Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.§ 1. Der Begriff der Verwaltung. von Staatsgrundstücken u. dergl. Man nennt das um seiner Formwillen immer noch ein Gesetz. Zugleich aber erkennt man darin Ver- waltungsakte, Verwaltungsthätigkeit, Anteilnahme der Volksvertretung an der Verwaltung, also den Gegensatz zur Gesetzgebung. Denn diese setzt die Schaffung von Rechtssätzen voraus7. Das Wort Gesetz wird andererseits auch gebraucht, um jede Art 2. Justiz, Rechtspflege, Gerichtsbarkeit ist staatliche Thätigkeit 7 Laband, St.R. I S. 567; Jellinek, Ges. und Verord. S. 255 ff.; v. Sarwey, Allg. V.R. S. 24 ff.; G. Meyer, St.R. § 155. Man will sich freilich auf der anderen Seite einen Begriff der "Verwaltung im formellen Sinne" zurecht machen, zu welcher diese Dinge dann wieder nicht gehören. Wir werden uns darauf nicht weiter einlassen. Dass das Wort Gesetz in verschiedenem, in formellem und in materiellem Sinne, gebraucht wird, ist eine Thatsache; aber es ist deshalb doch ein Missstand. Wir halten es für kein Verdienst, wenn man den gleichen Missstand durch entsprechende Spaltung aller übrigen Begriffe zu verallgemeinern sucht. Seligmann, Beiträge S. 157, ist auf diesem Wege sogar bei einem Gewohnheitsrecht im formellen und im materiellen Sinne an- gelangt. Das sagt genug. 8 v. Sarwey, Allg. V.R. S. 30; v. Martitz in Ztschft. f. Stsw. 36 S. 258; G. Meyer, St.R. § 8: "Die Gesetzgebung als die höchste Funktion des Staates ist formell an keine Schranke gebunden". In Grünh. Ztschft. 8 S. 40 will G. Meyer allerdings nur die Polizeiverordnungen der Behörden zur Verwaltung rechnen, die Verordnungen des Staatsoberhauptes glaubt er "zweckmässiger" an die Gesetz- gebung als an die Verwaltung anzuschliessen. Die Kaiserl. Verord. zur Verhütung des Zusammenstossens von Schiffen, die er als Hauptbeispiel anführt, ist aber eine Polizeiverordnung wie eine andere. Es giebt allerdings Verord., die nicht zur Ver- waltung gehören, vgl. unten Note 13. 9 Nach Loening, V.R. S. 21 umfasst "die Rechtspflege oder Justiz in dem
historisch gegebenen Sinne" nur die Aufrechterhaltung des Privatrechts und Straf- rechts. Danach würde aber die Entscheidung des Civilgerichts über die Entschä- § 1. Der Begriff der Verwaltung. von Staatsgrundstücken u. dergl. Man nennt das um seiner Formwillen immer noch ein Gesetz. Zugleich aber erkennt man darin Ver- waltungsakte, Verwaltungsthätigkeit, Anteilnahme der Volksvertretung an der Verwaltung, also den Gegensatz zur Gesetzgebung. Denn diese setzt die Schaffung von Rechtssätzen voraus7. Das Wort Gesetz wird andererseits auch gebraucht, um jede Art 2. Justiz, Rechtspflege, Gerichtsbarkeit ist staatliche Thätigkeit 7 Laband, St.R. I S. 567; Jellinek, Ges. und Verord. S. 255 ff.; v. Sarwey, Allg. V.R. S. 24 ff.; G. Meyer, St.R. § 155. Man will sich freilich auf der anderen Seite einen Begriff der „Verwaltung im formellen Sinne“ zurecht machen, zu welcher diese Dinge dann wieder nicht gehören. Wir werden uns darauf nicht weiter einlassen. Daſs das Wort Gesetz in verschiedenem, in formellem und in materiellem Sinne, gebraucht wird, ist eine Thatsache; aber es ist deshalb doch ein Miſsstand. Wir halten es für kein Verdienst, wenn man den gleichen Miſsstand durch entsprechende Spaltung aller übrigen Begriffe zu verallgemeinern sucht. Seligmann, Beiträge S. 157, ist auf diesem Wege sogar bei einem Gewohnheitsrecht im formellen und im materiellen Sinne an- gelangt. Das sagt genug. 8 v. Sarwey, Allg. V.R. S. 30; v. Martitz in Ztschft. f. Stsw. 36 S. 258; G. Meyer, St.R. § 8: „Die Gesetzgebung als die höchste Funktion des Staates ist formell an keine Schranke gebunden“. In Grünh. Ztschft. 8 S. 40 will G. Meyer allerdings nur die Polizeiverordnungen der Behörden zur Verwaltung rechnen, die Verordnungen des Staatsoberhauptes glaubt er „zweckmäſsiger“ an die Gesetz- gebung als an die Verwaltung anzuschlieſsen. Die Kaiserl. Verord. zur Verhütung des Zusammenstoſsens von Schiffen, die er als Hauptbeispiel anführt, ist aber eine Polizeiverordnung wie eine andere. Es giebt allerdings Verord., die nicht zur Ver- waltung gehören, vgl. unten Note 13. 9 Nach Loening, V.R. S. 21 umfaſst „die Rechtspflege oder Justiz in dem
historisch gegebenen Sinne“ nur die Aufrechterhaltung des Privatrechts und Straf- rechts. Danach würde aber die Entscheidung des Civilgerichts über die Entschä- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0027" n="7"/><fw place="top" type="header">§ 1. Der Begriff der Verwaltung.</fw><lb/> von Staatsgrundstücken u. dergl. Man nennt das um seiner Form<lb/> willen immer noch ein Gesetz. Zugleich aber erkennt man darin Ver-<lb/> waltungsakte, Verwaltungsthätigkeit, Anteilnahme der Volksvertretung<lb/> an der Verwaltung, also den Gegensatz zur Gesetzgebung. Denn<lb/> diese setzt die Schaffung von Rechtssätzen voraus<note place="foot" n="7"><hi rendition="#g">Laband,</hi> St.R. I S. 567; <hi rendition="#g">Jellinek,</hi> Ges. und Verord. S. 255 ff.;<lb/> v. <hi rendition="#g">Sarwey,</hi> Allg. V.R. S. 24 ff.; G. <hi rendition="#g">Meyer,</hi> St.R. § 155. Man will sich freilich<lb/> auf der anderen Seite einen Begriff der „Verwaltung im formellen Sinne“ zurecht<lb/> machen, zu welcher diese Dinge dann wieder nicht gehören. Wir werden uns<lb/> darauf nicht weiter einlassen. Daſs das Wort Gesetz in verschiedenem, in<lb/> formellem und in materiellem Sinne, gebraucht wird, ist eine Thatsache; aber es<lb/> ist deshalb doch ein Miſsstand. Wir halten es für kein Verdienst, wenn man<lb/> den gleichen Miſsstand durch entsprechende Spaltung aller übrigen Begriffe zu<lb/> verallgemeinern sucht. <hi rendition="#g">Seligmann,</hi> Beiträge S. 157, ist auf diesem Wege<lb/> sogar bei einem Gewohnheitsrecht im formellen und im materiellen Sinne an-<lb/> gelangt. Das sagt genug.</note>.</p><lb/> <p>Das Wort Gesetz wird andererseits auch gebraucht, um jede Art<lb/> von Rechtssatz zu bezeichnen, auch die auf Verordnungen, Statuten,<lb/> Gewohnheitsrecht beruhenden. Bei dem letzteren handelt es sich<lb/> überhaupt nicht um Staatsthätigkeit. Verordnungen und Statuten aber<lb/> gehören dem Gebiete der Verwaltung an. Gesetzgebung ist wie von<lb/> jeher nur die Äuſserung der obersten Gewalt<note place="foot" n="8">v. <hi rendition="#g">Sarwey,</hi> Allg. V.R. S. 30; v. <hi rendition="#g">Martitz</hi> in Ztschft. f. Stsw. 36 S. 258;<lb/> G. <hi rendition="#g">Meyer,</hi> St.R. § 8: „Die Gesetzgebung als die höchste Funktion des Staates<lb/> ist formell an keine Schranke gebunden“. In Grünh. Ztschft. 8 S. 40 will G. Meyer<lb/> allerdings nur die Polizeiverordnungen der Behörden zur Verwaltung rechnen, die<lb/> Verordnungen des Staatsoberhauptes glaubt er „zweckmäſsiger“ an die Gesetz-<lb/> gebung als an die Verwaltung anzuschlieſsen. Die Kaiserl. Verord. zur Verhütung<lb/> des Zusammenstoſsens von Schiffen, die er als Hauptbeispiel anführt, ist aber eine<lb/> Polizeiverordnung wie eine andere. Es giebt allerdings Verord., die nicht zur Ver-<lb/> waltung gehören, vgl. unten Note 13.</note>.</p><lb/> <p>2. <hi rendition="#g">Justiz,</hi> Rechtspflege, Gerichtsbarkeit ist staatliche Thätigkeit<lb/> zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung mit obrigkeitlicher Gewalt.<lb/> Die dazu bestimmten staatlichen Behörden sind die Gerichte. Als sich<lb/> die Ausscheidung von Justiz und Verwaltung bei uns vollzog, be-<lb/> standen Gerichte nur für Civil- und Strafrechtspflege. Damit legte<lb/> sich der Begriff fest: Justiz ist die <hi rendition="#g">obrigkeitliche Thätigkeit<lb/> zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung bei den für<lb/> Civil- und Strafrechtspflege bestellten Gerichten</hi>. Alle<lb/> andere Thätigkeit unterhalb der Gesetzgebung gehört zur Verwaltung<note xml:id="seg2pn_1_1" next="#seg2pn_1_2" place="foot" n="9">Nach <hi rendition="#g">Loening,</hi> V.R. S. 21 umfaſst „die Rechtspflege oder Justiz in dem<lb/> historisch gegebenen Sinne“ nur die Aufrechterhaltung des Privatrechts und Straf-<lb/> rechts. Danach würde aber die Entscheidung des Civilgerichts über die Entschä-</note>.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [7/0027]
§ 1. Der Begriff der Verwaltung.
von Staatsgrundstücken u. dergl. Man nennt das um seiner Form
willen immer noch ein Gesetz. Zugleich aber erkennt man darin Ver-
waltungsakte, Verwaltungsthätigkeit, Anteilnahme der Volksvertretung
an der Verwaltung, also den Gegensatz zur Gesetzgebung. Denn
diese setzt die Schaffung von Rechtssätzen voraus 7.
Das Wort Gesetz wird andererseits auch gebraucht, um jede Art
von Rechtssatz zu bezeichnen, auch die auf Verordnungen, Statuten,
Gewohnheitsrecht beruhenden. Bei dem letzteren handelt es sich
überhaupt nicht um Staatsthätigkeit. Verordnungen und Statuten aber
gehören dem Gebiete der Verwaltung an. Gesetzgebung ist wie von
jeher nur die Äuſserung der obersten Gewalt 8.
2. Justiz, Rechtspflege, Gerichtsbarkeit ist staatliche Thätigkeit
zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung mit obrigkeitlicher Gewalt.
Die dazu bestimmten staatlichen Behörden sind die Gerichte. Als sich
die Ausscheidung von Justiz und Verwaltung bei uns vollzog, be-
standen Gerichte nur für Civil- und Strafrechtspflege. Damit legte
sich der Begriff fest: Justiz ist die obrigkeitliche Thätigkeit
zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung bei den für
Civil- und Strafrechtspflege bestellten Gerichten. Alle
andere Thätigkeit unterhalb der Gesetzgebung gehört zur Verwaltung 9.
7 Laband, St.R. I S. 567; Jellinek, Ges. und Verord. S. 255 ff.;
v. Sarwey, Allg. V.R. S. 24 ff.; G. Meyer, St.R. § 155. Man will sich freilich
auf der anderen Seite einen Begriff der „Verwaltung im formellen Sinne“ zurecht
machen, zu welcher diese Dinge dann wieder nicht gehören. Wir werden uns
darauf nicht weiter einlassen. Daſs das Wort Gesetz in verschiedenem, in
formellem und in materiellem Sinne, gebraucht wird, ist eine Thatsache; aber es
ist deshalb doch ein Miſsstand. Wir halten es für kein Verdienst, wenn man
den gleichen Miſsstand durch entsprechende Spaltung aller übrigen Begriffe zu
verallgemeinern sucht. Seligmann, Beiträge S. 157, ist auf diesem Wege
sogar bei einem Gewohnheitsrecht im formellen und im materiellen Sinne an-
gelangt. Das sagt genug.
8 v. Sarwey, Allg. V.R. S. 30; v. Martitz in Ztschft. f. Stsw. 36 S. 258;
G. Meyer, St.R. § 8: „Die Gesetzgebung als die höchste Funktion des Staates
ist formell an keine Schranke gebunden“. In Grünh. Ztschft. 8 S. 40 will G. Meyer
allerdings nur die Polizeiverordnungen der Behörden zur Verwaltung rechnen, die
Verordnungen des Staatsoberhauptes glaubt er „zweckmäſsiger“ an die Gesetz-
gebung als an die Verwaltung anzuschlieſsen. Die Kaiserl. Verord. zur Verhütung
des Zusammenstoſsens von Schiffen, die er als Hauptbeispiel anführt, ist aber eine
Polizeiverordnung wie eine andere. Es giebt allerdings Verord., die nicht zur Ver-
waltung gehören, vgl. unten Note 13.
9 Nach Loening, V.R. S. 21 umfaſst „die Rechtspflege oder Justiz in dem
historisch gegebenen Sinne“ nur die Aufrechterhaltung des Privatrechts und Straf-
rechts. Danach würde aber die Entscheidung des Civilgerichts über die Entschä-
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