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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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Chaldäer aufgebrochen, und so war unsere Begleitung
nicht so zahlreich wie am vorigen Tage.

Wir ritten vom Abhange des Gebirges in das hier
sehr breite Thal des Zab hernieder. Fruchtfelder gab es
hier gar nicht. Höchstens sah man in der Nähe eines
einsamen Weilers ein wenig Gerste ihren Halm erheben.
Der Boden ist außerordentlich fruchtbar, aber die ewige
Unsicherheit benimmt den Bewohnern die Luft, eine Ernte
für ihre Feinde heranzuziehen.

Dagegen kamen wir an prächtigen Eichen- und Wal-
nußwäldern vorüber, die hier in einer Kraft und Frische
gediehen, wie sie sonst nicht häufig anzutreffen ist.

Wir hatten eine Vor- und eine Nachhut und wurden
von dem Haupttrupp ringsum eingeschlossen. Mir zur
Rechten ritt der Bey, und zur Linken der Melek. Dieser
aber sprach nur wenig; er hielt sich bei uns jedenfalls
nur des Beys wegen auf, welcher ein sehr kostbarer Fang
für ihn war, und den er nicht aus dem Auge lassen wollte.

Höchstens eine halbe Stunde hatten wir noch bis
Lizan zu reiten, als uns ein Mann entgegen kam, dessen
Gestalt sofort in die Augen fallen mußte. Er war von
einem wirklich riesigen Körperbau, und auch sein kurdisches
Pferd gehörte zu den stärksten, die ich jemals gesehen
hatte. Bekleidet war er nur mit weiten Kattunhosen und
einer Jacke aus demselben leichten Stoffe. Ein Tuch
bedeckte anstatt des Turbans oder der Mütze seinen Kopf,
und als Waffe diente ihm eine alte Büchse, welche jeden-
falls nicht orientalischen Ursprunges war. Hinter ihm
ritten in ehrerbietiger Entfernung zwei Männer, die im
dienstlichen Verhältnisse zu ihm zu stehen schienen.

Er ließ die Vorhut an sich vorüber und hielt dann
bei dem Melek an. "Sabbah'l ker -- guten Morgen!"
grüßte er mit volltönender Baßstimme.

Chaldäer aufgebrochen, und ſo war unſere Begleitung
nicht ſo zahlreich wie am vorigen Tage.

Wir ritten vom Abhange des Gebirges in das hier
ſehr breite Thal des Zab hernieder. Fruchtfelder gab es
hier gar nicht. Höchſtens ſah man in der Nähe eines
einſamen Weilers ein wenig Gerſte ihren Halm erheben.
Der Boden iſt außerordentlich fruchtbar, aber die ewige
Unſicherheit benimmt den Bewohnern die Luft, eine Ernte
für ihre Feinde heranzuziehen.

Dagegen kamen wir an prächtigen Eichen- und Wal-
nußwäldern vorüber, die hier in einer Kraft und Friſche
gediehen, wie ſie ſonſt nicht häufig anzutreffen iſt.

Wir hatten eine Vor- und eine Nachhut und wurden
von dem Haupttrupp ringsum eingeſchloſſen. Mir zur
Rechten ritt der Bey, und zur Linken der Melek. Dieſer
aber ſprach nur wenig; er hielt ſich bei uns jedenfalls
nur des Beys wegen auf, welcher ein ſehr koſtbarer Fang
für ihn war, und den er nicht aus dem Auge laſſen wollte.

Höchſtens eine halbe Stunde hatten wir noch bis
Lizan zu reiten, als uns ein Mann entgegen kam, deſſen
Geſtalt ſofort in die Augen fallen mußte. Er war von
einem wirklich rieſigen Körperbau, und auch ſein kurdiſches
Pferd gehörte zu den ſtärkſten, die ich jemals geſehen
hatte. Bekleidet war er nur mit weiten Kattunhoſen und
einer Jacke aus demſelben leichten Stoffe. Ein Tuch
bedeckte anſtatt des Turbans oder der Mütze ſeinen Kopf,
und als Waffe diente ihm eine alte Büchſe, welche jeden-
falls nicht orientaliſchen Urſprunges war. Hinter ihm
ritten in ehrerbietiger Entfernung zwei Männer, die im
dienſtlichen Verhältniſſe zu ihm zu ſtehen ſchienen.

Er ließ die Vorhut an ſich vorüber und hielt dann
bei dem Melek an. „Sabbah'l ker — guten Morgen!“
grüßte er mit volltönender Baßſtimme.

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[509/0523] Chaldäer aufgebrochen, und ſo war unſere Begleitung nicht ſo zahlreich wie am vorigen Tage. Wir ritten vom Abhange des Gebirges in das hier ſehr breite Thal des Zab hernieder. Fruchtfelder gab es hier gar nicht. Höchſtens ſah man in der Nähe eines einſamen Weilers ein wenig Gerſte ihren Halm erheben. Der Boden iſt außerordentlich fruchtbar, aber die ewige Unſicherheit benimmt den Bewohnern die Luft, eine Ernte für ihre Feinde heranzuziehen. Dagegen kamen wir an prächtigen Eichen- und Wal- nußwäldern vorüber, die hier in einer Kraft und Friſche gediehen, wie ſie ſonſt nicht häufig anzutreffen iſt. Wir hatten eine Vor- und eine Nachhut und wurden von dem Haupttrupp ringsum eingeſchloſſen. Mir zur Rechten ritt der Bey, und zur Linken der Melek. Dieſer aber ſprach nur wenig; er hielt ſich bei uns jedenfalls nur des Beys wegen auf, welcher ein ſehr koſtbarer Fang für ihn war, und den er nicht aus dem Auge laſſen wollte. Höchſtens eine halbe Stunde hatten wir noch bis Lizan zu reiten, als uns ein Mann entgegen kam, deſſen Geſtalt ſofort in die Augen fallen mußte. Er war von einem wirklich rieſigen Körperbau, und auch ſein kurdiſches Pferd gehörte zu den ſtärkſten, die ich jemals geſehen hatte. Bekleidet war er nur mit weiten Kattunhoſen und einer Jacke aus demſelben leichten Stoffe. Ein Tuch bedeckte anſtatt des Turbans oder der Mütze ſeinen Kopf, und als Waffe diente ihm eine alte Büchſe, welche jeden- falls nicht orientaliſchen Urſprunges war. Hinter ihm ritten in ehrerbietiger Entfernung zwei Männer, die im dienſtlichen Verhältniſſe zu ihm zu ſtehen ſchienen. Er ließ die Vorhut an ſich vorüber und hielt dann bei dem Melek an. „Sabbah'l ker — guten Morgen!“ grüßte er mit volltönender Baßſtimme.

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/523>, abgerufen am 23.12.2024.