Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

"Ich bin überzeugt, daß sie die wahre ist."

"Du bist kein Missionar?"

"Nein. Bist du ein Priester?" fragte ich dagegen.

"Ich wollte einst ein solcher werden," antwortete er.

"Wann wird der Melek hier ankommen?"

"Noch heute; die Stunde aber ist unbestimmt."

"Ich soll bis dahin in deinem Hause bleiben?"

Er nickte, und ich fragte weiter:

"Aber als was?"

"Als das, was du bist, als Gefangener."

"Und wer wird mich festhalten?"

"Meine Leute und dein Wort."

"Deine Leute können mich nicht halten, und mein
Versprechen habe ich bereits erfüllt. Ich sagte, daß ich
ihnen folgen würde; das habe ich gethan."

Er schien zu überlegen.

"Du magst recht haben. So sollst du also nicht mein
Gefangener, sondern mein Gast sein."

Er klatschte in die Hände. Ein altes Weib erschien.

"Bringe Pfeifen, Kaffee und Matten!" gebot er ihr.

Die Matten wurden zuerst gebracht, und wir mußten
zu beiden Seiten des Mannes Platz nehmen, der ein
Priester genannt wurde, weil er einst gewillt gewesen
war, ein solcher zu werden. Er wurde jetzt freundlicher,
und als die Pfeifen mit dem Tabak gebracht wurden,
hatte er sogar die Herablassung, sie uns selbst anzubren-
nen. Ich erkundigte mich bei ihm nach den Verhältnissen
der nestorianischen Chaldäer und erfuhr allerdings Dinge,
bei deren Erzählung einem sich die Haare sträuben konnten.

Die Krieger hatten sich um das Haus gelagert; es
waren, wie ich erfuhr, arme, einfache Ackerbauer, also un-
angesehene Leute nach den Begriffen der Nomaden und
anderen Bevölkerungsklassen, welche das Handwerk des

„Ich bin überzeugt, daß ſie die wahre iſt.“

„Du biſt kein Miſſionar?“

„Nein. Biſt du ein Prieſter?“ fragte ich dagegen.

„Ich wollte einſt ein ſolcher werden,“ antwortete er.

„Wann wird der Melek hier ankommen?“

„Noch heute; die Stunde aber iſt unbeſtimmt.“

„Ich ſoll bis dahin in deinem Hauſe bleiben?“

Er nickte, und ich fragte weiter:

„Aber als was?“

„Als das, was du biſt, als Gefangener.“

„Und wer wird mich feſthalten?“

„Meine Leute und dein Wort.“

„Deine Leute können mich nicht halten, und mein
Verſprechen habe ich bereits erfüllt. Ich ſagte, daß ich
ihnen folgen würde; das habe ich gethan.“

Er ſchien zu überlegen.

„Du magſt recht haben. So ſollſt du alſo nicht mein
Gefangener, ſondern mein Gaſt ſein.“

Er klatſchte in die Hände. Ein altes Weib erſchien.

„Bringe Pfeifen, Kaffee und Matten!“ gebot er ihr.

Die Matten wurden zuerſt gebracht, und wir mußten
zu beiden Seiten des Mannes Platz nehmen, der ein
Prieſter genannt wurde, weil er einſt gewillt geweſen
war, ein ſolcher zu werden. Er wurde jetzt freundlicher,
und als die Pfeifen mit dem Tabak gebracht wurden,
hatte er ſogar die Herablaſſung, ſie uns ſelbſt anzubren-
nen. Ich erkundigte mich bei ihm nach den Verhältniſſen
der neſtorianiſchen Chaldäer und erfuhr allerdings Dinge,
bei deren Erzählung einem ſich die Haare ſträuben konnten.

Die Krieger hatten ſich um das Haus gelagert; es
waren, wie ich erfuhr, arme, einfache Ackerbauer, alſo un-
angeſehene Leute nach den Begriffen der Nomaden und
anderen Bevölkerungsklaſſen, welche das Handwerk des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0482" n="468"/>
        <p>&#x201E;Ich bin überzeugt, daß &#x017F;ie die wahre i&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du bi&#x017F;t kein Mi&#x017F;&#x017F;ionar?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein. Bi&#x017F;t du ein Prie&#x017F;ter?&#x201C; fragte ich dagegen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich wollte ein&#x017F;t ein &#x017F;olcher werden,&#x201C; antwortete er.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wann wird der Melek hier ankommen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Noch heute; die Stunde aber i&#x017F;t unbe&#x017F;timmt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich &#x017F;oll bis dahin in deinem Hau&#x017F;e bleiben?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er nickte, und ich fragte weiter:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber als was?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Als das, was du bi&#x017F;t, als Gefangener.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und wer wird mich fe&#x017F;thalten?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Meine Leute und dein Wort.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Deine Leute können mich nicht halten, und mein<lb/>
Ver&#x017F;prechen habe ich bereits erfüllt. Ich &#x017F;agte, daß ich<lb/>
ihnen folgen würde; das habe ich gethan.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er &#x017F;chien zu überlegen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du mag&#x017F;t recht haben. So &#x017F;oll&#x017F;t du al&#x017F;o nicht mein<lb/>
Gefangener, &#x017F;ondern mein Ga&#x017F;t &#x017F;ein.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er klat&#x017F;chte in die Hände. Ein altes Weib er&#x017F;chien.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Bringe Pfeifen, Kaffee und Matten!&#x201C; gebot er ihr.</p><lb/>
        <p>Die Matten wurden zuer&#x017F;t gebracht, und wir mußten<lb/>
zu beiden Seiten des Mannes Platz nehmen, der ein<lb/>
Prie&#x017F;ter genannt wurde, weil er ein&#x017F;t gewillt gewe&#x017F;en<lb/>
war, ein &#x017F;olcher zu werden. Er wurde jetzt freundlicher,<lb/>
und als die Pfeifen mit dem Tabak gebracht wurden,<lb/>
hatte er &#x017F;ogar die Herabla&#x017F;&#x017F;ung, &#x017F;ie uns &#x017F;elb&#x017F;t anzubren-<lb/>
nen. Ich erkundigte mich bei ihm nach den Verhältni&#x017F;&#x017F;en<lb/>
der ne&#x017F;toriani&#x017F;chen Chaldäer und erfuhr allerdings Dinge,<lb/>
bei deren Erzählung einem &#x017F;ich die Haare &#x017F;träuben konnten.</p><lb/>
        <p>Die Krieger hatten &#x017F;ich um das Haus gelagert; es<lb/>
waren, wie ich erfuhr, arme, einfache Ackerbauer, al&#x017F;o un-<lb/>
ange&#x017F;ehene Leute nach den Begriffen der Nomaden und<lb/>
anderen Bevölkerungskla&#x017F;&#x017F;en, welche das Handwerk des<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[468/0482] „Ich bin überzeugt, daß ſie die wahre iſt.“ „Du biſt kein Miſſionar?“ „Nein. Biſt du ein Prieſter?“ fragte ich dagegen. „Ich wollte einſt ein ſolcher werden,“ antwortete er. „Wann wird der Melek hier ankommen?“ „Noch heute; die Stunde aber iſt unbeſtimmt.“ „Ich ſoll bis dahin in deinem Hauſe bleiben?“ Er nickte, und ich fragte weiter: „Aber als was?“ „Als das, was du biſt, als Gefangener.“ „Und wer wird mich feſthalten?“ „Meine Leute und dein Wort.“ „Deine Leute können mich nicht halten, und mein Verſprechen habe ich bereits erfüllt. Ich ſagte, daß ich ihnen folgen würde; das habe ich gethan.“ Er ſchien zu überlegen. „Du magſt recht haben. So ſollſt du alſo nicht mein Gefangener, ſondern mein Gaſt ſein.“ Er klatſchte in die Hände. Ein altes Weib erſchien. „Bringe Pfeifen, Kaffee und Matten!“ gebot er ihr. Die Matten wurden zuerſt gebracht, und wir mußten zu beiden Seiten des Mannes Platz nehmen, der ein Prieſter genannt wurde, weil er einſt gewillt geweſen war, ein ſolcher zu werden. Er wurde jetzt freundlicher, und als die Pfeifen mit dem Tabak gebracht wurden, hatte er ſogar die Herablaſſung, ſie uns ſelbſt anzubren- nen. Ich erkundigte mich bei ihm nach den Verhältniſſen der neſtorianiſchen Chaldäer und erfuhr allerdings Dinge, bei deren Erzählung einem ſich die Haare ſträuben konnten. Die Krieger hatten ſich um das Haus gelagert; es waren, wie ich erfuhr, arme, einfache Ackerbauer, alſo un- angeſehene Leute nach den Begriffen der Nomaden und anderen Bevölkerungsklaſſen, welche das Handwerk des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/482
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/482>, abgerufen am 23.12.2024.