unendlich klein werde, aber nie kann man sagen daß sie unendlich klein sey, weil dies so viel hieße, als eine Gränze setzen, über die sie nicht noch kleiner werden könnte.
XX. Zwar könnte man sagen, Null oder Nichts sey die Gränze bey immerwährender Ab- nahme oder das unendlich Kleine selbst. Aber dies widerspricht dem festgesetzten Begriff, daß die Grösse ohne Ende abnehme, daß sie immer kleiner werde, daß immer noch etwas von ihr vorhanden seyn soll, so weit man sich auch die Verminderung derselben gedenken will, und daß dies Vorhandene noch immer soll kleiner werden können.
Die Möglichkeit einer solchen unendlichen Ab- nahme, ohne je Null zu werden, kennt man ja schon aus der gemeinen Arithmetik, z. B. bey der Bruchreihe
[Formel 1]
oder allgemein
[Formel 2]
wie weit man auch hier die fortgesetzte Eintheilung der Einheit sich hinausgedenkt, so werden wir nie
auf
Differenzial-Rechnung. Vorbegriffe.
unendlich klein werde, aber nie kann man ſagen daß ſie unendlich klein ſey, weil dies ſo viel hieße, als eine Graͤnze ſetzen, uͤber die ſie nicht noch kleiner werden koͤnnte.
XX. Zwar koͤnnte man ſagen, Null oder Nichts ſey die Graͤnze bey immerwaͤhrender Ab- nahme oder das unendlich Kleine ſelbſt. Aber dies widerſpricht dem feſtgeſetzten Begriff, daß die Groͤſſe ohne Ende abnehme, daß ſie immer kleiner werde, daß immer noch etwas von ihr vorhanden ſeyn ſoll, ſo weit man ſich auch die Verminderung derſelben gedenken will, und daß dies Vorhandene noch immer ſoll kleiner werden koͤnnen.
Die Moͤglichkeit einer ſolchen unendlichen Ab- nahme, ohne je Null zu werden, kennt man ja ſchon aus der gemeinen Arithmetik, z. B. bey der Bruchreihe
[Formel 1]
oder allgemein
[Formel 2]
wie weit man auch hier die fortgeſetzte Eintheilung der Einheit ſich hinausgedenkt, ſo werden wir nie
auf
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Differenzial-Rechnung. Vorbegriffe.
unendlich klein werde, aber nie kann man ſagen
daß ſie unendlich klein ſey, weil dies ſo viel
hieße, als eine Graͤnze ſetzen, uͤber die ſie nicht
noch kleiner werden koͤnnte.
XX. Zwar koͤnnte man ſagen, Null oder
Nichts ſey die Graͤnze bey immerwaͤhrender Ab-
nahme oder das unendlich Kleine ſelbſt. Aber
dies widerſpricht dem feſtgeſetzten Begriff, daß
die Groͤſſe ohne Ende abnehme, daß ſie immer
kleiner werde, daß immer noch etwas von ihr
vorhanden ſeyn ſoll, ſo weit man ſich auch die
Verminderung derſelben gedenken will, und daß
dies Vorhandene noch immer ſoll kleiner werden
koͤnnen.
Die Moͤglichkeit einer ſolchen unendlichen Ab-
nahme, ohne je Null zu werden, kennt man ja
ſchon aus der gemeinen Arithmetik, z. B. bey
der Bruchreihe
[FORMEL] oder allgemein
[FORMEL] wie weit man auch hier die fortgeſetzte Eintheilung
der Einheit ſich hinausgedenkt, ſo werden wir nie
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Mayer, Johann Tobias: Vollständiger Lehrbegriff der höhern Analysis. Bd. 1. Göttingen, 1818, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_analysis01_1818/61>, abgerufen am 04.07.2024.
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