Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.§ 18. Begriff der Polizei. machung der bereits bestehenden Pflicht ist kein vorbehaltener Eingriff;einer gesetzlichen Grundlage bedarf es nur, wenn dieser Pflicht neue rechtliche Formen gegeben oder besondere Zwangsmittel und selb- ständige Nachteile mit der Verletzung verbunden werden sollen19. Das wird alles bei der Darstellung der einzelnen Rechtsinstitute 19 Darüber namentlich in der Lehre vom unmittelbaren Zwang unten § 24. -- Ein besonderer Fall in Württemb. Arch. f. R. 22 S. 294: ein Polizeibeamter ist zur Beaufsichtigung einer Parteiversammlung abgeordnet worden; die Be- schwerde dagegen wird vom Württemb. V.G.H. unterm 2. Okt. 1880 verworfen; Württemberg hat zwar kein besonderes Versammlungsgesetz, aber das Aufsichts- recht des Staates folgt aus "der allgemeinen Theorie". -- Bezeichnend ist, dass heutzutage noch Streit darüber möglich, ob polizeiliche Gebote oder Verbote über- haupt einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. G. Meyer, St.R. § 178; derselbe, V.R. I S. 78; Zorn in Annalen 1885 u. a. wollen dafür gelten lassen die "all- gemeine Rechtsstellung der Polizei", "öffentliches Gewohnheitsrecht" oder gar "politische" Rücksichten. Dabei schwebt offenbar die voraus bestehende polizei- liche Unterthanenpflicht vor, allein wenn auch diese Pflicht als rechtlich wirksam besteht, so sind deshalb doch noch nicht alle Mittel zu ihrer Geltendmachung selbstverständlich; vielmehr wird da ihrer Art nach genauer zu unterscheiden sein; selbstverständlich sind insbesondere nicht Gebote und Verbote; vgl. unten § 20 Note 2. 20 Namentlich wird immer wieder versucht, das eine oder andere Stück alter
Wohlfahrtspolizei in den Rahmen der neuen Begriffsbestimmung zu pressen. Die rechtliche Natur der Polizei wird z. B. ganz richtig bezeichnet als "Be- schränkung der individuellen Freiheit" (Laband, St.R. II S. 22; Seydel in § 18. Begriff der Polizei. machung der bereits bestehenden Pflicht ist kein vorbehaltener Eingriff;einer gesetzlichen Grundlage bedarf es nur, wenn dieser Pflicht neue rechtliche Formen gegeben oder besondere Zwangsmittel und selb- ständige Nachteile mit der Verletzung verbunden werden sollen19. Das wird alles bei der Darstellung der einzelnen Rechtsinstitute 19 Darüber namentlich in der Lehre vom unmittelbaren Zwang unten § 24. — Ein besonderer Fall in Württemb. Arch. f. R. 22 S. 294: ein Polizeibeamter ist zur Beaufsichtigung einer Parteiversammlung abgeordnet worden; die Be- schwerde dagegen wird vom Württemb. V.G.H. unterm 2. Okt. 1880 verworfen; Württemberg hat zwar kein besonderes Versammlungsgesetz, aber das Aufsichts- recht des Staates folgt aus „der allgemeinen Theorie“. — Bezeichnend ist, daſs heutzutage noch Streit darüber möglich, ob polizeiliche Gebote oder Verbote über- haupt einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. G. Meyer, St.R. § 178; derselbe, V.R. I S. 78; Zorn in Annalen 1885 u. a. wollen dafür gelten lassen die „all- gemeine Rechtsstellung der Polizei“, „öffentliches Gewohnheitsrecht“ oder gar „politische“ Rücksichten. Dabei schwebt offenbar die voraus bestehende polizei- liche Unterthanenpflicht vor, allein wenn auch diese Pflicht als rechtlich wirksam besteht, so sind deshalb doch noch nicht alle Mittel zu ihrer Geltendmachung selbstverständlich; vielmehr wird da ihrer Art nach genauer zu unterscheiden sein; selbstverständlich sind insbesondere nicht Gebote und Verbote; vgl. unten § 20 Note 2. 20 Namentlich wird immer wieder versucht, das eine oder andere Stück alter
Wohlfahrtspolizei in den Rahmen der neuen Begriffsbestimmung zu pressen. Die rechtliche Natur der Polizei wird z. B. ganz richtig bezeichnet als „Be- schränkung der individuellen Freiheit“ (Laband, St.R. II S. 22; Seydel in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0273" n="253"/><fw place="top" type="header">§ 18. Begriff der Polizei.</fw><lb/> machung der bereits bestehenden Pflicht ist kein vorbehaltener Eingriff;<lb/> einer gesetzlichen Grundlage bedarf es nur, wenn dieser Pflicht neue<lb/> rechtliche Formen gegeben oder besondere Zwangsmittel und selb-<lb/> ständige Nachteile mit der Verletzung verbunden werden sollen<note place="foot" n="19">Darüber namentlich in der Lehre vom unmittelbaren Zwang unten § 24.<lb/> — Ein besonderer Fall in Württemb. Arch. f. R. 22 S. 294: ein Polizeibeamter<lb/> ist zur Beaufsichtigung einer Parteiversammlung abgeordnet worden; die Be-<lb/> schwerde dagegen wird vom Württemb. V.G.H. unterm 2. Okt. 1880 verworfen;<lb/> Württemberg hat zwar kein besonderes Versammlungsgesetz, aber das Aufsichts-<lb/> recht des Staates folgt aus „der allgemeinen Theorie“. — Bezeichnend ist, daſs<lb/> heutzutage noch Streit darüber möglich, ob polizeiliche Gebote oder Verbote über-<lb/> haupt einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. G. <hi rendition="#g">Meyer,</hi> St.R. § 178; derselbe,<lb/> V.R. I S. 78; <hi rendition="#g">Zorn</hi> in Annalen 1885 u. a. wollen dafür gelten lassen die „all-<lb/> gemeine Rechtsstellung der Polizei“, „öffentliches Gewohnheitsrecht“ oder gar<lb/> „politische“ Rücksichten. Dabei schwebt offenbar die voraus bestehende polizei-<lb/> liche Unterthanenpflicht vor, allein wenn auch diese Pflicht als rechtlich wirksam<lb/> besteht, so sind deshalb doch noch nicht alle Mittel zu ihrer Geltendmachung<lb/> selbstverständlich; vielmehr wird da ihrer Art nach genauer zu unterscheiden sein;<lb/> selbstverständlich sind insbesondere nicht Gebote und Verbote; vgl. unten § 20<lb/> Note 2.</note>.</p><lb/> <p>Das wird alles bei der Darstellung der einzelnen Rechtsinstitute<lb/> der Polizeigewalt in seiner ganzen Wichtigkeit hervortreten. Es<lb/> leuchtet aber ein, daſs die Rechtsidee der Polizei in der That einen<lb/> nie ganz zu verwindenden Widerspruch enthält mit dem strengen<lb/> Formalismus, in welchem der Rechtsstaat die Freiheit zu schützen<lb/> vermeint. Andererseits giebt diese Grundlage einer vorausgesetzten<lb/> Unterthanenpflicht, welche die Polizei nur geltend zu machen hat,<lb/> dem ganzen Begriff erst seine feste Abgrenzung. Alle Einrichtungen,<lb/> Anstalten und Vorkehrungen, welche der Aufrechterhaltung guter<lb/> Ordnung und der Abwehr von Störungen dienen mögen, sind von<lb/> selbst ausgeschlossen, sofern es sich dabei eben nicht um Geltend-<lb/> machung der groſsen polizeilichen Pflicht handelt. Ausgeschlossen ist<lb/> andererseits auch der Gedanke, die Polizei zu der allgemeinen Zwangs-<lb/> anstalt der Verwaltung oder eines Zweiges davon zu machen: auch<lb/> der Zwang ist nur Polizei, sofern er der Geltendmachung jener all-<lb/> gemeinen Nichtstörungspflicht dient. Vor diesem einfachen Abgrenzungs-<lb/> merkmal werden aber auch alle künstlichen Drehungen und Wendungen<lb/> nicht mehr standhalten, mit welchen man etwa jetzt noch ältere An-<lb/> schauungen dem neuen Begriff anzupassen sucht<note xml:id="seg2pn_56_1" next="#seg2pn_56_2" place="foot" n="20">Namentlich wird immer wieder versucht, das eine oder andere Stück alter<lb/> Wohlfahrtspolizei in den Rahmen der neuen Begriffsbestimmung zu pressen.<lb/> Die rechtliche Natur der Polizei wird z. B. ganz richtig bezeichnet als „Be-<lb/> schränkung der individuellen Freiheit“ (<hi rendition="#g">Laband,</hi> St.R. II S. 22; <hi rendition="#g">Seydel</hi> in</note>.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [253/0273]
§ 18. Begriff der Polizei.
machung der bereits bestehenden Pflicht ist kein vorbehaltener Eingriff;
einer gesetzlichen Grundlage bedarf es nur, wenn dieser Pflicht neue
rechtliche Formen gegeben oder besondere Zwangsmittel und selb-
ständige Nachteile mit der Verletzung verbunden werden sollen 19.
Das wird alles bei der Darstellung der einzelnen Rechtsinstitute
der Polizeigewalt in seiner ganzen Wichtigkeit hervortreten. Es
leuchtet aber ein, daſs die Rechtsidee der Polizei in der That einen
nie ganz zu verwindenden Widerspruch enthält mit dem strengen
Formalismus, in welchem der Rechtsstaat die Freiheit zu schützen
vermeint. Andererseits giebt diese Grundlage einer vorausgesetzten
Unterthanenpflicht, welche die Polizei nur geltend zu machen hat,
dem ganzen Begriff erst seine feste Abgrenzung. Alle Einrichtungen,
Anstalten und Vorkehrungen, welche der Aufrechterhaltung guter
Ordnung und der Abwehr von Störungen dienen mögen, sind von
selbst ausgeschlossen, sofern es sich dabei eben nicht um Geltend-
machung der groſsen polizeilichen Pflicht handelt. Ausgeschlossen ist
andererseits auch der Gedanke, die Polizei zu der allgemeinen Zwangs-
anstalt der Verwaltung oder eines Zweiges davon zu machen: auch
der Zwang ist nur Polizei, sofern er der Geltendmachung jener all-
gemeinen Nichtstörungspflicht dient. Vor diesem einfachen Abgrenzungs-
merkmal werden aber auch alle künstlichen Drehungen und Wendungen
nicht mehr standhalten, mit welchen man etwa jetzt noch ältere An-
schauungen dem neuen Begriff anzupassen sucht 20.
19 Darüber namentlich in der Lehre vom unmittelbaren Zwang unten § 24.
— Ein besonderer Fall in Württemb. Arch. f. R. 22 S. 294: ein Polizeibeamter
ist zur Beaufsichtigung einer Parteiversammlung abgeordnet worden; die Be-
schwerde dagegen wird vom Württemb. V.G.H. unterm 2. Okt. 1880 verworfen;
Württemberg hat zwar kein besonderes Versammlungsgesetz, aber das Aufsichts-
recht des Staates folgt aus „der allgemeinen Theorie“. — Bezeichnend ist, daſs
heutzutage noch Streit darüber möglich, ob polizeiliche Gebote oder Verbote über-
haupt einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. G. Meyer, St.R. § 178; derselbe,
V.R. I S. 78; Zorn in Annalen 1885 u. a. wollen dafür gelten lassen die „all-
gemeine Rechtsstellung der Polizei“, „öffentliches Gewohnheitsrecht“ oder gar
„politische“ Rücksichten. Dabei schwebt offenbar die voraus bestehende polizei-
liche Unterthanenpflicht vor, allein wenn auch diese Pflicht als rechtlich wirksam
besteht, so sind deshalb doch noch nicht alle Mittel zu ihrer Geltendmachung
selbstverständlich; vielmehr wird da ihrer Art nach genauer zu unterscheiden sein;
selbstverständlich sind insbesondere nicht Gebote und Verbote; vgl. unten § 20
Note 2.
20 Namentlich wird immer wieder versucht, das eine oder andere Stück alter
Wohlfahrtspolizei in den Rahmen der neuen Begriffsbestimmung zu pressen.
Die rechtliche Natur der Polizei wird z. B. ganz richtig bezeichnet als „Be-
schränkung der individuellen Freiheit“ (Laband, St.R. II S. 22; Seydel in
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