Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

es war ihnen unerhört, daß ein Fußgänger mit nur einem
Gewehre mit zwei Bären fertig zu werden vermochte.
Allerdings hatte sich Master Lindsay mehr als musterhaft
benommen. Ein größeres Rätsel noch war es mir, die
Bärenfamilie beisammen zu finden, da das Junge bereits
ziemlich erwachsen war. Die Kurden hatten sehr große
Mühe, es zu überwältigen und zu binden, da der Bey
es lebendig in Gumri zu haben wünschte.

Nun wurde das Lager der Tiere aufgesucht. Es
befand sich im dichtesten Gestrüpp, und die vorhandenen
Spuren zeigten, daß die Familie nur aus den Alten mit
diesem einen Jungen bestanden hatte. Einer der Hunde
war tot, und zwei waren verwundet. Wir konnten mit
dieser Jagd zufrieden sein.

"Herr," sagte der Bey zu mir, "dieser Emir aus
dem Abendlande ist ein sehr tapferer Mann!"

"Das ist er."

"Ich wundere mich nicht mehr, daß euch die Ber-
wari gestern nicht überwältigen konnten, bis sie euch zu
schnell überraschten."

"Auch da hätten sie uns nicht überwältigt; aber ich
gebot den Gefährten, sich nicht zu wehren. Ich bin dein
Freund und wollte deine Leute nicht töten lassen."

"Wie ist es möglich, alle beide Bären in das Auge
zu treffen?"

"Ich habe einen Jäger gekannt, der jedes Wild
und jeden Feind in das Auge traf. Er war ein guter
Schütze und hatte ein sehr gutes Gewehr, welches niemals
versagte."

"Schießest du auch so?"

"Nein. Ich habe sehr viel geschossen, aber nur in
schlimmen Fällen auf das Auge gezielt. Wo ist der
zweite Jagdplatz?"

II. 29

es war ihnen unerhört, daß ein Fußgänger mit nur einem
Gewehre mit zwei Bären fertig zu werden vermochte.
Allerdings hatte ſich Maſter Lindſay mehr als muſterhaft
benommen. Ein größeres Rätſel noch war es mir, die
Bärenfamilie beiſammen zu finden, da das Junge bereits
ziemlich erwachſen war. Die Kurden hatten ſehr große
Mühe, es zu überwältigen und zu binden, da der Bey
es lebendig in Gumri zu haben wünſchte.

Nun wurde das Lager der Tiere aufgeſucht. Es
befand ſich im dichteſten Geſtrüpp, und die vorhandenen
Spuren zeigten, daß die Familie nur aus den Alten mit
dieſem einen Jungen beſtanden hatte. Einer der Hunde
war tot, und zwei waren verwundet. Wir konnten mit
dieſer Jagd zufrieden ſein.

„Herr,“ ſagte der Bey zu mir, „dieſer Emir aus
dem Abendlande iſt ein ſehr tapferer Mann!“

„Das iſt er.“

„Ich wundere mich nicht mehr, daß euch die Ber-
wari geſtern nicht überwältigen konnten, bis ſie euch zu
ſchnell überraſchten.“

„Auch da hätten ſie uns nicht überwältigt; aber ich
gebot den Gefährten, ſich nicht zu wehren. Ich bin dein
Freund und wollte deine Leute nicht töten laſſen.“

„Wie iſt es möglich, alle beide Bären in das Auge
zu treffen?“

„Ich habe einen Jäger gekannt, der jedes Wild
und jeden Feind in das Auge traf. Er war ein guter
Schütze und hatte ein ſehr gutes Gewehr, welches niemals
verſagte.“

„Schießeſt du auch ſo?“

„Nein. Ich habe ſehr viel geſchoſſen, aber nur in
ſchlimmen Fällen auf das Auge gezielt. Wo iſt der
zweite Jagdplatz?“

II. 29
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0463" n="449"/>
es war ihnen unerhört, daß ein Fußgänger mit nur einem<lb/>
Gewehre mit zwei Bären fertig zu werden vermochte.<lb/>
Allerdings hatte &#x017F;ich Ma&#x017F;ter Lind&#x017F;ay mehr als mu&#x017F;terhaft<lb/>
benommen. Ein größeres Rät&#x017F;el noch war es mir, die<lb/>
Bärenfamilie bei&#x017F;ammen zu finden, da das Junge bereits<lb/>
ziemlich erwach&#x017F;en war. Die Kurden hatten &#x017F;ehr große<lb/>
Mühe, es zu überwältigen und zu binden, da der Bey<lb/>
es lebendig in Gumri zu haben wün&#x017F;chte.</p><lb/>
        <p>Nun wurde das Lager der Tiere aufge&#x017F;ucht. Es<lb/>
befand &#x017F;ich im dichte&#x017F;ten Ge&#x017F;trüpp, und die vorhandenen<lb/>
Spuren zeigten, daß die Familie nur aus den Alten mit<lb/>
die&#x017F;em einen Jungen be&#x017F;tanden hatte. Einer der Hunde<lb/>
war tot, und zwei waren verwundet. Wir konnten mit<lb/>
die&#x017F;er Jagd zufrieden &#x017F;ein.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Herr,&#x201C; &#x017F;agte der Bey zu mir, &#x201E;die&#x017F;er Emir aus<lb/>
dem Abendlande i&#x017F;t ein &#x017F;ehr tapferer Mann!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das i&#x017F;t er.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich wundere mich nicht mehr, daß euch die Ber-<lb/>
wari ge&#x017F;tern nicht überwältigen konnten, bis &#x017F;ie euch zu<lb/>
&#x017F;chnell überra&#x017F;chten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Auch da hätten &#x017F;ie uns nicht überwältigt; aber ich<lb/>
gebot den Gefährten, &#x017F;ich nicht zu wehren. Ich bin dein<lb/>
Freund und wollte deine Leute nicht töten la&#x017F;&#x017F;en.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wie i&#x017F;t es möglich, alle beide Bären in das Auge<lb/>
zu treffen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich habe einen Jäger gekannt, der jedes Wild<lb/>
und jeden Feind in das Auge traf. Er war ein guter<lb/>
Schütze und hatte ein &#x017F;ehr gutes Gewehr, welches niemals<lb/>
ver&#x017F;agte.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Schieße&#x017F;t du auch &#x017F;o?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein. Ich habe &#x017F;ehr viel ge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en, aber nur in<lb/>
&#x017F;chlimmen Fällen auf das Auge gezielt. Wo i&#x017F;t der<lb/>
zweite Jagdplatz?&#x201C;</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">II. 29</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[449/0463] es war ihnen unerhört, daß ein Fußgänger mit nur einem Gewehre mit zwei Bären fertig zu werden vermochte. Allerdings hatte ſich Maſter Lindſay mehr als muſterhaft benommen. Ein größeres Rätſel noch war es mir, die Bärenfamilie beiſammen zu finden, da das Junge bereits ziemlich erwachſen war. Die Kurden hatten ſehr große Mühe, es zu überwältigen und zu binden, da der Bey es lebendig in Gumri zu haben wünſchte. Nun wurde das Lager der Tiere aufgeſucht. Es befand ſich im dichteſten Geſtrüpp, und die vorhandenen Spuren zeigten, daß die Familie nur aus den Alten mit dieſem einen Jungen beſtanden hatte. Einer der Hunde war tot, und zwei waren verwundet. Wir konnten mit dieſer Jagd zufrieden ſein. „Herr,“ ſagte der Bey zu mir, „dieſer Emir aus dem Abendlande iſt ein ſehr tapferer Mann!“ „Das iſt er.“ „Ich wundere mich nicht mehr, daß euch die Ber- wari geſtern nicht überwältigen konnten, bis ſie euch zu ſchnell überraſchten.“ „Auch da hätten ſie uns nicht überwältigt; aber ich gebot den Gefährten, ſich nicht zu wehren. Ich bin dein Freund und wollte deine Leute nicht töten laſſen.“ „Wie iſt es möglich, alle beide Bären in das Auge zu treffen?“ „Ich habe einen Jäger gekannt, der jedes Wild und jeden Feind in das Auge traf. Er war ein guter Schütze und hatte ein ſehr gutes Gewehr, welches niemals verſagte.“ „Schießeſt du auch ſo?“ „Nein. Ich habe ſehr viel geſchoſſen, aber nur in ſchlimmen Fällen auf das Auge gezielt. Wo iſt der zweite Jagdplatz?“ II. 29

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/463
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/463>, abgerufen am 25.11.2024.