"War ein wenig vorangekommen, weil mein Pferd besser laufen konnte, als die andern. Aber wohin waret Ihr verschwunden?"
"Sir, ich habe heute eine der gefährlichsten Stunden meines Lebens gehabt; das könnt Ihr mir glauben. Steigt ab. Ich werde es Euch erzählen!"
Er ließ sein Pferd laufen und setzte sich zu uns. Ich erzählte ihm meinen Ritt über den Felsensteig.
"Master," meinte er, als ich fertig war, "das ist heut ein schlimmer Tag, ein sehr schlimmer! Well! Habe keine Lust, gleich wieder auf die Bärenjagd zu gehen! Yes!"
Auch zwischen mir und dem Bey nebst Halef und Amad el Ghandur gab es viel zu erzählen. Der erstere hoffte, daß Mohammed Emin nach Gumri geeilt sei, um Hilfe zu holen, und freute sich bereits darauf, daß die Nestorah noch hier im Lager überfallen würden; aber seine Erwartungen erfüllten sich nicht.
Es wurde bald, nachdem wir einen frugalen Imbiß von unsern Besiegern erhalten hatten, aufgebrochen. Man nahm uns in die Mitte, und der Zug setzte sich in Be- wegung, um ganz dieselben Wege zu passieren, die ich mit dem Engländer bereits zweimal zurückgelegt hatte. Durch die Beerdigung der liegen gebliebenen Kurden trat eine Verzögerung ein, dann aber ging es so schnell vorwärts, daß wir noch vor Einbruch der Nacht den Weiler er- reichten, in welchem der Bruder des Melek wohnte.
Dort wurden wir auf eine nicht sehr freundliche Weise empfangen. Die Nestorah, denen wir hier entkom- men waren, hatten sich nach einer kurzen und erfolglosen Verfolgung in dieses Haus zurückbegeben. Sie empfingen ihre Kameraden mit großem Jubel, uns aber mit drohen- den Worten und Blicken. Der Bruder des Melek stand an der Thüre, um denselben zu begrüßen.
„War ein wenig vorangekommen, weil mein Pferd beſſer laufen konnte, als die andern. Aber wohin waret Ihr verſchwunden?“
„Sir, ich habe heute eine der gefährlichſten Stunden meines Lebens gehabt; das könnt Ihr mir glauben. Steigt ab. Ich werde es Euch erzählen!“
Er ließ ſein Pferd laufen und ſetzte ſich zu uns. Ich erzählte ihm meinen Ritt über den Felſenſteig.
„Maſter,“ meinte er, als ich fertig war, „das iſt heut ein ſchlimmer Tag, ein ſehr ſchlimmer! Well! Habe keine Luſt, gleich wieder auf die Bärenjagd zu gehen! Yes!“
Auch zwiſchen mir und dem Bey nebſt Halef und Amad el Ghandur gab es viel zu erzählen. Der erſtere hoffte, daß Mohammed Emin nach Gumri geeilt ſei, um Hilfe zu holen, und freute ſich bereits darauf, daß die Neſtorah noch hier im Lager überfallen würden; aber ſeine Erwartungen erfüllten ſich nicht.
Es wurde bald, nachdem wir einen frugalen Imbiß von unſern Beſiegern erhalten hatten, aufgebrochen. Man nahm uns in die Mitte, und der Zug ſetzte ſich in Be- wegung, um ganz dieſelben Wege zu paſſieren, die ich mit dem Engländer bereits zweimal zurückgelegt hatte. Durch die Beerdigung der liegen gebliebenen Kurden trat eine Verzögerung ein, dann aber ging es ſo ſchnell vorwärts, daß wir noch vor Einbruch der Nacht den Weiler er- reichten, in welchem der Bruder des Melek wohnte.
Dort wurden wir auf eine nicht ſehr freundliche Weiſe empfangen. Die Neſtorah, denen wir hier entkom- men waren, hatten ſich nach einer kurzen und erfolgloſen Verfolgung in dieſes Haus zurückbegeben. Sie empfingen ihre Kameraden mit großem Jubel, uns aber mit drohen- den Worten und Blicken. Der Bruder des Melek ſtand an der Thüre, um denſelben zu begrüßen.
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„War ein wenig vorangekommen, weil mein Pferd
beſſer laufen konnte, als die andern. Aber wohin waret
Ihr verſchwunden?“
„Sir, ich habe heute eine der gefährlichſten Stunden
meines Lebens gehabt; das könnt Ihr mir glauben. Steigt
ab. Ich werde es Euch erzählen!“
Er ließ ſein Pferd laufen und ſetzte ſich zu uns. Ich
erzählte ihm meinen Ritt über den Felſenſteig.
„Maſter,“ meinte er, als ich fertig war, „das iſt heut
ein ſchlimmer Tag, ein ſehr ſchlimmer! Well! Habe keine
Luſt, gleich wieder auf die Bärenjagd zu gehen! Yes!“
Auch zwiſchen mir und dem Bey nebſt Halef und
Amad el Ghandur gab es viel zu erzählen. Der erſtere
hoffte, daß Mohammed Emin nach Gumri geeilt ſei, um
Hilfe zu holen, und freute ſich bereits darauf, daß die
Neſtorah noch hier im Lager überfallen würden; aber
ſeine Erwartungen erfüllten ſich nicht.
Es wurde bald, nachdem wir einen frugalen Imbiß
von unſern Beſiegern erhalten hatten, aufgebrochen. Man
nahm uns in die Mitte, und der Zug ſetzte ſich in Be-
wegung, um ganz dieſelben Wege zu paſſieren, die ich mit
dem Engländer bereits zweimal zurückgelegt hatte. Durch
die Beerdigung der liegen gebliebenen Kurden trat eine
Verzögerung ein, dann aber ging es ſo ſchnell vorwärts,
daß wir noch vor Einbruch der Nacht den Weiler er-
reichten, in welchem der Bruder des Melek wohnte.
Dort wurden wir auf eine nicht ſehr freundliche
Weiſe empfangen. Die Neſtorah, denen wir hier entkom-
men waren, hatten ſich nach einer kurzen und erfolgloſen
Verfolgung in dieſes Haus zurückbegeben. Sie empfingen
ihre Kameraden mit großem Jubel, uns aber mit drohen-
den Worten und Blicken. Der Bruder des Melek ſtand
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/506>, abgerufen am 23.12.2024.
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