"Ich war ein Gast des Bey, und daß ich eure Sprache nicht gut spreche, das müßt ihr hören. Seid ihr Nestorah?"
"So nennen uns die Moslemim."
"Auch ich bin ein Christ!"
"Du?" Er lachte wieder. "Du bist ein Hadschi; du hattest den Kuran am Halse hängen; du trägst die Kleidung eines Moslem; du willst uns betrügen."
"Ich sage die Wahrheit!"
"Sage uns, ob Sidna Marryam die Mutter Gottes ist!"
"Sie ist es."
"Sage uns, ob ein Priester ein Weib nehmen soll!"
"Er soll unvermählt bleiben."
"Sage mir, ob es mehr oder weniger als drei Sakra- mente giebt!"
"Es giebt mehr."
Es fiel mir trotz der Gefahr, in welcher ich schwebte, nicht ein, meinen Glauben zu verleugnen. Die Folge be- kam ich sofort zu hören:
"So wisse, daß Sidna Marryam nur einen Menschen geboren hat, daß ein Priester sich verheiraten darf, und daß es nur drei Sakramente giebt, nämlich das Abendmahl, die Taufe und die Ordination. Du bist ein Moslem, und wenn du ja ein Christ bist, so bist du ein falscher Christ und gehörst zu jenen, welche ihre Priester senden, um die Kurden, Türken und Perser gegen uns aufzuhetzen, und das ist noch schlimmer, als wenn du ein Anhänger des falschen Propheten wärest. Deine Leute haben einige von uns verwundet; du wirst diese Schuld mit deinem Blute bezahlen."
"Ihr wollt Christen sein und dürstet nach Blut! Was haben wir beide euch gethan? Wir wissen nicht einmal,
„Ich war ein Gaſt des Bey, und daß ich eure Sprache nicht gut ſpreche, das müßt ihr hören. Seid ihr Neſtorah?“
„So nennen uns die Moslemim.“
„Auch ich bin ein Chriſt!“
„Du?“ Er lachte wieder. „Du biſt ein Hadſchi; du hatteſt den Kuran am Halſe hängen; du trägſt die Kleidung eines Moslem; du willſt uns betrügen.“
„Ich ſage die Wahrheit!“
„Sage uns, ob Sidna Marryam die Mutter Gottes iſt!“
„Sie iſt es.“
„Sage uns, ob ein Prieſter ein Weib nehmen ſoll!“
„Er ſoll unvermählt bleiben.“
„Sage mir, ob es mehr oder weniger als drei Sakra- mente giebt!“
„Es giebt mehr.“
Es fiel mir trotz der Gefahr, in welcher ich ſchwebte, nicht ein, meinen Glauben zu verleugnen. Die Folge be- kam ich ſofort zu hören:
„So wiſſe, daß Sidna Marryam nur einen Menſchen geboren hat, daß ein Prieſter ſich verheiraten darf, und daß es nur drei Sakramente giebt, nämlich das Abendmahl, die Taufe und die Ordination. Du biſt ein Moslem, und wenn du ja ein Chriſt biſt, ſo biſt du ein falſcher Chriſt und gehörſt zu jenen, welche ihre Prieſter ſenden, um die Kurden, Türken und Perſer gegen uns aufzuhetzen, und das iſt noch ſchlimmer, als wenn du ein Anhänger des falſchen Propheten wäreſt. Deine Leute haben einige von uns verwundet; du wirſt dieſe Schuld mit deinem Blute bezahlen.“
„Ihr wollt Chriſten ſein und dürſtet nach Blut! Was haben wir beide euch gethan? Wir wiſſen nicht einmal,
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[452/0466]
„Ich war ein Gaſt des Bey, und daß ich eure
Sprache nicht gut ſpreche, das müßt ihr hören. Seid ihr
Neſtorah?“
„So nennen uns die Moslemim.“
„Auch ich bin ein Chriſt!“
„Du?“ Er lachte wieder. „Du biſt ein Hadſchi;
du hatteſt den Kuran am Halſe hängen; du trägſt die
Kleidung eines Moslem; du willſt uns betrügen.“
„Ich ſage die Wahrheit!“
„Sage uns, ob Sidna Marryam die Mutter Gottes
iſt!“
„Sie iſt es.“
„Sage uns, ob ein Prieſter ein Weib nehmen ſoll!“
„Er ſoll unvermählt bleiben.“
„Sage mir, ob es mehr oder weniger als drei Sakra-
mente giebt!“
„Es giebt mehr.“
Es fiel mir trotz der Gefahr, in welcher ich ſchwebte,
nicht ein, meinen Glauben zu verleugnen. Die Folge be-
kam ich ſofort zu hören:
„So wiſſe, daß Sidna Marryam nur einen Menſchen
geboren hat, daß ein Prieſter ſich verheiraten darf, und
daß es nur drei Sakramente giebt, nämlich das Abendmahl,
die Taufe und die Ordination. Du biſt ein Moslem,
und wenn du ja ein Chriſt biſt, ſo biſt du ein falſcher
Chriſt und gehörſt zu jenen, welche ihre Prieſter ſenden,
um die Kurden, Türken und Perſer gegen uns aufzuhetzen,
und das iſt noch ſchlimmer, als wenn du ein Anhänger
des falſchen Propheten wäreſt. Deine Leute haben einige
von uns verwundet; du wirſt dieſe Schuld mit deinem
Blute bezahlen.“
„Ihr wollt Chriſten ſein und dürſtet nach Blut! Was
haben wir beide euch gethan? Wir wiſſen nicht einmal,
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/466>, abgerufen am 22.11.2024.
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