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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 16. Zuständigkeit der Civilgerichte.
spruch damit treffen würde, ist eine Zuständigkeitsüberschreitung, sie
entzieht dem Urteil die Wirkung auf seinem eigenen Gebiet.

Auf der anderen Seite hat auch das Civilgericht Gelegenheit, in
die unmittelbaren Wirkungen eines Verwaltungsaktes einzugreifen,
und zwar in noch viel mannigfaltigerer Weise. Es kann ihm eine
Zuständigkeit gegeben sein über ein öffentlichrechtliches Verhältnis.
Wenn es hierbei die Ordnungen, welche demselben bereits durch die
Verwaltung gegeben sind, unbefugter Weise unberücksichtigt lässt und
widersprechend entscheidet, ist sein Urteil nicht bloss unrichtig wie
im Falle n. 1, sondern es enthält zugleich eine Zuständigkeitsüber-
schreitung16.

3. Es kann endlich sein, dass die Vorfrage in Wahrheit gar
nicht Vorfrage, sondern die Hauptfrage selbst ist. Der Fall ergiebt
sich namentlich da, wo durch eine Verwaltungsmassregel in ein civil-
rechtliches Verhältnis eingegriffen worden ist, in das Eigentum z. B.
oder in den Besitz, und nun Klage zum Gericht erhoben wird auf
Schutz und Wiederherstellung. Ob der Eingriff rechtsgültig erfolgt
ist, ist aber nur zum Schein eine Vorfrage, bei deren Verneinung der
Eigentums- und Besitzesschutz seinen freien Lauf haben soll. In
Wahrheit sind Eigentum und Besitz gar nicht in Frage, sondern
die Klage ist unmittelbar darauf gerichtet, die öffentlichrechtliche
Verwaltungsmassregel unwirksam zu machen. Das ist aber keine
bürgerliche Rechtsstreitigkeit und das Gericht unzuständig. Es kommt
hier wie überall nicht darauf an, wie die Klage sich selbst bezeichnet,
sondern darauf, was sie wirklich ist17.

16 Wenn das Gericht nach R.Beamtenges. § 149 über Gehaltsansprüche er-
kennt, ist es an die vorausgegangenen Verwaltungsakte zu Entfernung aus dem
Amte, Versetzung in Ruhestand u. s. w. gebunden; hält es sich nicht daran, so
greift es in ihre Wirkung auf den Gehaltsanspruch ein und überschreitet seine Zu-
ständigkeit: R.G. 24. März 1882 (Samml. VI S. 106). Damit ist nicht zu vergleichen
das Verhältnis des Enteignungsausspruchs zur Entschädigungsklage (Hauser,
a. a. O. S. 253, und Gaupp, C.Pr.O. I S. 303): wenn das Gericht gegenüber der
letzteren die Enteignung nicht als gültig anerkennt, urteilt es falsch, aber nicht
unzuständig; es greift nicht in die Wirkung des Verwaltungsaktes selbst ein, die
Vorfrage ist von der Art in n. 1.
17 Beispiele: C.C.H. 26. Nov. 1853 (Klage auf Nichtigkeit eines von Aufsichts-
wegen für die Gemeinde abgeschlossenen Pachtvertrags); Hess. V.G.H. 5. Juni 1886
(Reger, VIII S. 131: Eigentumsklage wegen polizeilich beschlagnahmter Schriften).
Hierher gehört auch der grundsätzliche Ausschluss der Besitzstörungsklage gegen
polizeiliche Verfügungen nach Preuss. Recht: C.C.H. 11. Febr. 1875 (J.M.Bl. 1865
S. 99); O.Tr. 3. Okt. 1877 (Str. 98 S. 34). -- Abweichend Bayr. Ob.G.H. 28. Nov.
1877 (Samml. VII S. 132), was aber wohl mit einer Streitfrage zusammenhängt,
auf welche in der Lehre von den öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkungen

§ 16. Zuständigkeit der Civilgerichte.
spruch damit treffen würde, ist eine Zuständigkeitsüberschreitung, sie
entzieht dem Urteil die Wirkung auf seinem eigenen Gebiet.

Auf der anderen Seite hat auch das Civilgericht Gelegenheit, in
die unmittelbaren Wirkungen eines Verwaltungsaktes einzugreifen,
und zwar in noch viel mannigfaltigerer Weise. Es kann ihm eine
Zuständigkeit gegeben sein über ein öffentlichrechtliches Verhältnis.
Wenn es hierbei die Ordnungen, welche demselben bereits durch die
Verwaltung gegeben sind, unbefugter Weise unberücksichtigt läſst und
widersprechend entscheidet, ist sein Urteil nicht bloſs unrichtig wie
im Falle n. 1, sondern es enthält zugleich eine Zuständigkeitsüber-
schreitung16.

3. Es kann endlich sein, daſs die Vorfrage in Wahrheit gar
nicht Vorfrage, sondern die Hauptfrage selbst ist. Der Fall ergiebt
sich namentlich da, wo durch eine Verwaltungsmaſsregel in ein civil-
rechtliches Verhältnis eingegriffen worden ist, in das Eigentum z. B.
oder in den Besitz, und nun Klage zum Gericht erhoben wird auf
Schutz und Wiederherstellung. Ob der Eingriff rechtsgültig erfolgt
ist, ist aber nur zum Schein eine Vorfrage, bei deren Verneinung der
Eigentums- und Besitzesschutz seinen freien Lauf haben soll. In
Wahrheit sind Eigentum und Besitz gar nicht in Frage, sondern
die Klage ist unmittelbar darauf gerichtet, die öffentlichrechtliche
Verwaltungsmaſsregel unwirksam zu machen. Das ist aber keine
bürgerliche Rechtsstreitigkeit und das Gericht unzuständig. Es kommt
hier wie überall nicht darauf an, wie die Klage sich selbst bezeichnet,
sondern darauf, was sie wirklich ist17.

16 Wenn das Gericht nach R.Beamtenges. § 149 über Gehaltsansprüche er-
kennt, ist es an die vorausgegangenen Verwaltungsakte zu Entfernung aus dem
Amte, Versetzung in Ruhestand u. s. w. gebunden; hält es sich nicht daran, so
greift es in ihre Wirkung auf den Gehaltsanspruch ein und überschreitet seine Zu-
ständigkeit: R.G. 24. März 1882 (Samml. VI S. 106). Damit ist nicht zu vergleichen
das Verhältnis des Enteignungsausspruchs zur Entschädigungsklage (Hauser,
a. a. O. S. 253, und Gaupp, C.Pr.O. I S. 303): wenn das Gericht gegenüber der
letzteren die Enteignung nicht als gültig anerkennt, urteilt es falsch, aber nicht
unzuständig; es greift nicht in die Wirkung des Verwaltungsaktes selbst ein, die
Vorfrage ist von der Art in n. 1.
17 Beispiele: C.C.H. 26. Nov. 1853 (Klage auf Nichtigkeit eines von Aufsichts-
wegen für die Gemeinde abgeschlossenen Pachtvertrags); Hess. V.G.H. 5. Juni 1886
(Reger, VIII S. 131: Eigentumsklage wegen polizeilich beschlagnahmter Schriften).
Hierher gehört auch der grundsätzliche Ausschluſs der Besitzstörungsklage gegen
polizeiliche Verfügungen nach Preuſs. Recht: C.C.H. 11. Febr. 1875 (J.M.Bl. 1865
S. 99); O.Tr. 3. Okt. 1877 (Str. 98 S. 34). — Abweichend Bayr. Ob.G.H. 28. Nov.
1877 (Samml. VII S. 132), was aber wohl mit einer Streitfrage zusammenhängt,
auf welche in der Lehre von den öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkungen
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[219/0239] § 16. Zuständigkeit der Civilgerichte. spruch damit treffen würde, ist eine Zuständigkeitsüberschreitung, sie entzieht dem Urteil die Wirkung auf seinem eigenen Gebiet. Auf der anderen Seite hat auch das Civilgericht Gelegenheit, in die unmittelbaren Wirkungen eines Verwaltungsaktes einzugreifen, und zwar in noch viel mannigfaltigerer Weise. Es kann ihm eine Zuständigkeit gegeben sein über ein öffentlichrechtliches Verhältnis. Wenn es hierbei die Ordnungen, welche demselben bereits durch die Verwaltung gegeben sind, unbefugter Weise unberücksichtigt läſst und widersprechend entscheidet, ist sein Urteil nicht bloſs unrichtig wie im Falle n. 1, sondern es enthält zugleich eine Zuständigkeitsüber- schreitung 16. 3. Es kann endlich sein, daſs die Vorfrage in Wahrheit gar nicht Vorfrage, sondern die Hauptfrage selbst ist. Der Fall ergiebt sich namentlich da, wo durch eine Verwaltungsmaſsregel in ein civil- rechtliches Verhältnis eingegriffen worden ist, in das Eigentum z. B. oder in den Besitz, und nun Klage zum Gericht erhoben wird auf Schutz und Wiederherstellung. Ob der Eingriff rechtsgültig erfolgt ist, ist aber nur zum Schein eine Vorfrage, bei deren Verneinung der Eigentums- und Besitzesschutz seinen freien Lauf haben soll. In Wahrheit sind Eigentum und Besitz gar nicht in Frage, sondern die Klage ist unmittelbar darauf gerichtet, die öffentlichrechtliche Verwaltungsmaſsregel unwirksam zu machen. Das ist aber keine bürgerliche Rechtsstreitigkeit und das Gericht unzuständig. Es kommt hier wie überall nicht darauf an, wie die Klage sich selbst bezeichnet, sondern darauf, was sie wirklich ist 17. 16 Wenn das Gericht nach R.Beamtenges. § 149 über Gehaltsansprüche er- kennt, ist es an die vorausgegangenen Verwaltungsakte zu Entfernung aus dem Amte, Versetzung in Ruhestand u. s. w. gebunden; hält es sich nicht daran, so greift es in ihre Wirkung auf den Gehaltsanspruch ein und überschreitet seine Zu- ständigkeit: R.G. 24. März 1882 (Samml. VI S. 106). Damit ist nicht zu vergleichen das Verhältnis des Enteignungsausspruchs zur Entschädigungsklage (Hauser, a. a. O. S. 253, und Gaupp, C.Pr.O. I S. 303): wenn das Gericht gegenüber der letzteren die Enteignung nicht als gültig anerkennt, urteilt es falsch, aber nicht unzuständig; es greift nicht in die Wirkung des Verwaltungsaktes selbst ein, die Vorfrage ist von der Art in n. 1. 17 Beispiele: C.C.H. 26. Nov. 1853 (Klage auf Nichtigkeit eines von Aufsichts- wegen für die Gemeinde abgeschlossenen Pachtvertrags); Hess. V.G.H. 5. Juni 1886 (Reger, VIII S. 131: Eigentumsklage wegen polizeilich beschlagnahmter Schriften). Hierher gehört auch der grundsätzliche Ausschluſs der Besitzstörungsklage gegen polizeiliche Verfügungen nach Preuſs. Recht: C.C.H. 11. Febr. 1875 (J.M.Bl. 1865 S. 99); O.Tr. 3. Okt. 1877 (Str. 98 S. 34). — Abweichend Bayr. Ob.G.H. 28. Nov. 1877 (Samml. VII S. 132), was aber wohl mit einer Streitfrage zusammenhängt, auf welche in der Lehre von den öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkungen

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/239>, abgerufen am 23.12.2024.