"Willst du zu ihnen oder zu mir?" fragte mich der Melek.
"Zunächst zu ihnen."
"So werde ich dich ersuchen, deine Waffen vorher abzulegen!"
"So bitte ich dich, mich und die Gefangenen bei dir sein zu lassen. In diesem Falle verspreche ich dir, bis wir nach Lizan kommen, keinen Gebrauch von meinen Waffen zu machen und auch nicht zu fliehen."
"Aber du wirst den andern zur Flucht verhelfen!"
"Nein. Ich hafte auch für sie, stelle aber die Be- dingung, daß sie ihr Eigentum behalten und nicht gefesselt werden."
"So sei es!"
Wir nahmen beieinander Platz, die meisten wohl, das gestehe ich, mit einem Gefühle der Beschämung; denn wir hatten uns alle wieder einfangen lassen. Da aber erscholl ein Ruf des Erstaunens: -- es erschien ein Reiter, den man zu erblicken wohl nicht erwartet hätte: Master Lindsay.
Er blickte sich um, sah uns und kam auf uns zuge- ritten.
"Ah, Sir! Auch wieder da?" fragte er erstaunt.
"Ja. Good day, Master Lindsay!"
"Wie kommt Ihr wieder her? Waret ja über alle Berge."
"Wenigstens nicht so freiwillig wie Ihr."
"Freiwillig? Mußte ja!"
"Warum?"
"He! Schauderhafte Lage! Weiß nur, was Esel heißt und Maulschelle im Kurdischen, und soll ganz allein durch dieses Land reiten! Sah, daß alles wieder gefangen wurde, und bin langsam hinterher geritten."
"Wo habt Ihr gesteckt, als man die andern erwischte?"
„Willſt du zu ihnen oder zu mir?“ fragte mich der Melek.
„Zunächſt zu ihnen.“
„So werde ich dich erſuchen, deine Waffen vorher abzulegen!“
„So bitte ich dich, mich und die Gefangenen bei dir ſein zu laſſen. In dieſem Falle verſpreche ich dir, bis wir nach Lizan kommen, keinen Gebrauch von meinen Waffen zu machen und auch nicht zu fliehen.“
„Aber du wirſt den andern zur Flucht verhelfen!“
„Nein. Ich hafte auch für ſie, ſtelle aber die Be- dingung, daß ſie ihr Eigentum behalten und nicht gefeſſelt werden.“
„So ſei es!“
Wir nahmen beieinander Platz, die meiſten wohl, das geſtehe ich, mit einem Gefühle der Beſchämung; denn wir hatten uns alle wieder einfangen laſſen. Da aber erſcholl ein Ruf des Erſtaunens: — es erſchien ein Reiter, den man zu erblicken wohl nicht erwartet hätte: Maſter Lindſay.
Er blickte ſich um, ſah uns und kam auf uns zuge- ritten.
„Ah, Sir! Auch wieder da?“ fragte er erſtaunt.
„Ja. Good day, Maſter Lindſay!“
„Wie kommt Ihr wieder her? Waret ja über alle Berge.“
„Wenigſtens nicht ſo freiwillig wie Ihr.“
„Freiwillig? Mußte ja!“
„Warum?“
„He! Schauderhafte Lage! Weiß nur, was Eſel heißt und Maulſchelle im Kurdiſchen, und ſoll ganz allein durch dieſes Land reiten! Sah, daß alles wieder gefangen wurde, und bin langſam hinterher geritten.“
„Wo habt Ihr geſteckt, als man die andern erwiſchte?“
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„Willſt du zu ihnen oder zu mir?“ fragte mich der
Melek.
„Zunächſt zu ihnen.“
„So werde ich dich erſuchen, deine Waffen vorher
abzulegen!“
„So bitte ich dich, mich und die Gefangenen bei dir
ſein zu laſſen. In dieſem Falle verſpreche ich dir, bis
wir nach Lizan kommen, keinen Gebrauch von meinen
Waffen zu machen und auch nicht zu fliehen.“
„Aber du wirſt den andern zur Flucht verhelfen!“
„Nein. Ich hafte auch für ſie, ſtelle aber die Be-
dingung, daß ſie ihr Eigentum behalten und nicht gefeſſelt
werden.“
„So ſei es!“
Wir nahmen beieinander Platz, die meiſten wohl, das
geſtehe ich, mit einem Gefühle der Beſchämung; denn wir
hatten uns alle wieder einfangen laſſen. Da aber erſcholl
ein Ruf des Erſtaunens: — es erſchien ein Reiter, den
man zu erblicken wohl nicht erwartet hätte: Maſter Lindſay.
Er blickte ſich um, ſah uns und kam auf uns zuge-
ritten.
„Ah, Sir! Auch wieder da?“ fragte er erſtaunt.
„Ja. Good day, Maſter Lindſay!“
„Wie kommt Ihr wieder her? Waret ja über alle
Berge.“
„Wenigſtens nicht ſo freiwillig wie Ihr.“
„Freiwillig? Mußte ja!“
„Warum?“
„He! Schauderhafte Lage! Weiß nur, was Eſel heißt
und Maulſchelle im Kurdiſchen, und ſoll ganz allein durch
dieſes Land reiten! Sah, daß alles wieder gefangen wurde,
und bin langſam hinterher geritten.“
„Wo habt Ihr geſteckt, als man die andern erwiſchte?“
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/505>, abgerufen am 23.12.2024.
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