genug Raum zur bequemen Verhandlung bot. Rundum waren die Pferde angebunden. Etwa zwanzig martialische Krieger saßen mit dem Agha in der Mitte des Platzes; die übrigen aber hatten sich ehrerbietig zurückgezogen, ent- weder bei den Pferden oder tiefer im Busche stehend, um für unsere Sicherheit zu sorgen. Es war ein malerischer Anblick, den diese sonderbar gekleideten Kurden mit ihren so verschieden aufgeschirrten Tieren boten; doch hatte ich keine Zeit, weitere Betrachtungen darüber anzustellen.
"Herr," begann der Agha, "wir sind bereit, zu hören, was du uns zu sagen hast. Aber gehört dieser auch mit zu den Assiretha?"
Er deutete dabei auf Mohammed Emin. Diesen bös gemeinten Hieb mußte ich sofort zurückgeben.
"Mohammed Emin ist der berühmte Emir der Beni Haddedihn vom Stamme der Arab-esch-Schammar. Er ist ein weiser Fürst und ein unüberwindlicher Krieger, dessen grauen Bart selbst der Ungläubige achtet. Noch niemand hat es gewagt, ihn vom Pferde zu werfen oder ihm den Fuß auf den Leib zu setzen. Sage noch ein einziges Wort, welches mir nicht gefällt, so kehre ich zum Bey zurück, nehme dich aber vor mich auf das Pferd und lasse dir in Lizan die Fußsohlen peitschen!"
"Herr, du wolltest in Frieden mit mir reden!"
"So halte du selbst diesen Frieden, Mensch! Zwei Emire wie Mohammed Emin und ich lassen sich von tau- send Männern nicht beleidigen. Mit unseren Waffen brauchen wir dein ganzes Land Chal nicht zu fürchten. Wir stellen uns unter das Odschag *) dieser Berwari- Kurden, die nicht zugeben werden, daß die Freunde ihres Bey beleidigt werden."
Wer das Odschag anruft, dem ist der beste Schutz
*) Schutz, Hausrecht.
genug Raum zur bequemen Verhandlung bot. Rundum waren die Pferde angebunden. Etwa zwanzig martialiſche Krieger ſaßen mit dem Agha in der Mitte des Platzes; die übrigen aber hatten ſich ehrerbietig zurückgezogen, ent- weder bei den Pferden oder tiefer im Buſche ſtehend, um für unſere Sicherheit zu ſorgen. Es war ein maleriſcher Anblick, den dieſe ſonderbar gekleideten Kurden mit ihren ſo verſchieden aufgeſchirrten Tieren boten; doch hatte ich keine Zeit, weitere Betrachtungen darüber anzuſtellen.
„Herr,“ begann der Agha, „wir ſind bereit, zu hören, was du uns zu ſagen haſt. Aber gehört dieſer auch mit zu den Aſſiretha?“
Er deutete dabei auf Mohammed Emin. Dieſen bös gemeinten Hieb mußte ich ſofort zurückgeben.
„Mohammed Emin iſt der berühmte Emir der Beni Haddedihn vom Stamme der Arab-eſch-Schammar. Er iſt ein weiſer Fürſt und ein unüberwindlicher Krieger, deſſen grauen Bart ſelbſt der Ungläubige achtet. Noch niemand hat es gewagt, ihn vom Pferde zu werfen oder ihm den Fuß auf den Leib zu ſetzen. Sage noch ein einziges Wort, welches mir nicht gefällt, ſo kehre ich zum Bey zurück, nehme dich aber vor mich auf das Pferd und laſſe dir in Lizan die Fußſohlen peitſchen!“
„Herr, du wollteſt in Frieden mit mir reden!“
„So halte du ſelbſt dieſen Frieden, Menſch! Zwei Emire wie Mohammed Emin und ich laſſen ſich von tau- ſend Männern nicht beleidigen. Mit unſeren Waffen brauchen wir dein ganzes Land Chal nicht zu fürchten. Wir ſtellen uns unter das Odſchag *) dieſer Berwari- Kurden, die nicht zugeben werden, daß die Freunde ihres Bey beleidigt werden.“
Wer das Odſchag anruft, dem iſt der beſte Schutz
*) Schutz, Hausrecht.
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genug Raum zur bequemen Verhandlung bot. Rundum
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Krieger ſaßen mit dem Agha in der Mitte des Platzes;
die übrigen aber hatten ſich ehrerbietig zurückgezogen, ent-
weder bei den Pferden oder tiefer im Buſche ſtehend, um
für unſere Sicherheit zu ſorgen. Es war ein maleriſcher
Anblick, den dieſe ſonderbar gekleideten Kurden mit ihren
ſo verſchieden aufgeſchirrten Tieren boten; doch hatte ich
keine Zeit, weitere Betrachtungen darüber anzuſtellen.
„Herr,“ begann der Agha, „wir ſind bereit, zu hören,
was du uns zu ſagen haſt. Aber gehört dieſer auch mit
zu den Aſſiretha?“
Er deutete dabei auf Mohammed Emin. Dieſen bös
gemeinten Hieb mußte ich ſofort zurückgeben.
„Mohammed Emin iſt der berühmte Emir der Beni
Haddedihn vom Stamme der Arab-eſch-Schammar. Er iſt
ein weiſer Fürſt und ein unüberwindlicher Krieger, deſſen
grauen Bart ſelbſt der Ungläubige achtet. Noch niemand
hat es gewagt, ihn vom Pferde zu werfen oder ihm den
Fuß auf den Leib zu ſetzen. Sage noch ein einziges Wort,
welches mir nicht gefällt, ſo kehre ich zum Bey zurück,
nehme dich aber vor mich auf das Pferd und laſſe dir
in Lizan die Fußſohlen peitſchen!“
„Herr, du wollteſt in Frieden mit mir reden!“
„So halte du ſelbſt dieſen Frieden, Menſch! Zwei
Emire wie Mohammed Emin und ich laſſen ſich von tau-
ſend Männern nicht beleidigen. Mit unſeren Waffen
brauchen wir dein ganzes Land Chal nicht zu fürchten.
Wir ſtellen uns unter das Odſchag *) dieſer Berwari-
Kurden, die nicht zugeben werden, daß die Freunde ihres
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Wer das Odſchag anruft, dem iſt der beſte Schutz
*) Schutz, Hausrecht.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 543. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/557>, abgerufen am 23.12.2024.
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