Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung. die zur Rechtssetzung berufenen Gewalten den Behörden der voll-ziehenden Gewalt überlassen haben, nach pflichtmässigem Ermessen im Einzelfall das Gute und Nützliche zu schaffen, da können sich diese nicht unter eine von anderswoher genommene bindende Regel stellen, um sich der Pflicht und Verantwortlichkeit zu entziehen. Die Ent- stehung von Gewohnheitsrecht für die Verwaltung ist durch die allgemeinen Grundsätze unseres öffentlichen Rechtes von selbst ausgeschlossen20. Das gilt nicht ohne Ausnahme und hat nicht zu allen Zeiten ge- Das alte Staatswesen, durchweg von civilrechtlichen Gedanken Der Polizeistaat räumt damit auf und vollzieht die Scheidung. 20 Ohne nähere Prüfung und unbekümmert darum, was wirklich geschieht, stellt man freilich immer noch zuweilen den Satz auf, dass das Gewohnheitsrecht für öffentlichrechtliche Verhältnisse geradeso gelten müsse, wie für civilrechtliche: Mohl, Würt. St.R. I S. 76; Bornhak, Preuss. St.R. I S. 100; Schulze, St.R. I S. 11; Bl. f. adm. Pr. 1871 S. 391. 21 Wie der Polizeistaat mit dem Gewohnheitsrechte umgeht, sobald es seiner
obrigkeitlichen Verwaltungsthätigkeit in den Weg kommt, dafür giebt ein hübsches Beispiel F. F. Mayer, Grunds. S. 449 Note 2. Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung. die zur Rechtssetzung berufenen Gewalten den Behörden der voll-ziehenden Gewalt überlassen haben, nach pflichtmäſsigem Ermessen im Einzelfall das Gute und Nützliche zu schaffen, da können sich diese nicht unter eine von anderswoher genommene bindende Regel stellen, um sich der Pflicht und Verantwortlichkeit zu entziehen. Die Ent- stehung von Gewohnheitsrecht für die Verwaltung ist durch die allgemeinen Grundsätze unseres öffentlichen Rechtes von selbst ausgeschlossen20. Das gilt nicht ohne Ausnahme und hat nicht zu allen Zeiten ge- Das alte Staatswesen, durchweg von civilrechtlichen Gedanken Der Polizeistaat räumt damit auf und vollzieht die Scheidung. 20 Ohne nähere Prüfung und unbekümmert darum, was wirklich geschieht, stellt man freilich immer noch zuweilen den Satz auf, daſs das Gewohnheitsrecht für öffentlichrechtliche Verhältnisse geradeso gelten müsse, wie für civilrechtliche: Mohl, Würt. St.R. I S. 76; Bornhak, Preuſs. St.R. I S. 100; Schulze, St.R. I S. 11; Bl. f. adm. Pr. 1871 S. 391. 21 Wie der Polizeistaat mit dem Gewohnheitsrechte umgeht, sobald es seiner
obrigkeitlichen Verwaltungsthätigkeit in den Weg kommt, dafür giebt ein hübsches Beispiel F. F. Mayer, Grunds. S. 449 Note 2. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0152" n="132"/><fw place="top" type="header">Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.</fw><lb/> die zur Rechtssetzung berufenen Gewalten den Behörden der voll-<lb/> ziehenden Gewalt überlassen haben, nach pflichtmäſsigem Ermessen<lb/> im Einzelfall das Gute und Nützliche zu schaffen, da können sich diese<lb/> nicht unter eine von anderswoher genommene bindende Regel stellen,<lb/> um sich der Pflicht und Verantwortlichkeit zu entziehen. Die <hi rendition="#g">Ent-<lb/> stehung von Gewohnheitsrecht für die Verwaltung ist<lb/> durch die allgemeinen Grundsätze unseres öffentlichen<lb/> Rechtes von selbst ausgeschlossen</hi><note place="foot" n="20">Ohne nähere Prüfung und unbekümmert darum, was wirklich geschieht,<lb/> stellt man freilich immer noch zuweilen den Satz auf, daſs das Gewohnheitsrecht<lb/> für öffentlichrechtliche Verhältnisse geradeso gelten müsse, wie für civilrechtliche:<lb/><hi rendition="#g">Mohl,</hi> Würt. St.R. I S. 76; <hi rendition="#g">Bornhak,</hi> Preuſs. St.R. I S. 100; <hi rendition="#g">Schulze,</hi> St.R.<lb/> I S. 11; Bl. f. adm. Pr. 1871 S. 391.</note>.</p><lb/> <p>Das gilt nicht ohne Ausnahme und hat nicht zu allen Zeiten ge-<lb/> golten und so kommt es, daſs wir gleichwohl noch mit öffentlich-<lb/> rechtlicher Gewohnheit zu thun haben.</p><lb/> <p>Das alte Staatswesen, durchweg von civilrechtlichen Gedanken<lb/> beherrscht, hatte für die Normierung der verschiedenen Rechte und<lb/> Gegenrechte zwischen Landesherr und Unterthan den Rechtstitel des<lb/> Herkommens, der Observanz, der Gewohnheit in überreichem Maſse<lb/> verwendet.</p><lb/> <p>Der Polizeistaat räumt damit auf und vollzieht die Scheidung.<lb/> Für die eigentliche obrigkeitliche Gewalt giebt es keine Rechts-<lb/> schranke<note place="foot" n="21">Wie der Polizeistaat mit dem Gewohnheitsrechte umgeht, sobald es seiner<lb/> obrigkeitlichen Verwaltungsthätigkeit in den Weg kommt, dafür giebt ein hübsches<lb/> Beispiel F. F. <hi rendition="#g">Mayer,</hi> Grunds. S. 449 Note 2.</note>. Sobald aber nicht mehr befohlen wird und nur das<lb/> Mein und Dein in Frage ist, gilt Civilrecht und damit auch die<lb/> Rechtsquelle der Gewohnheit. Gewohnheitsrecht ordnet die Verhält-<lb/> nisse der unteren Verbände, der Gemeinden und der Verbände für<lb/> die mancherlei öffentlichen Interessen wirtschaftlicher Art, die unter-<lb/> halb der staatlichen Befehls- und Ordnungsgewalt sich bilden. Vor<lb/> allem aber ist es der Fiskus, der die rechtliche Ordnung seiner Be-<lb/> ziehungen zu den Einzelnen dadurch erhält. Alle jene Ansprüche auf Aus-<lb/> gleichung, Schadensersatz, Rückerstattung, welche aus der Thätigkeit der<lb/> Staatsgewalt den Unterthanen gegen die Staatskasse erwachsen können,<lb/> sind als civilrechtliche Verpflichtungen des Fiskus angesehen, für<lb/> welche auch das Gewohnheitsrecht die Normen schafft. Die so ent-<lb/> standenen Rechtssätze sind durch die Einführung des Verfassungs-<lb/> staates nicht von selbst erloschen, es müſste denn sein, daſs sie ihrem<lb/> Inhalte nach irgendwie in Widerspruch stünden mit den neuen Grund-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [132/0152]
Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
die zur Rechtssetzung berufenen Gewalten den Behörden der voll-
ziehenden Gewalt überlassen haben, nach pflichtmäſsigem Ermessen
im Einzelfall das Gute und Nützliche zu schaffen, da können sich diese
nicht unter eine von anderswoher genommene bindende Regel stellen,
um sich der Pflicht und Verantwortlichkeit zu entziehen. Die Ent-
stehung von Gewohnheitsrecht für die Verwaltung ist
durch die allgemeinen Grundsätze unseres öffentlichen
Rechtes von selbst ausgeschlossen 20.
Das gilt nicht ohne Ausnahme und hat nicht zu allen Zeiten ge-
golten und so kommt es, daſs wir gleichwohl noch mit öffentlich-
rechtlicher Gewohnheit zu thun haben.
Das alte Staatswesen, durchweg von civilrechtlichen Gedanken
beherrscht, hatte für die Normierung der verschiedenen Rechte und
Gegenrechte zwischen Landesherr und Unterthan den Rechtstitel des
Herkommens, der Observanz, der Gewohnheit in überreichem Maſse
verwendet.
Der Polizeistaat räumt damit auf und vollzieht die Scheidung.
Für die eigentliche obrigkeitliche Gewalt giebt es keine Rechts-
schranke 21. Sobald aber nicht mehr befohlen wird und nur das
Mein und Dein in Frage ist, gilt Civilrecht und damit auch die
Rechtsquelle der Gewohnheit. Gewohnheitsrecht ordnet die Verhält-
nisse der unteren Verbände, der Gemeinden und der Verbände für
die mancherlei öffentlichen Interessen wirtschaftlicher Art, die unter-
halb der staatlichen Befehls- und Ordnungsgewalt sich bilden. Vor
allem aber ist es der Fiskus, der die rechtliche Ordnung seiner Be-
ziehungen zu den Einzelnen dadurch erhält. Alle jene Ansprüche auf Aus-
gleichung, Schadensersatz, Rückerstattung, welche aus der Thätigkeit der
Staatsgewalt den Unterthanen gegen die Staatskasse erwachsen können,
sind als civilrechtliche Verpflichtungen des Fiskus angesehen, für
welche auch das Gewohnheitsrecht die Normen schafft. Die so ent-
standenen Rechtssätze sind durch die Einführung des Verfassungs-
staates nicht von selbst erloschen, es müſste denn sein, daſs sie ihrem
Inhalte nach irgendwie in Widerspruch stünden mit den neuen Grund-
20 Ohne nähere Prüfung und unbekümmert darum, was wirklich geschieht,
stellt man freilich immer noch zuweilen den Satz auf, daſs das Gewohnheitsrecht
für öffentlichrechtliche Verhältnisse geradeso gelten müsse, wie für civilrechtliche:
Mohl, Würt. St.R. I S. 76; Bornhak, Preuſs. St.R. I S. 100; Schulze, St.R.
I S. 11; Bl. f. adm. Pr. 1871 S. 391.
21 Wie der Polizeistaat mit dem Gewohnheitsrechte umgeht, sobald es seiner
obrigkeitlichen Verwaltungsthätigkeit in den Weg kommt, dafür giebt ein hübsches
Beispiel F. F. Mayer, Grunds. S. 449 Note 2.
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