"Im Hofe des Melek. Ich habe ihn dem Haddedihn übergeben."
"So ist er in guten Händen."
Da erschollen leichte Schritte draußen. Halef griff nach seinen Waffen, und Dojan machte sich sprungfertig. Ich beruhigte beide, denn es war Ingdscha, die eintrat.
Das Mädchen blieb ganz erstaunt am Eingange stehen, als sie den Diener und den Hund erblickte.
"Fürchte dich nicht," sagte ich; "dieser Mann und dieser Hund sind dir freundlich gesinnt."
"Wie kommen sie hierher?"
"Sie haben mich aufgesucht, um mich zu befreien."
"So willst du uns verlassen?"
"Jetzt noch nicht."
"Bedarfst du noch des Ruh 'i kulyan?"
"Ja. Willst du mich noch zu ihm führen?"
"Gern, Emir. Hier habe ich dir Speise und Trank gebracht. Nun aber wird es nicht ausreichen für zwei und den Hund."
Sie trug einen großen Binsenkorb, der voll be- packt war. Es hätten fünf Männer sich satt essen können.
"Sorge dich nicht, du Gute," antwortete ich; "es reicht für mehr als für uns. Du und Madana, ihr beide sollt auch mit zulangen."
"Herr, wir sind Frauen!"
"In meinem Vaterlande werden die Frauen nicht verachtet. Bei uns sind sie die Zierde und der Stolz des Hauses und nehmen beim Mahle den Ehrenplatz ein."
"O, Emir, wie glücklich sind eure Frauen!"
"Aber sie müssen mit Schaufeln essen!" fiel die ,Peter- silie' in sehr mitleidigem Tone ein.
"Das sind keine Schaufeln, sondern kleine, zierliche Werkzeuge von schönem Metall, mit denen es sich ganz
„Im Hofe des Melek. Ich habe ihn dem Haddedihn übergeben.“
„So iſt er in guten Händen.“
Da erſchollen leichte Schritte draußen. Halef griff nach ſeinen Waffen, und Dojan machte ſich ſprungfertig. Ich beruhigte beide, denn es war Ingdſcha, die eintrat.
Das Mädchen blieb ganz erſtaunt am Eingange ſtehen, als ſie den Diener und den Hund erblickte.
„Fürchte dich nicht,“ ſagte ich; „dieſer Mann und dieſer Hund ſind dir freundlich geſinnt.“
„Wie kommen ſie hierher?“
„Sie haben mich aufgeſucht, um mich zu befreien.“
„So willſt du uns verlaſſen?“
„Jetzt noch nicht.“
„Bedarfſt du noch des Ruh 'i kulyan?“
„Ja. Willſt du mich noch zu ihm führen?“
„Gern, Emir. Hier habe ich dir Speiſe und Trank gebracht. Nun aber wird es nicht ausreichen für zwei und den Hund.“
Sie trug einen großen Binſenkorb, der voll be- packt war. Es hätten fünf Männer ſich ſatt eſſen können.
„Sorge dich nicht, du Gute,“ antwortete ich; „es reicht für mehr als für uns. Du und Madana, ihr beide ſollt auch mit zulangen.“
„Herr, wir ſind Frauen!“
„In meinem Vaterlande werden die Frauen nicht verachtet. Bei uns ſind ſie die Zierde und der Stolz des Hauſes und nehmen beim Mahle den Ehrenplatz ein.“
„O, Emir, wie glücklich ſind eure Frauen!“
„Aber ſie müſſen mit Schaufeln eſſen!“ fiel die ‚Peter- ſilie‘ in ſehr mitleidigem Tone ein.
„Das ſind keine Schaufeln, ſondern kleine, zierliche Werkzeuge von ſchönem Metall, mit denen es ſich ganz
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„Im Hofe des Melek. Ich habe ihn dem Haddedihn
übergeben.“
„So iſt er in guten Händen.“
Da erſchollen leichte Schritte draußen. Halef griff
nach ſeinen Waffen, und Dojan machte ſich ſprungfertig.
Ich beruhigte beide, denn es war Ingdſcha, die eintrat.
Das Mädchen blieb ganz erſtaunt am Eingange ſtehen,
als ſie den Diener und den Hund erblickte.
„Fürchte dich nicht,“ ſagte ich; „dieſer Mann und
dieſer Hund ſind dir freundlich geſinnt.“
„Wie kommen ſie hierher?“
„Sie haben mich aufgeſucht, um mich zu befreien.“
„So willſt du uns verlaſſen?“
„Jetzt noch nicht.“
„Bedarfſt du noch des Ruh 'i kulyan?“
„Ja. Willſt du mich noch zu ihm führen?“
„Gern, Emir. Hier habe ich dir Speiſe und Trank
gebracht. Nun aber wird es nicht ausreichen für zwei
und den Hund.“
Sie trug einen großen Binſenkorb, der voll be-
packt war. Es hätten fünf Männer ſich ſatt eſſen können.
„Sorge dich nicht, du Gute,“ antwortete ich; „es
reicht für mehr als für uns. Du und Madana, ihr beide
ſollt auch mit zulangen.“
„Herr, wir ſind Frauen!“
„In meinem Vaterlande werden die Frauen nicht
verachtet. Bei uns ſind ſie die Zierde und der Stolz des
Hauſes und nehmen beim Mahle den Ehrenplatz ein.“
„O, Emir, wie glücklich ſind eure Frauen!“
„Aber ſie müſſen mit Schaufeln eſſen!“ fiel die ‚Peter-
ſilie‘ in ſehr mitleidigem Tone ein.
„Das ſind keine Schaufeln, ſondern kleine, zierliche
Werkzeuge von ſchönem Metall, mit denen es ſich ganz
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 582. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/596>, abgerufen am 26.11.2024.
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