens als
desjenigen Gebietes des Einzeldaseins, welches der Polizei unzugäng-
lich ist, weil es die Gesellschaft nichts angeht.

Wie weit diese Freiheit des Privatlebens reicht, das ist vielfach
durch die Sitte und Gewöhnung bestimmt, ohne daſs man deshalb
von Gewohnheitsrecht reden dürfte.

Zum groſsen Teil fällt der Umfang des Privatlebens mit dem der
Privatwohnung zusammen. Das Meiste, was im geschlossenen
Hause geschieht, ist ungeeignet, darüber hinaus auf die Zustände des
Gemeinwesens zu wirken. Daher der scharfe Unterschied in der Be-
handlung der nämlichen Dinge je nach der Örtlichkeit. Die
lebensgefährlichsten Einrichtungen: unbefestigte Schränke, einsturz-
drohende Decken, grünspahnaltige Gefäſse werden in der Privat-
wohnung geduldet; der Blumentopf am Fenster, das Gefäſs im Ver-
kaufsladen sind der Polizei unterworfen.

Aber auch das Innere des Hauses fällt mit seinen Einrichtungen
unter den Einfluſs der Polizei, soweit es einer Art Verkehr fremder
Personen zugänglich ist.

Noch mehr ist das der Fall bei allen denjenigen Seiten des häus-
lichen Lebens, welche ihrerseits geeignet sind, nach auſsen zu wirken:
Feuerpolizei, Gesundheitspolizei, Sittenpolizei greifen da mannigfach
hinein.

Das Privatleben hat also wohl seinen Mittelpunkt in der Privat-
wohnung, aber seine Grenze ist in der einen Beziehung enger, in der
anderen weiter, je nach der Empfindlichkeit des Gemeinwesens dafür.
Die polizeiliche Maſsregel, welche in den zuletzt erwähnten Richtungen
selbstverständlich ist, muſs in anderen Fällen besondere Umstände
aufweisen, weshalb das an sich Ungehörige, das im Hause vorliegt,

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[259/0279] § 19. Grenzen der Polizeigewalt. Insofern der Einzelne verpflichtet ist, das zu vermeiden, ist die Störung bestimmt, von der Polizeigewalt bekämpft zu werden als Polizeiwidrigkeit. Nicht jede Lebensäuſserung, welche eine derartige störende Wir- kung hat, ist aber deshalb auch schon Polizeiwidrigkeit; der Umfang des als solche zu Behandelnden bestimmt sich nach dem Maſsstabe der allgemeinen polizeilichen Unterthanenpflicht, auf welcher alles be- ruht, genauer wie folgt. 1. Das Einzeldasein stellt zugleich einen Wert vor für die Ge- sellschaft; die Schädigungen, die es sich selbst bereitet, gereichen der Gesellschaft zum Nachteil. Allein es gilt der Grundsatz, daſs es in erster Linie sich selbst gehört; was nicht über seinen Kreis hinaus- reicht, gilt nicht als gesellschaftliche Schädigung, deren Unterlassung Pflicht ist. Dadurch bildet sich der Begriff des Privatlebens als desjenigen Gebietes des Einzeldaseins, welches der Polizei unzugäng- lich ist, weil es die Gesellschaft nichts angeht. Wie weit diese Freiheit des Privatlebens reicht, das ist vielfach durch die Sitte und Gewöhnung bestimmt, ohne daſs man deshalb von Gewohnheitsrecht reden dürfte. Zum groſsen Teil fällt der Umfang des Privatlebens mit dem der Privatwohnung zusammen. Das Meiste, was im geschlossenen Hause geschieht, ist ungeeignet, darüber hinaus auf die Zustände des Gemeinwesens zu wirken. Daher der scharfe Unterschied in der Be- handlung der nämlichen Dinge je nach der Örtlichkeit. Die lebensgefährlichsten Einrichtungen: unbefestigte Schränke, einsturz- drohende Decken, grünspahnaltige Gefäſse werden in der Privat- wohnung geduldet; der Blumentopf am Fenster, das Gefäſs im Ver- kaufsladen sind der Polizei unterworfen. Aber auch das Innere des Hauses fällt mit seinen Einrichtungen unter den Einfluſs der Polizei, soweit es einer Art Verkehr fremder Personen zugänglich ist. Noch mehr ist das der Fall bei allen denjenigen Seiten des häus- lichen Lebens, welche ihrerseits geeignet sind, nach auſsen zu wirken: Feuerpolizei, Gesundheitspolizei, Sittenpolizei greifen da mannigfach hinein. Das Privatleben hat also wohl seinen Mittelpunkt in der Privat- wohnung, aber seine Grenze ist in der einen Beziehung enger, in der anderen weiter, je nach der Empfindlichkeit des Gemeinwesens dafür. Die polizeiliche Maſsregel, welche in den zuletzt erwähnten Richtungen selbstverständlich ist, muſs in anderen Fällen besondere Umstände aufweisen, weshalb das an sich Ungehörige, das im Hause vorliegt, 17*

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/279>, abgerufen am 27.11.2024.