suche, bis ich weiß, wie der Mutessarif über uns ver- fügen wird."
"Der Durchbruch würde dein Verderben sein; er würde euch aufreiben."
"Bey, ich will ehrlich sein und zugeben, daß unsere Lage eine sehr schlimme ist; aber weißt du, was tausend Mann vermögen, wenn sie zur Verzweiflung getrieben werden?"
"Ich weiß es, aber es kommt dennoch keiner von euch davon."
"Aber es wird auch mancher von euch fallen! Und bedenke, daß dem Mutessarif noch das Linien- und Dra- gonerregiment zur Verfügung steht, dessen größter Teil in Mossul zurückgeblieben ist. Rechne dazu die Hilfe, welche er aus Kjerkjuk und Diarbekir, aus Sulimanijah und andern Garnisonen erhalten kann; rechne dazu die Artillerie, welche ihm noch zur Verfügung steht, und du wirst einsehen, daß du zwar Herr der jetzigen Situation bist, es aber wohl nicht bleiben wirst."
"Soll ich auf einen Sieg und seine Ausnutzung ver- zichten, weil ich später vielleicht geschlagen werden kann? Der Mutessarif mag mit seinen Regimentern kommen; ich werde ihm sagen lassen, daß es euch das Leben kostet, wenn er mich nochmals angreift. Und wenn ihm weitere Hilfe zur Verfügung steht, so ist dies bei mir ebenso der Fall. Du weißt, daß es nur meines Aufrufes bedarf, um so manchen tapfern Stamm der Kurden zur Erhebung gegen ihn zu bringen. Doch ich liebe den Frieden und nicht den Krieg. Ich habe zwar heute Dschesidi aus ganz Kurdistan und den angrenzenden Provinzen um mich ver- sammelt und könnte die Fackel des Aufstandes unter sie schleudern; aber ich thue es nicht, sobald der Mutessarif mir erlaubt, die Rechte der Meinigen zu wahren. Ich
ſuche, bis ich weiß, wie der Muteſſarif über uns ver- fügen wird.“
„Der Durchbruch würde dein Verderben ſein; er würde euch aufreiben.“
„Bey, ich will ehrlich ſein und zugeben, daß unſere Lage eine ſehr ſchlimme iſt; aber weißt du, was tauſend Mann vermögen, wenn ſie zur Verzweiflung getrieben werden?“
„Ich weiß es, aber es kommt dennoch keiner von euch davon.“
„Aber es wird auch mancher von euch fallen! Und bedenke, daß dem Muteſſarif noch das Linien- und Dra- gonerregiment zur Verfügung ſteht, deſſen größter Teil in Moſſul zurückgeblieben iſt. Rechne dazu die Hilfe, welche er aus Kjerkjuk und Diarbekir, aus Sulimanijah und andern Garniſonen erhalten kann; rechne dazu die Artillerie, welche ihm noch zur Verfügung ſteht, und du wirſt einſehen, daß du zwar Herr der jetzigen Situation biſt, es aber wohl nicht bleiben wirſt.“
„Soll ich auf einen Sieg und ſeine Ausnutzung ver- zichten, weil ich ſpäter vielleicht geſchlagen werden kann? Der Muteſſarif mag mit ſeinen Regimentern kommen; ich werde ihm ſagen laſſen, daß es euch das Leben koſtet, wenn er mich nochmals angreift. Und wenn ihm weitere Hilfe zur Verfügung ſteht, ſo iſt dies bei mir ebenſo der Fall. Du weißt, daß es nur meines Aufrufes bedarf, um ſo manchen tapfern Stamm der Kurden zur Erhebung gegen ihn zu bringen. Doch ich liebe den Frieden und nicht den Krieg. Ich habe zwar heute Dſcheſidi aus ganz Kurdiſtan und den angrenzenden Provinzen um mich ver- ſammelt und könnte die Fackel des Aufſtandes unter ſie ſchleudern; aber ich thue es nicht, ſobald der Muteſſarif mir erlaubt, die Rechte der Meinigen zu wahren. Ich
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[77/0091]
ſuche, bis ich weiß, wie der Muteſſarif über uns ver-
fügen wird.“
„Der Durchbruch würde dein Verderben ſein; er
würde euch aufreiben.“
„Bey, ich will ehrlich ſein und zugeben, daß unſere
Lage eine ſehr ſchlimme iſt; aber weißt du, was tauſend
Mann vermögen, wenn ſie zur Verzweiflung getrieben
werden?“
„Ich weiß es, aber es kommt dennoch keiner von euch
davon.“
„Aber es wird auch mancher von euch fallen! Und
bedenke, daß dem Muteſſarif noch das Linien- und Dra-
gonerregiment zur Verfügung ſteht, deſſen größter Teil
in Moſſul zurückgeblieben iſt. Rechne dazu die Hilfe,
welche er aus Kjerkjuk und Diarbekir, aus Sulimanijah
und andern Garniſonen erhalten kann; rechne dazu die
Artillerie, welche ihm noch zur Verfügung ſteht, und du
wirſt einſehen, daß du zwar Herr der jetzigen Situation
biſt, es aber wohl nicht bleiben wirſt.“
„Soll ich auf einen Sieg und ſeine Ausnutzung ver-
zichten, weil ich ſpäter vielleicht geſchlagen werden kann?
Der Muteſſarif mag mit ſeinen Regimentern kommen;
ich werde ihm ſagen laſſen, daß es euch das Leben koſtet,
wenn er mich nochmals angreift. Und wenn ihm weitere
Hilfe zur Verfügung ſteht, ſo iſt dies bei mir ebenſo der
Fall. Du weißt, daß es nur meines Aufrufes bedarf,
um ſo manchen tapfern Stamm der Kurden zur Erhebung
gegen ihn zu bringen. Doch ich liebe den Frieden und
nicht den Krieg. Ich habe zwar heute Dſcheſidi aus ganz
Kurdiſtan und den angrenzenden Provinzen um mich ver-
ſammelt und könnte die Fackel des Aufſtandes unter ſie
ſchleudern; aber ich thue es nicht, ſobald der Muteſſarif
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/91>, abgerufen am 26.11.2024.
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