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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.

An Stelle dieses Rekurses wegen Machtüberschreitung steht im
deutschen Recht die allgemeine Anfechtungsklage wegen
Gesetzwidrigkeit
. Hier ist die zu übende Rechtspflege in anderer
Weise beschränkt. Der ganze Gegensatz ist ausgesprochen in ihrer
engeren Anlehnung an das objektive Recht. Sie setzt wieder auf der
einen Seite voraus den Einzelnen, der in seinen Rechten verletzt ist,
auf der anderen Seite aber, dass die Behörde diese Verletzung be-
wirkt habe durch unrichtige Anwendung oder Nichtanwendung des
Gesetzes, d. h. des Rechtssatzes26. Damit ist dem Rechtsmittel über eine
Prüfung der äusserlichen Grenzen der behördlichen Machtbefugnisse
hinaus die Wirkung einer Nachprüfung der Gesetzmässigkeit verliehen
im Sinne der Revision: auch die unrichtige Rechtsanwendung inner-
halb der Zuständigkeit ist getroffen. Zugleich allerdings ist verzichtet
auf jene kühnere Auffassung des französichen Rechtsinstitutes, welche
auch den richtigen Gebrauch des freien Ermessens in den Bereich
der Nachprüfung zieht. Der deutsche Verwaltungsrichter klebt hier
an seinem Gesetzestexte.

Dafür erscheint in der deutschen Gesetzgebung noch eine andere
Art von oberster Verwaltungsrechtspflege, welche gerade auf eine
Nachprüfung eines Teiles des freien Ermessens gerichtet ist:
die Anfechtungsklage wegen mangelnderthatsächlicher
Voraussetzungen
27.

sprüche sind seitdem rechtskraftfähig (unten § 15 Note 15). Auf den Rekurs
wegen Machtüberschreitung hat sich diese Änderung nicht erstreckt. Er ist daher
förmliche Beschwerde geblieben.
Die Grenzen der Nachprüfung sind hier so eigenartig bestimmt, dass das ganze
Rechtsinstitut nur möglich wird, wenn es wie in Frankreich aus der Praxis heraus-
gewachsen und von ihrem juristischen Takte getragen ist. Deswegen darf man
aber doch nicht so rasch darüber aburteilen, wie Bernatzik, Rechtskraft S. 239
Note 26, und Tezner in Grünh. Ztsch. XIX S. 394.
26 Preuss. L.V.G. § 127 Abs. 3 Ziff. 1: "Dass der angefochtene Bescheid
durch Nichtanwendung oder unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts den
Kläger in seinen Rechten verletze"; nachgebildet Bad. Ges. v. 14. Juni 1884 § 4.
In gleichem Sinne Württemb. Ges. v. 16. Dez. 1876; Österr. Ges. v. 22. Okt.
1875 § 2.
27 Preuss. L.V.G. § 127 Abs. 3 Ziff. 2: "Dass die thatsächlichen Voraus-
setzungen nicht vorhanden seien, welche die Polizeibehörde zum Erlasse der Ver-
fügung berechtigt haben würden"; nachgebildet Bad. Ges. v. 14. Juni 1884 § 4
Abs. 2 Ziff. 2. -- Dass diese Ziffer 2 gegenüber der Ziffer 1 (Note 26) einen ganz
selbständigen Rechtsgedanken enthält, ist offenbar. Wenn man einen inneren
Zusammenhang herzustellen sucht, kommen nur Redensarten heraus. Vgl.
v. Brauchitsch, V.Gesetze I S. 132 und den S. 131 daselbst angeführten Kom-
missionsbericht.
Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.

An Stelle dieses Rekurses wegen Machtüberschreitung steht im
deutschen Recht die allgemeine Anfechtungsklage wegen
Gesetzwidrigkeit
. Hier ist die zu übende Rechtspflege in anderer
Weise beschränkt. Der ganze Gegensatz ist ausgesprochen in ihrer
engeren Anlehnung an das objektive Recht. Sie setzt wieder auf der
einen Seite voraus den Einzelnen, der in seinen Rechten verletzt ist,
auf der anderen Seite aber, daſs die Behörde diese Verletzung be-
wirkt habe durch unrichtige Anwendung oder Nichtanwendung des
Gesetzes, d. h. des Rechtssatzes26. Damit ist dem Rechtsmittel über eine
Prüfung der äuſserlichen Grenzen der behördlichen Machtbefugnisse
hinaus die Wirkung einer Nachprüfung der Gesetzmäſsigkeit verliehen
im Sinne der Revision: auch die unrichtige Rechtsanwendung inner-
halb der Zuständigkeit ist getroffen. Zugleich allerdings ist verzichtet
auf jene kühnere Auffassung des französichen Rechtsinstitutes, welche
auch den richtigen Gebrauch des freien Ermessens in den Bereich
der Nachprüfung zieht. Der deutsche Verwaltungsrichter klebt hier
an seinem Gesetzestexte.

Dafür erscheint in der deutschen Gesetzgebung noch eine andere
Art von oberster Verwaltungsrechtspflege, welche gerade auf eine
Nachprüfung eines Teiles des freien Ermessens gerichtet ist:
die Anfechtungsklage wegen mangelnderthatsächlicher
Voraussetzungen
27.

sprüche sind seitdem rechtskraftfähig (unten § 15 Note 15). Auf den Rekurs
wegen Machtüberschreitung hat sich diese Änderung nicht erstreckt. Er ist daher
förmliche Beschwerde geblieben.
Die Grenzen der Nachprüfung sind hier so eigenartig bestimmt, daſs das ganze
Rechtsinstitut nur möglich wird, wenn es wie in Frankreich aus der Praxis heraus-
gewachsen und von ihrem juristischen Takte getragen ist. Deswegen darf man
aber doch nicht so rasch darüber aburteilen, wie Bernatzik, Rechtskraft S. 239
Note 26, und Tezner in Grünh. Ztsch. XIX S. 394.
26 Preuſs. L.V.G. § 127 Abs. 3 Ziff. 1: „Daſs der angefochtene Bescheid
durch Nichtanwendung oder unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts den
Kläger in seinen Rechten verletze“; nachgebildet Bad. Ges. v. 14. Juni 1884 § 4.
In gleichem Sinne Württemb. Ges. v. 16. Dez. 1876; Österr. Ges. v. 22. Okt.
1875 § 2.
27 Preuſs. L.V.G. § 127 Abs. 3 Ziff. 2: „Daſs die thatsächlichen Voraus-
setzungen nicht vorhanden seien, welche die Polizeibehörde zum Erlasse der Ver-
fügung berechtigt haben würden“; nachgebildet Bad. Ges. v. 14. Juni 1884 § 4
Abs. 2 Ziff. 2. — Daſs diese Ziffer 2 gegenüber der Ziffer 1 (Note 26) einen ganz
selbständigen Rechtsgedanken enthält, ist offenbar. Wenn man einen inneren
Zusammenhang herzustellen sucht, kommen nur Redensarten heraus. Vgl.
v. Brauchitsch, V.Gesetze I S. 132 und den S. 131 daselbst angeführten Kom-
missionsbericht.
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[192/0212] Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen. An Stelle dieses Rekurses wegen Machtüberschreitung steht im deutschen Recht die allgemeine Anfechtungsklage wegen Gesetzwidrigkeit. Hier ist die zu übende Rechtspflege in anderer Weise beschränkt. Der ganze Gegensatz ist ausgesprochen in ihrer engeren Anlehnung an das objektive Recht. Sie setzt wieder auf der einen Seite voraus den Einzelnen, der in seinen Rechten verletzt ist, auf der anderen Seite aber, daſs die Behörde diese Verletzung be- wirkt habe durch unrichtige Anwendung oder Nichtanwendung des Gesetzes, d. h. des Rechtssatzes 26. Damit ist dem Rechtsmittel über eine Prüfung der äuſserlichen Grenzen der behördlichen Machtbefugnisse hinaus die Wirkung einer Nachprüfung der Gesetzmäſsigkeit verliehen im Sinne der Revision: auch die unrichtige Rechtsanwendung inner- halb der Zuständigkeit ist getroffen. Zugleich allerdings ist verzichtet auf jene kühnere Auffassung des französichen Rechtsinstitutes, welche auch den richtigen Gebrauch des freien Ermessens in den Bereich der Nachprüfung zieht. Der deutsche Verwaltungsrichter klebt hier an seinem Gesetzestexte. Dafür erscheint in der deutschen Gesetzgebung noch eine andere Art von oberster Verwaltungsrechtspflege, welche gerade auf eine Nachprüfung eines Teiles des freien Ermessens gerichtet ist: die Anfechtungsklage wegen mangelnderthatsächlicher Voraussetzungen 27. 25 26 Preuſs. L.V.G. § 127 Abs. 3 Ziff. 1: „Daſs der angefochtene Bescheid durch Nichtanwendung oder unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts den Kläger in seinen Rechten verletze“; nachgebildet Bad. Ges. v. 14. Juni 1884 § 4. In gleichem Sinne Württemb. Ges. v. 16. Dez. 1876; Österr. Ges. v. 22. Okt. 1875 § 2. 27 Preuſs. L.V.G. § 127 Abs. 3 Ziff. 2: „Daſs die thatsächlichen Voraus- setzungen nicht vorhanden seien, welche die Polizeibehörde zum Erlasse der Ver- fügung berechtigt haben würden“; nachgebildet Bad. Ges. v. 14. Juni 1884 § 4 Abs. 2 Ziff. 2. — Daſs diese Ziffer 2 gegenüber der Ziffer 1 (Note 26) einen ganz selbständigen Rechtsgedanken enthält, ist offenbar. Wenn man einen inneren Zusammenhang herzustellen sucht, kommen nur Redensarten heraus. Vgl. v. Brauchitsch, V.Gesetze I S. 132 und den S. 131 daselbst angeführten Kom- missionsbericht. 25 sprüche sind seitdem rechtskraftfähig (unten § 15 Note 15). Auf den Rekurs wegen Machtüberschreitung hat sich diese Änderung nicht erstreckt. Er ist daher förmliche Beschwerde geblieben. Die Grenzen der Nachprüfung sind hier so eigenartig bestimmt, daſs das ganze Rechtsinstitut nur möglich wird, wenn es wie in Frankreich aus der Praxis heraus- gewachsen und von ihrem juristischen Takte getragen ist. Deswegen darf man aber doch nicht so rasch darüber aburteilen, wie Bernatzik, Rechtskraft S. 239 Note 26, und Tezner in Grünh. Ztsch. XIX S. 394.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/212>, abgerufen am 23.12.2024.