weil es mir Vergnügen machte, zu sehen, ob ich das Thal finden werde, ohne den Weg zu kennen. In der Rich- tung konnte ich mich nicht irren, und die Spuren der Dschesidi vom Tage vorher mußten mich ja ganz genau führen. Ich ritt also an der Kante des Thales hin, bis ich oberhalb des Heiligtumes anlangte. Bis hierher kam ich an zahlreichen Dschesidi vorüber, welche den Abhang eng besetzt hielten; dann aber wandte ich mich links in den Wald hinein. Einem geübten Auge war es selbst vom Pferde herab nicht schwer, die Spur zu erkennen. Wir folgten ihr und langten bald an der Stelle an, an welcher ich mit meinem Dolmetscher hinabgestiegen war. Hier stand eine Wache, welche den Auftrag hatte, jeden Unberufenen abzuweisen. Wir stiegen von den Pferden und ließen dieselben oben.
Als wir die Steilung hinunterkletterten, bot sich uns ein seltsamer, lebensvoller Anblick dar. Tausende von Frauen und Kindern hatten sich in den malerischsten Stellungen dort unten gelagert. Pferde grasten; Rinder weideten; Schafe und Ziegen kletterten an den Felsen her- um; aber kein Laut war zu hören, denn ein jeder redete leise, damit das Versteck ja nicht durch einen unvorsich- tigen Laut verraten werde. Am Wasser saß Mir Scheik Khan mit seinen Priestern. Sie empfingen mich mit großer Freude; denn sie hatten bisher nur erfahren, daß der Angriff des Feindes allerdings mißlungen sei, aber einen ausführlichen Bericht hatten sie noch nicht erhalten.
"Ist das Heiligtum erhalten?"
Das war die erste Frage, welche der Khan an mich richtete.
"Das Heiligtum ist unversehrt, und ebenso alle an- deren Gebäude."
"Wir hörten das Schießen. Ist viel Blut geflossen?"
II. 6
weil es mir Vergnügen machte, zu ſehen, ob ich das Thal finden werde, ohne den Weg zu kennen. In der Rich- tung konnte ich mich nicht irren, und die Spuren der Dſcheſidi vom Tage vorher mußten mich ja ganz genau führen. Ich ritt alſo an der Kante des Thales hin, bis ich oberhalb des Heiligtumes anlangte. Bis hierher kam ich an zahlreichen Dſcheſidi vorüber, welche den Abhang eng beſetzt hielten; dann aber wandte ich mich links in den Wald hinein. Einem geübten Auge war es ſelbſt vom Pferde herab nicht ſchwer, die Spur zu erkennen. Wir folgten ihr und langten bald an der Stelle an, an welcher ich mit meinem Dolmetſcher hinabgeſtiegen war. Hier ſtand eine Wache, welche den Auftrag hatte, jeden Unberufenen abzuweiſen. Wir ſtiegen von den Pferden und ließen dieſelben oben.
Als wir die Steilung hinunterkletterten, bot ſich uns ein ſeltſamer, lebensvoller Anblick dar. Tauſende von Frauen und Kindern hatten ſich in den maleriſchſten Stellungen dort unten gelagert. Pferde graſten; Rinder weideten; Schafe und Ziegen kletterten an den Felſen her- um; aber kein Laut war zu hören, denn ein jeder redete leiſe, damit das Verſteck ja nicht durch einen unvorſich- tigen Laut verraten werde. Am Waſſer ſaß Mir Scheik Khan mit ſeinen Prieſtern. Sie empfingen mich mit großer Freude; denn ſie hatten bisher nur erfahren, daß der Angriff des Feindes allerdings mißlungen ſei, aber einen ausführlichen Bericht hatten ſie noch nicht erhalten.
„Iſt das Heiligtum erhalten?“
Das war die erſte Frage, welche der Khan an mich richtete.
„Das Heiligtum iſt unverſehrt, und ebenſo alle an- deren Gebäude.“
„Wir hörten das Schießen. Iſt viel Blut gefloſſen?“
II. 6
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weil es mir Vergnügen machte, zu ſehen, ob ich das Thal
finden werde, ohne den Weg zu kennen. In der Rich-
tung konnte ich mich nicht irren, und die Spuren der
Dſcheſidi vom Tage vorher mußten mich ja ganz genau
führen. Ich ritt alſo an der Kante des Thales hin, bis
ich oberhalb des Heiligtumes anlangte. Bis hierher kam
ich an zahlreichen Dſcheſidi vorüber, welche den Abhang
eng beſetzt hielten; dann aber wandte ich mich links in
den Wald hinein. Einem geübten Auge war es ſelbſt
vom Pferde herab nicht ſchwer, die Spur zu erkennen.
Wir folgten ihr und langten bald an der Stelle an, an
welcher ich mit meinem Dolmetſcher hinabgeſtiegen war.
Hier ſtand eine Wache, welche den Auftrag hatte, jeden
Unberufenen abzuweiſen. Wir ſtiegen von den Pferden
und ließen dieſelben oben.
Als wir die Steilung hinunterkletterten, bot ſich uns
ein ſeltſamer, lebensvoller Anblick dar. Tauſende von
Frauen und Kindern hatten ſich in den maleriſchſten
Stellungen dort unten gelagert. Pferde graſten; Rinder
weideten; Schafe und Ziegen kletterten an den Felſen her-
um; aber kein Laut war zu hören, denn ein jeder redete
leiſe, damit das Verſteck ja nicht durch einen unvorſich-
tigen Laut verraten werde. Am Waſſer ſaß Mir Scheik
Khan mit ſeinen Prieſtern. Sie empfingen mich mit großer
Freude; denn ſie hatten bisher nur erfahren, daß der
Angriff des Feindes allerdings mißlungen ſei, aber einen
ausführlichen Bericht hatten ſie noch nicht erhalten.
„Iſt das Heiligtum erhalten?“
Das war die erſte Frage, welche der Khan an mich
richtete.
„Das Heiligtum iſt unverſehrt, und ebenſo alle an-
deren Gebäude.“
„Wir hörten das Schießen. Iſt viel Blut gefloſſen?“
II. 6
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/95>, abgerufen am 25.11.2024.
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