Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

frei zu geben, so verlacht er mich; wenn es ihm aber der
Geist gebietet, so wird er gehorchen."

"Warst auch du einmal des Nachts oben bei der
Höhle?"

"Mehrere Male. Ich habe für meine Mutter und
Schwester gebeten."

"Wurde deine Bitte erfüllt?"

"Ja."

"Wer brachte dir die Erfüllung?"

"Die ersten Male kam es des Nachts, und ich konnte
nichts sehen; beim letzten Male aber war es Marah
Durimeh. Der Geist war ihr erschienen und hatte sie
zu mir gesandt."

"So kennst du Marah Durimeh?"

"Ich kenne sie, seit ich lebe."

"Sie ist wohl oft bei euch?"

"Ja, Herr. Und dann gehe ich mit ihr auf die
Berge, um Kräuter zu sammeln, oder wir besuchen die
Kranken, welche ihrer Hilfe bedürfen."

"Wo wohnet sie?"

"Niemand weiß es. Vielleicht hat sie nirgends eine
Wohnung, aber sie ist in jedem Hause willkommen, in
das sie kommt."

"Woher stammt sie?"

"Darüber wird sehr verschieden gesprochen. Die
meisten erzählen, daß sie eine Fürstin aus dem alten
Geschlechte der Könige von Lizan sei. Das war ein gar
mächtiges Geschlecht, und ganz Tijari und Tkhoma war
ihm unterthan. Sie aßen und tranken aus goldenen Ge-
fäßen, und alles andere war von Silber und Metall
gemacht. Da aber wandten sie sich dem Propheten von
Medina zu, und der Herr schüttelte die Wolken seines
Zornes über sie aus; sie wurden verstreut in alle Lande.

frei zu geben, ſo verlacht er mich; wenn es ihm aber der
Geiſt gebietet, ſo wird er gehorchen.“

„Warſt auch du einmal des Nachts oben bei der
Höhle?“

„Mehrere Male. Ich habe für meine Mutter und
Schweſter gebeten.“

„Wurde deine Bitte erfüllt?“

„Ja.“

„Wer brachte dir die Erfüllung?“

„Die erſten Male kam es des Nachts, und ich konnte
nichts ſehen; beim letzten Male aber war es Marah
Durimeh. Der Geiſt war ihr erſchienen und hatte ſie
zu mir geſandt.“

„So kennſt du Marah Durimeh?“

„Ich kenne ſie, ſeit ich lebe.“

„Sie iſt wohl oft bei euch?“

„Ja, Herr. Und dann gehe ich mit ihr auf die
Berge, um Kräuter zu ſammeln, oder wir beſuchen die
Kranken, welche ihrer Hilfe bedürfen.“

„Wo wohnet ſie?“

„Niemand weiß es. Vielleicht hat ſie nirgends eine
Wohnung, aber ſie iſt in jedem Hauſe willkommen, in
das ſie kommt.“

„Woher ſtammt ſie?“

„Darüber wird ſehr verſchieden geſprochen. Die
meiſten erzählen, daß ſie eine Fürſtin aus dem alten
Geſchlechte der Könige von Lizan ſei. Das war ein gar
mächtiges Geſchlecht, und ganz Tijari und Tkhoma war
ihm unterthan. Sie aßen und tranken aus goldenen Ge-
fäßen, und alles andere war von Silber und Metall
gemacht. Da aber wandten ſie ſich dem Propheten von
Medina zu, und der Herr ſchüttelte die Wolken ſeines
Zornes über ſie aus; ſie wurden verſtreut in alle Lande.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0584" n="570"/>
frei zu geben, &#x017F;o verlacht er mich; wenn es ihm aber der<lb/>
Gei&#x017F;t gebietet, &#x017F;o wird er gehorchen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;War&#x017F;t auch du einmal des Nachts oben bei der<lb/>
Höhle?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Mehrere Male. Ich habe für meine Mutter und<lb/>
Schwe&#x017F;ter gebeten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wurde deine Bitte erfüllt?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wer brachte dir die Erfüllung?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Die er&#x017F;ten Male kam es des Nachts, und ich konnte<lb/>
nichts &#x017F;ehen; beim letzten Male aber war es Marah<lb/>
Durimeh. Der Gei&#x017F;t war ihr er&#x017F;chienen und hatte &#x017F;ie<lb/>
zu mir ge&#x017F;andt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;So kenn&#x017F;t du Marah Durimeh?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich kenne &#x017F;ie, &#x017F;eit ich lebe.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie i&#x017F;t wohl oft bei euch?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja, Herr. Und dann gehe ich mit ihr auf die<lb/>
Berge, um Kräuter zu &#x017F;ammeln, oder wir be&#x017F;uchen die<lb/>
Kranken, welche ihrer Hilfe bedürfen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wo wohnet &#x017F;ie?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Niemand weiß es. Vielleicht hat &#x017F;ie nirgends eine<lb/>
Wohnung, aber &#x017F;ie i&#x017F;t in jedem Hau&#x017F;e willkommen, in<lb/>
das &#x017F;ie kommt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Woher &#x017F;tammt &#x017F;ie?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Darüber wird &#x017F;ehr ver&#x017F;chieden ge&#x017F;prochen. Die<lb/>
mei&#x017F;ten erzählen, daß &#x017F;ie eine Für&#x017F;tin aus dem alten<lb/>
Ge&#x017F;chlechte der Könige von Lizan &#x017F;ei. Das war ein gar<lb/>
mächtiges Ge&#x017F;chlecht, und ganz Tijari und Tkhoma war<lb/>
ihm unterthan. Sie aßen und tranken aus goldenen Ge-<lb/>
fäßen, und alles andere war von Silber und Metall<lb/>
gemacht. Da aber wandten &#x017F;ie &#x017F;ich dem Propheten von<lb/>
Medina zu, und der Herr &#x017F;chüttelte die Wolken &#x017F;eines<lb/>
Zornes über &#x017F;ie aus; &#x017F;ie wurden ver&#x017F;treut in alle Lande.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[570/0584] frei zu geben, ſo verlacht er mich; wenn es ihm aber der Geiſt gebietet, ſo wird er gehorchen.“ „Warſt auch du einmal des Nachts oben bei der Höhle?“ „Mehrere Male. Ich habe für meine Mutter und Schweſter gebeten.“ „Wurde deine Bitte erfüllt?“ „Ja.“ „Wer brachte dir die Erfüllung?“ „Die erſten Male kam es des Nachts, und ich konnte nichts ſehen; beim letzten Male aber war es Marah Durimeh. Der Geiſt war ihr erſchienen und hatte ſie zu mir geſandt.“ „So kennſt du Marah Durimeh?“ „Ich kenne ſie, ſeit ich lebe.“ „Sie iſt wohl oft bei euch?“ „Ja, Herr. Und dann gehe ich mit ihr auf die Berge, um Kräuter zu ſammeln, oder wir beſuchen die Kranken, welche ihrer Hilfe bedürfen.“ „Wo wohnet ſie?“ „Niemand weiß es. Vielleicht hat ſie nirgends eine Wohnung, aber ſie iſt in jedem Hauſe willkommen, in das ſie kommt.“ „Woher ſtammt ſie?“ „Darüber wird ſehr verſchieden geſprochen. Die meiſten erzählen, daß ſie eine Fürſtin aus dem alten Geſchlechte der Könige von Lizan ſei. Das war ein gar mächtiges Geſchlecht, und ganz Tijari und Tkhoma war ihm unterthan. Sie aßen und tranken aus goldenen Ge- fäßen, und alles andere war von Silber und Metall gemacht. Da aber wandten ſie ſich dem Propheten von Medina zu, und der Herr ſchüttelte die Wolken ſeines Zornes über ſie aus; ſie wurden verſtreut in alle Lande.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/584
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 570. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/584>, abgerufen am 27.11.2024.