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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
das allein Rechtsquelle ist, werden wir aber zur Unterscheidung von
jenen gleichnamigen Akten als das rechtssatzschaffende oder
gesetzvertretende Statut bezeichnen.

4. Gegenüber dem gesetzten Rechte, wie es unsere drei bisher
erörterten Rechtsquellen liefern, steht das Gewohnheitsrecht, als das
ungesetzte, durch die thatsächliche Übung, die Gewohnheit erzeugte.

S. 182 verwischt den Unterschied, indem er beides auf die Autonomie der Gemeinde
zurückführt; nur das erstere gehört dahin. Für Gierke, Genoss. Theorie S. 720
Note 2, bedeutet umgekehrt beides keine Autonomie, weil diese den Gegensatz
bildet von "delegierter oder zur Ausübung übertragener Gesetzgebung". Aber die
Fähigkeit, Rechtssätze zu schaffen, wo sie den Beamten der Gemeinde zusteht, ist
immer eine abgeleitete; es giebt keine andere. Es kommt nur darauf an, ob sie
geübt wird im Namen des Staates, im übertragenen Wirkungskreis, dann giebt es
eine Verordnung, oder im Namen der Gemeinde, im eignen Wirkungskreis, dann
giebt es einen autonomischen Rechtssatz, ein Statut. Deshalb ist es auch nicht
richtig zu sagen, es gehörten "alle Handlungen körperschaftlicher Autonomie not-
wendig dem inneren Gemeinleben an". Wenn die bayrische Gemeinde Verbrauchs-
abgaben auf die eingeführten Waren legt, so verpflichtet sie damit nicht bloss ihre
Angehörigen, sondern auch Fremde. Gerade weil ihr das Gesetz die Kraft zu
solchen Rechtssätzen übertragen hat, wirken sie gegen jedermann; autonomisch sind
sie, weil die Kraft dazu ihr übertragen ist zu eignem Recht, für ihre Angelegen-
heiten, ihre Steuern.
Ein anderes Beispiel bietet die Innung. Diese kann ihren Mitgliedern Vor-
schriften machen für die verfassungsmässigen Zwecke, z. B. über das Lehrlings-
wesen; das ist Vereinsgewalt und bedeutet noch keinen Rechtssatz. Nach dem
Gesetz (Gew.O. § 100 c) kann sie überdies ermächtigt werden, solche Bestimmungen
allgemein verbindlich aufzustellen, für jeden, den es angeht, auch für Nichtmitglieder.
Das sind dann Statuten mit autonomischen Rechtssätzen. Rosin, Öff. Genoss.
S. 187 ff., erklärt das erstere für einen autonomischen Rechtssatz, das letztere für
einen nichtautonomischen, der "auf dem Herrschaftsrecht des Staates beruht",
"eine Delegation der gesetzgebenden Gewalt" vorstellt. Autonomisch wären Statuten
der letzteren Art deshalb nicht, weil "der Kreis der Personen, auf welche sie An-
wendung finden sollen, ausserhalb der genossenschaftlichen Willenssphäre liegt"
(S. 189). Das sind ganz die Anschauungen von Gierke. Nichtmitglieder und ihre
Lehrlinge liegen allerdings ausserhalb der "Willenssphäre" der Innung, bis das
Gesetz sie darein legt; aber in ihrer "Interessensphäre" liegen sie zweifellos, so-
weit sie dem gleichen Gewerbe angehören. Die Innung ist da zur "Förderung der
gemeinsamen gewerblichen Interessen". Dass die Interessen des ganzen Gewerbes
an der guten Ordnung des Lehrlingswesens beteiligt sind, ist offenbar; die Innung
ist in Besorgung der ihr vom Gesetz und Verfassungsstatut zugewiesenen eignen
Angelegenheiten, wenn sie dafür wirkt. Nichtmitgliedern gegenüber hat sie nur
nicht von selbst auch die nötige Macht; die giebt ihr eben jetzt das Gesetz. Für
sich, nicht für den Staat, auch nicht, wie Rosin sagt, "im Auftrage des Staates"
-- man müsste denn ihre ganze Lebensthätigkeit auf solch einen Auftrag stellen --
nimmt sie auf Grund der verliehenen Kraft die Ordnung des Lehrlingswesens für
das ganze Gewerbe in die Hand.

Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
das allein Rechtsquelle ist, werden wir aber zur Unterscheidung von
jenen gleichnamigen Akten als das rechtssatzschaffende oder
gesetzvertretende Statut bezeichnen.

4. Gegenüber dem gesetzten Rechte, wie es unsere drei bisher
erörterten Rechtsquellen liefern, steht das Gewohnheitsrecht, als das
ungesetzte, durch die thatsächliche Übung, die Gewohnheit erzeugte.

S. 182 verwischt den Unterschied, indem er beides auf die Autonomie der Gemeinde
zurückführt; nur das erstere gehört dahin. Für Gierke, Genoss. Theorie S. 720
Note 2, bedeutet umgekehrt beides keine Autonomie, weil diese den Gegensatz
bildet von „delegierter oder zur Ausübung übertragener Gesetzgebung“. Aber die
Fähigkeit, Rechtssätze zu schaffen, wo sie den Beamten der Gemeinde zusteht, ist
immer eine abgeleitete; es giebt keine andere. Es kommt nur darauf an, ob sie
geübt wird im Namen des Staates, im übertragenen Wirkungskreis, dann giebt es
eine Verordnung, oder im Namen der Gemeinde, im eignen Wirkungskreis, dann
giebt es einen autonomischen Rechtssatz, ein Statut. Deshalb ist es auch nicht
richtig zu sagen, es gehörten „alle Handlungen körperschaftlicher Autonomie not-
wendig dem inneren Gemeinleben an“. Wenn die bayrische Gemeinde Verbrauchs-
abgaben auf die eingeführten Waren legt, so verpflichtet sie damit nicht bloſs ihre
Angehörigen, sondern auch Fremde. Gerade weil ihr das Gesetz die Kraft zu
solchen Rechtssätzen übertragen hat, wirken sie gegen jedermann; autonomisch sind
sie, weil die Kraft dazu ihr übertragen ist zu eignem Recht, für ihre Angelegen-
heiten, ihre Steuern.
Ein anderes Beispiel bietet die Innung. Diese kann ihren Mitgliedern Vor-
schriften machen für die verfassungsmäſsigen Zwecke, z. B. über das Lehrlings-
wesen; das ist Vereinsgewalt und bedeutet noch keinen Rechtssatz. Nach dem
Gesetz (Gew.O. § 100 c) kann sie überdies ermächtigt werden, solche Bestimmungen
allgemein verbindlich aufzustellen, für jeden, den es angeht, auch für Nichtmitglieder.
Das sind dann Statuten mit autonomischen Rechtssätzen. Rosin, Öff. Genoss.
S. 187 ff., erklärt das erstere für einen autonomischen Rechtssatz, das letztere für
einen nichtautonomischen, der „auf dem Herrschaftsrecht des Staates beruht“,
„eine Delegation der gesetzgebenden Gewalt“ vorstellt. Autonomisch wären Statuten
der letzteren Art deshalb nicht, weil „der Kreis der Personen, auf welche sie An-
wendung finden sollen, auſserhalb der genossenschaftlichen Willenssphäre liegt“
(S. 189). Das sind ganz die Anschauungen von Gierke. Nichtmitglieder und ihre
Lehrlinge liegen allerdings auſserhalb der „Willenssphäre“ der Innung, bis das
Gesetz sie darein legt; aber in ihrer „Interessensphäre“ liegen sie zweifellos, so-
weit sie dem gleichen Gewerbe angehören. Die Innung ist da zur „Förderung der
gemeinsamen gewerblichen Interessen“. Daſs die Interessen des ganzen Gewerbes
an der guten Ordnung des Lehrlingswesens beteiligt sind, ist offenbar; die Innung
ist in Besorgung der ihr vom Gesetz und Verfassungsstatut zugewiesenen eignen
Angelegenheiten, wenn sie dafür wirkt. Nichtmitgliedern gegenüber hat sie nur
nicht von selbst auch die nötige Macht; die giebt ihr eben jetzt das Gesetz. Für
sich, nicht für den Staat, auch nicht, wie Rosin sagt, „im Auftrage des Staates“
— man müſste denn ihre ganze Lebensthätigkeit auf solch einen Auftrag stellen —
nimmt sie auf Grund der verliehenen Kraft die Ordnung des Lehrlingswesens für
das ganze Gewerbe in die Hand.
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[130/0150] Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung. das allein Rechtsquelle ist, werden wir aber zur Unterscheidung von jenen gleichnamigen Akten als das rechtssatzschaffende oder gesetzvertretende Statut bezeichnen. 4. Gegenüber dem gesetzten Rechte, wie es unsere drei bisher erörterten Rechtsquellen liefern, steht das Gewohnheitsrecht, als das ungesetzte, durch die thatsächliche Übung, die Gewohnheit erzeugte. 18 18 S. 182 verwischt den Unterschied, indem er beides auf die Autonomie der Gemeinde zurückführt; nur das erstere gehört dahin. Für Gierke, Genoss. Theorie S. 720 Note 2, bedeutet umgekehrt beides keine Autonomie, weil diese den Gegensatz bildet von „delegierter oder zur Ausübung übertragener Gesetzgebung“. Aber die Fähigkeit, Rechtssätze zu schaffen, wo sie den Beamten der Gemeinde zusteht, ist immer eine abgeleitete; es giebt keine andere. Es kommt nur darauf an, ob sie geübt wird im Namen des Staates, im übertragenen Wirkungskreis, dann giebt es eine Verordnung, oder im Namen der Gemeinde, im eignen Wirkungskreis, dann giebt es einen autonomischen Rechtssatz, ein Statut. Deshalb ist es auch nicht richtig zu sagen, es gehörten „alle Handlungen körperschaftlicher Autonomie not- wendig dem inneren Gemeinleben an“. Wenn die bayrische Gemeinde Verbrauchs- abgaben auf die eingeführten Waren legt, so verpflichtet sie damit nicht bloſs ihre Angehörigen, sondern auch Fremde. Gerade weil ihr das Gesetz die Kraft zu solchen Rechtssätzen übertragen hat, wirken sie gegen jedermann; autonomisch sind sie, weil die Kraft dazu ihr übertragen ist zu eignem Recht, für ihre Angelegen- heiten, ihre Steuern. Ein anderes Beispiel bietet die Innung. Diese kann ihren Mitgliedern Vor- schriften machen für die verfassungsmäſsigen Zwecke, z. B. über das Lehrlings- wesen; das ist Vereinsgewalt und bedeutet noch keinen Rechtssatz. Nach dem Gesetz (Gew.O. § 100 c) kann sie überdies ermächtigt werden, solche Bestimmungen allgemein verbindlich aufzustellen, für jeden, den es angeht, auch für Nichtmitglieder. Das sind dann Statuten mit autonomischen Rechtssätzen. Rosin, Öff. Genoss. S. 187 ff., erklärt das erstere für einen autonomischen Rechtssatz, das letztere für einen nichtautonomischen, der „auf dem Herrschaftsrecht des Staates beruht“, „eine Delegation der gesetzgebenden Gewalt“ vorstellt. Autonomisch wären Statuten der letzteren Art deshalb nicht, weil „der Kreis der Personen, auf welche sie An- wendung finden sollen, auſserhalb der genossenschaftlichen Willenssphäre liegt“ (S. 189). Das sind ganz die Anschauungen von Gierke. Nichtmitglieder und ihre Lehrlinge liegen allerdings auſserhalb der „Willenssphäre“ der Innung, bis das Gesetz sie darein legt; aber in ihrer „Interessensphäre“ liegen sie zweifellos, so- weit sie dem gleichen Gewerbe angehören. Die Innung ist da zur „Förderung der gemeinsamen gewerblichen Interessen“. Daſs die Interessen des ganzen Gewerbes an der guten Ordnung des Lehrlingswesens beteiligt sind, ist offenbar; die Innung ist in Besorgung der ihr vom Gesetz und Verfassungsstatut zugewiesenen eignen Angelegenheiten, wenn sie dafür wirkt. Nichtmitgliedern gegenüber hat sie nur nicht von selbst auch die nötige Macht; die giebt ihr eben jetzt das Gesetz. Für sich, nicht für den Staat, auch nicht, wie Rosin sagt, „im Auftrage des Staates“ — man müſste denn ihre ganze Lebensthätigkeit auf solch einen Auftrag stellen — nimmt sie auf Grund der verliehenen Kraft die Ordnung des Lehrlingswesens für das ganze Gewerbe in die Hand.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/150>, abgerufen am 26.11.2024.