"Sie wird. Sie ist der Liebling Marah Durimehs, und ich habe mit ihr gesprochen von dem fremden Emir, welcher das Gift besiegt und dessen Waffen niemand widerstehen kann."
Also war mein Ruf als Wunderdoktor selbst bis hierher gedrungen. Erstaunt fragte ich:
"Wer sagte das?"
"Dein Diener hat es in Amadijah dem Vater der Kranken erzählt, und Marah Durimeh hat es Ingdscha wiedergesagt. Sie ist begierig, einen Emir aus Frankistan zu sehen. Soll ich sie rufen, Herr?"
"Ja, wenn es nicht viel gewagt ist."
"Dann aber muß ich dich vorher binden, doch bloß bis ich wiederkomme."
"So thue es!"
Ich ließ mich unter diesen Umständen ganz gern wieder fesseln, und als dies geschehen war, verließ die Alte die Hütte. Bald kehrte sie zurück und meldete, daß Ingdscha kommen würde. Sie entfesselte mir die Hände, und ich fragte, ob sie im Dorfe gewesen sei, und äußerte die Besorgnis:
"Aber wenn man dich gesehen hat? Du sollst mich doch bewachen!"
"O, die Männer sind nicht daheim, und die Frauen, welche mich ja gesehen haben können, werden mich nicht verraten."
"Wo sind die Männer?"
"Sie sind gen Lizan gegangen."
"Was thun sie dort?"
"Ich habe nicht gefragt. Was geht mich das Treiben der Männer an! Wenn Ingdscha kommt, wird sie es dir vielleicht sagen."
Die Alte setzte sich wieder vor die Thür. Nach einiger
„Sie wird. Sie iſt der Liebling Marah Durimehs, und ich habe mit ihr geſprochen von dem fremden Emir, welcher das Gift beſiegt und deſſen Waffen niemand widerſtehen kann.“
Alſo war mein Ruf als Wunderdoktor ſelbſt bis hierher gedrungen. Erſtaunt fragte ich:
„Wer ſagte das?“
„Dein Diener hat es in Amadijah dem Vater der Kranken erzählt, und Marah Durimeh hat es Ingdſcha wiedergeſagt. Sie iſt begierig, einen Emir aus Frankiſtan zu ſehen. Soll ich ſie rufen, Herr?“
„Ja, wenn es nicht viel gewagt iſt.“
„Dann aber muß ich dich vorher binden, doch bloß bis ich wiederkomme.“
„So thue es!“
Ich ließ mich unter dieſen Umſtänden ganz gern wieder feſſeln, und als dies geſchehen war, verließ die Alte die Hütte. Bald kehrte ſie zurück und meldete, daß Ingdſcha kommen würde. Sie entfeſſelte mir die Hände, und ich fragte, ob ſie im Dorfe geweſen ſei, und äußerte die Beſorgnis:
„Aber wenn man dich geſehen hat? Du ſollſt mich doch bewachen!“
„O, die Männer ſind nicht daheim, und die Frauen, welche mich ja geſehen haben können, werden mich nicht verraten.“
„Wo ſind die Männer?“
„Sie ſind gen Lizan gegangen.“
„Was thun ſie dort?“
„Ich habe nicht gefragt. Was geht mich das Treiben der Männer an! Wenn Ingdſcha kommt, wird ſie es dir vielleicht ſagen.“
Die Alte ſetzte ſich wieder vor die Thür. Nach einiger
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„Sie wird. Sie iſt der Liebling Marah Durimehs,
und ich habe mit ihr geſprochen von dem fremden Emir,
welcher das Gift beſiegt und deſſen Waffen niemand
widerſtehen kann.“
Alſo war mein Ruf als Wunderdoktor ſelbſt bis
hierher gedrungen. Erſtaunt fragte ich:
„Wer ſagte das?“
„Dein Diener hat es in Amadijah dem Vater der
Kranken erzählt, und Marah Durimeh hat es Ingdſcha
wiedergeſagt. Sie iſt begierig, einen Emir aus Frankiſtan
zu ſehen. Soll ich ſie rufen, Herr?“
„Ja, wenn es nicht viel gewagt iſt.“
„Dann aber muß ich dich vorher binden, doch bloß
bis ich wiederkomme.“
„So thue es!“
Ich ließ mich unter dieſen Umſtänden ganz gern
wieder feſſeln, und als dies geſchehen war, verließ die
Alte die Hütte. Bald kehrte ſie zurück und meldete, daß
Ingdſcha kommen würde. Sie entfeſſelte mir die Hände,
und ich fragte, ob ſie im Dorfe geweſen ſei, und äußerte
die Beſorgnis:
„Aber wenn man dich geſehen hat? Du ſollſt mich
doch bewachen!“
„O, die Männer ſind nicht daheim, und die Frauen,
welche mich ja geſehen haben können, werden mich nicht
verraten.“
„Wo ſind die Männer?“
„Sie ſind gen Lizan gegangen.“
„Was thun ſie dort?“
„Ich habe nicht gefragt. Was geht mich das Treiben
der Männer an! Wenn Ingdſcha kommt, wird ſie es
dir vielleicht ſagen.“
Die Alte ſetzte ſich wieder vor die Thür. Nach einiger
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 566. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/580>, abgerufen am 27.11.2024.
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