"Bleiben hier zurück. Ich bin begierig, die Gesichter der Türken zu sehen, wenn sie bemerken, daß sie in die Falle geraten sind."
Dieser Gedanke schien Halef zu befriedigen, sodaß er nicht über unser Hierbleiben murrte. Er mochte sich auch sagen, daß dieses Bleiben wohl gefährlicher sei, als der Anschluß an die Streiter.
"Wo ist Ifra?" fragte Halef noch.
"Er schläft auf der Plattform."
"Er ist eine Schlafmütze, Sihdi, und darum wird ihm sein Hauptmann den Esel gegeben haben, welcher die ganze Nacht hindurch schreit. Weiß er bereits etwas von dem, was geschehen wird?"
"Ich glaube nicht. Er soll auch nicht wissen, wie weit wir dabei beteiligt waren; verstehst du?"
Da kam Ali Bey noch einmal zurück, um sein Pferd zu holen. Er machte mir noch allerlei Vorstellungen, die aber nichts fruchteten, und so war er gezwungen, mich zu verlassen. Er that dies mit dem herzlichsten Wunsche, daß mir nichts Böses geschehen möge, und ver- sicherte wiederholt, er würde alle fünfzehnhundert Türken niederschießen lassen, wenn ich von ihnen ein Leid erdulden müsse. Zuletzt bat er mich, das große weiße Tuch, das in der Stube hing, auf die Plattform des Hauses, die er von der Höhe ganz gut überblicken konnte, zu legen, zum Zeichen, daß ich mich wohl befinde. Sollte das Tuch fortgenommen werden, so werde er schließen, daß ich mich in Gefahr befinde, und werde sofort dem ge- mäß handeln.
Nun stieg er auf und ritt davon, der letzte von all den Seinen.
Der Tag begann zu grauen; der Himmel lichtete sich,
„Und wir?“
„Bleiben hier zurück. Ich bin begierig, die Geſichter der Türken zu ſehen, wenn ſie bemerken, daß ſie in die Falle geraten ſind.“
Dieſer Gedanke ſchien Halef zu befriedigen, ſodaß er nicht über unſer Hierbleiben murrte. Er mochte ſich auch ſagen, daß dieſes Bleiben wohl gefährlicher ſei, als der Anſchluß an die Streiter.
„Wo iſt Ifra?“ fragte Halef noch.
„Er ſchläft auf der Plattform.“
„Er iſt eine Schlafmütze, Sihdi, und darum wird ihm ſein Hauptmann den Eſel gegeben haben, welcher die ganze Nacht hindurch ſchreit. Weiß er bereits etwas von dem, was geſchehen wird?“
„Ich glaube nicht. Er ſoll auch nicht wiſſen, wie weit wir dabei beteiligt waren; verſtehſt du?“
Da kam Ali Bey noch einmal zurück, um ſein Pferd zu holen. Er machte mir noch allerlei Vorſtellungen, die aber nichts fruchteten, und ſo war er gezwungen, mich zu verlaſſen. Er that dies mit dem herzlichſten Wunſche, daß mir nichts Böſes geſchehen möge, und ver- ſicherte wiederholt, er würde alle fünfzehnhundert Türken niederſchießen laſſen, wenn ich von ihnen ein Leid erdulden müſſe. Zuletzt bat er mich, das große weiße Tuch, das in der Stube hing, auf die Plattform des Hauſes, die er von der Höhe ganz gut überblicken konnte, zu legen, zum Zeichen, daß ich mich wohl befinde. Sollte das Tuch fortgenommen werden, ſo werde er ſchließen, daß ich mich in Gefahr befinde, und werde ſofort dem ge- mäß handeln.
Nun ſtieg er auf und ritt davon, der letzte von all den Seinen.
Der Tag begann zu grauen; der Himmel lichtete ſich,
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[40/0054]
„Und wir?“
„Bleiben hier zurück. Ich bin begierig, die Geſichter
der Türken zu ſehen, wenn ſie bemerken, daß ſie in die
Falle geraten ſind.“
Dieſer Gedanke ſchien Halef zu befriedigen, ſodaß
er nicht über unſer Hierbleiben murrte. Er mochte ſich
auch ſagen, daß dieſes Bleiben wohl gefährlicher ſei, als
der Anſchluß an die Streiter.
„Wo iſt Ifra?“ fragte Halef noch.
„Er ſchläft auf der Plattform.“
„Er iſt eine Schlafmütze, Sihdi, und darum wird
ihm ſein Hauptmann den Eſel gegeben haben, welcher die
ganze Nacht hindurch ſchreit. Weiß er bereits etwas von
dem, was geſchehen wird?“
„Ich glaube nicht. Er ſoll auch nicht wiſſen, wie
weit wir dabei beteiligt waren; verſtehſt du?“
Da kam Ali Bey noch einmal zurück, um ſein Pferd
zu holen. Er machte mir noch allerlei Vorſtellungen,
die aber nichts fruchteten, und ſo war er gezwungen,
mich zu verlaſſen. Er that dies mit dem herzlichſten
Wunſche, daß mir nichts Böſes geſchehen möge, und ver-
ſicherte wiederholt, er würde alle fünfzehnhundert Türken
niederſchießen laſſen, wenn ich von ihnen ein Leid erdulden
müſſe. Zuletzt bat er mich, das große weiße Tuch, das
in der Stube hing, auf die Plattform des Hauſes,
die er von der Höhe ganz gut überblicken konnte, zu
legen, zum Zeichen, daß ich mich wohl befinde. Sollte
das Tuch fortgenommen werden, ſo werde er ſchließen,
daß ich mich in Gefahr befinde, und werde ſofort dem ge-
mäß handeln.
Nun ſtieg er auf und ritt davon, der letzte von all
den Seinen.
Der Tag begann zu grauen; der Himmel lichtete ſich,
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/54>, abgerufen am 23.12.2024.
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