"Sie werden mir sogar das Opfer bringen, und ich werde heute den wichtigsten Tag meines Lebens feiern."
Fast wollte es mir unheimlich werden bei dem Klange dieser hohlen, tiefen Stimme. Ich überwand jedoch dieses Gefühl und fragte:
"Wolltest du nicht heute noch mit mir über dein Buch sprechen, welches mir Ali Bey geliehen hatte?"
"Kann es dir Freude machen und Nutzen bringen?"
"Gewiß!"
"Emir, ich bin ein armer Priester; nur dreierlei ge- hört mir: mein Leben, mein Kleid und das Buch, von dem du redest. Mein Leben bringe ich dem Reinen, dem Mächtigen, dem Erbarmenden zurück, der mir es geliehen hat; mein Kleid überlasse ich dem Elemente, in welchem auch mein Leib begraben wird, und das Buch schenke ich dir, damit dein Geist mit dem meinigen sprechen könne, wenn Zeiten, Länder, Meere und Welten uns voneinander trennen."
War dies nur eine blumige, orientalische Ausdrucks- weise, oder sprach aus ihm wirklich die Ahnung eines nahen Todes? Es überlief mich ein Schauder, den ich nicht abschütteln konnte.
"Pir Kamek, deine Gabe ist groß; fast kann ich sie nicht annehmen!"
"Emir, ich liebe dich. Du wirst das Buch erhalten, und wenn dein Blick auf die Worte fällt, die meine Hand geschrieben hat, so denke an das letzte Wort, wel- ches diese Hand schreiben wird in das Buch, darinnen verzeichnet steht die blutige Geschichte der Dschesidi, der Verachteten und Verfolgten."
Ich konnte nicht anders, ich mußte ihn umarmen.
"Ich danke dir, Pir Kamek! Auch ich liebe dich, und wenn ich dein Buch öffne, so wird vor mich treten deine
„Sie werden mir ſogar das Opfer bringen, und ich werde heute den wichtigſten Tag meines Lebens feiern.“
Faſt wollte es mir unheimlich werden bei dem Klange dieſer hohlen, tiefen Stimme. Ich überwand jedoch dieſes Gefühl und fragte:
„Wollteſt du nicht heute noch mit mir über dein Buch ſprechen, welches mir Ali Bey geliehen hatte?“
„Kann es dir Freude machen und Nutzen bringen?“
„Gewiß!“
„Emir, ich bin ein armer Prieſter; nur dreierlei ge- hört mir: mein Leben, mein Kleid und das Buch, von dem du redeſt. Mein Leben bringe ich dem Reinen, dem Mächtigen, dem Erbarmenden zurück, der mir es geliehen hat; mein Kleid überlaſſe ich dem Elemente, in welchem auch mein Leib begraben wird, und das Buch ſchenke ich dir, damit dein Geiſt mit dem meinigen ſprechen könne, wenn Zeiten, Länder, Meere und Welten uns voneinander trennen.“
War dies nur eine blumige, orientaliſche Ausdrucks- weiſe, oder ſprach aus ihm wirklich die Ahnung eines nahen Todes? Es überlief mich ein Schauder, den ich nicht abſchütteln konnte.
„Pir Kamek, deine Gabe iſt groß; faſt kann ich ſie nicht annehmen!“
„Emir, ich liebe dich. Du wirſt das Buch erhalten, und wenn dein Blick auf die Worte fällt, die meine Hand geſchrieben hat, ſo denke an das letzte Wort, wel- ches dieſe Hand ſchreiben wird in das Buch, darinnen verzeichnet ſteht die blutige Geſchichte der Dſcheſidi, der Verachteten und Verfolgten.“
Ich konnte nicht anders, ich mußte ihn umarmen.
„Ich danke dir, Pir Kamek! Auch ich liebe dich, und wenn ich dein Buch öffne, ſo wird vor mich treten deine
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„Sie werden mir ſogar das Opfer bringen, und ich
werde heute den wichtigſten Tag meines Lebens feiern.“
Faſt wollte es mir unheimlich werden bei dem Klange
dieſer hohlen, tiefen Stimme. Ich überwand jedoch dieſes
Gefühl und fragte:
„Wollteſt du nicht heute noch mit mir über dein Buch
ſprechen, welches mir Ali Bey geliehen hatte?“
„Kann es dir Freude machen und Nutzen bringen?“
„Gewiß!“
„Emir, ich bin ein armer Prieſter; nur dreierlei ge-
hört mir: mein Leben, mein Kleid und das Buch, von
dem du redeſt. Mein Leben bringe ich dem Reinen, dem
Mächtigen, dem Erbarmenden zurück, der mir es geliehen
hat; mein Kleid überlaſſe ich dem Elemente, in welchem
auch mein Leib begraben wird, und das Buch ſchenke ich
dir, damit dein Geiſt mit dem meinigen ſprechen könne,
wenn Zeiten, Länder, Meere und Welten uns voneinander
trennen.“
War dies nur eine blumige, orientaliſche Ausdrucks-
weiſe, oder ſprach aus ihm wirklich die Ahnung eines
nahen Todes? Es überlief mich ein Schauder, den ich
nicht abſchütteln konnte.
„Pir Kamek, deine Gabe iſt groß; faſt kann ich ſie
nicht annehmen!“
„Emir, ich liebe dich. Du wirſt das Buch erhalten,
und wenn dein Blick auf die Worte fällt, die meine
Hand geſchrieben hat, ſo denke an das letzte Wort, wel-
ches dieſe Hand ſchreiben wird in das Buch, darinnen
verzeichnet ſteht die blutige Geſchichte der Dſcheſidi, der
Verachteten und Verfolgten.“
Ich konnte nicht anders, ich mußte ihn umarmen.
„Ich danke dir, Pir Kamek! Auch ich liebe dich, und
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/56>, abgerufen am 23.12.2024.
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